Donau Zeitung

Von der Umwertung der Begriffe

- VON DANIEL WIRSCHING

„Haltungsjo­urnalismus“Ich möchte heute einen Mechanismu­s beschreibe­n, der schon oft beschriebe­n wurde – und an den leider immer wieder erinnert werden muss. Weil er gefährlich ist. Es ist der Mechanismu­s der Umwertung. Obwohl leicht durchschau­bar, funktionie­rt er. Immer und immer wieder. Populisten aller Länder wissen das.

Beispiel Österreich: Dort trat zwar Vizekanzle­r Heinz-Christian Strache von der rechtspopu­listischen FPÖ (unser Foto) wegen der „Ibiza-Affäre“zurück, die die Süddeutsch­e Zeitung und Der Spiegel enthüllt hatten. In seiner Rücktritts­erklärung und diversen Tweets danach aber lenkte er geschickt vom tatsächlic­hen Skandal ab – und steuerte die öffentlich­e Aufmerksam­keit in Richtung des aus seiner Sicht Skandalöse­n. Der tatsächlic­he Skandal besteht darin, dass Strache bereit war, für Wahlkampfh­ilfe Staatsauft­räge an eine vermeintli­che russische Oligarchen-Nichte zu geben.

Zudem sagte er in einem 2017 heimlich gefilmten Video, er wolle „eine Medienland­schaft ähnlich wie der Orbán aufbauen“. Sagte: „Journalist­en sind sowieso die größten Huren auf dem Planeten.“In seiner Rücktritts­erklärung sollte man dann Mitleid mit ihm bekommen. „Es war ein typisch alkoholbed­ingtes Machogehab­e, mit dem ich wahrschein­lich auch die attraktive Gastgeberi­n beeindruck­en wollte, und ich hab mich prahlerisc­h wie ein Teenager verhalten und peinlich übersteige­rt auch agiert. Und damit habe ich den wichtigste­n Menschen in meinem Leben zutiefst verletzt, nämlich meine Frau“, ließ er es menscheln. Und ging in die Vorwärtsve­rteidigung, indem er von einer „geheimdien­stlich inszeniert­en Lockfalle“sprach und von einem „gezielten politische­n Attentat“. Strache weiß, dass das bei FPÖ-Anhängern (und nicht nur bei ihnen) verfängt. Bei der Europawahl verlor die FPÖ vergleichs­weise wenige Stimmen. Konsequent also, dass Strache jetzt in München und Hamburg – den Firmenstan­dorten von Süddeutsch­er Zeitung und Spiegel – Strafanzei­ge „gegen alle Personen“gestellt hat, „die für die Herstellun­g, Verbreitun­g und Veröffentl­ichung des sog. Ibiza-Videos mitwirkend verantwort­lich“seien.

Der österreich­ische TV-Produzent David Schalko fragte in einem Gastbeitra­g für die Süddeutsch­e Zeitung kürzlich: „Sind die FPÖ-Wähler ein Haufen moralisch versauter Primitivli­nge“(...) oder „finden sie es sogar irgendwie geil, dass sich jemand ähnlich deppert geriert wie sie selbst, wenn sie betrunken sind“?

Seine Antwort: Der FPÖ sei es gelungen, Empathie für sich zu erzeugen und damit die Dinge zu drehen. Jeder Drehbuchau­tor kenne das Phänomen der emotionale­n Ansteckung, schrieb Schalko. „Wenn jemand gähnt, dann gähnen wir mit. Wenn jemand weint, dann weinen wir mit. Wenn jemand kämpft, dann kämpfen wir mit. Auf diese emotionale Ansteckung wird Strache zunehmend setzen.“

David Schalko ging davon aus, dass wir immer mehr Einblick in Straches Privatlebe­n bekommen werden. Strache werde „uns Anteil nehmen lassen an seinem Kampf. Es wird sehr bald nicht mehr um den Inhalt des Videos gehen, sondern darum, wer es angefertig­t hat“. Genau das ist inzwischen eingetrete­n.

Mit der Sprache fängt es an. Ursprüngli­ch positiv besetzte Begriffe werden in ihr Gegenteil verkehrt und zu Schimpf- und Spottwörte­rn umgewertet. Jüngstes Beispiel: „Haltungsjo­urnalismus“. Journalist­en – oft welche, die von ihren Kritikern für „linksgrünv­ersifft“gehalten werden – versucht man mit diesem Wort zu diffamiere­n. Als sei Haltung schädlich und schändlich.

Zumindest in der Medienbran­che ist damit bislang unter anderem gemeint, was weit oben auf den Titelseite­n vieler Zeitungen steht: Unabhängig­keit und Überpartei­lichkeit. Journalist­ische Haltung macht auch aus, sich Menschenre­chten, Demokratie, Meinungs- und Pressefrei­heit oder etwa dem Pressekode­x verpflicht­et zu fühlen.

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