Von der Umwertung der Begriffe
„Haltungsjournalismus“Ich möchte heute einen Mechanismus beschreiben, der schon oft beschrieben wurde – und an den leider immer wieder erinnert werden muss. Weil er gefährlich ist. Es ist der Mechanismus der Umwertung. Obwohl leicht durchschaubar, funktioniert er. Immer und immer wieder. Populisten aller Länder wissen das.
Beispiel Österreich: Dort trat zwar Vizekanzler Heinz-Christian Strache von der rechtspopulistischen FPÖ (unser Foto) wegen der „Ibiza-Affäre“zurück, die die Süddeutsche Zeitung und Der Spiegel enthüllt hatten. In seiner Rücktrittserklärung und diversen Tweets danach aber lenkte er geschickt vom tatsächlichen Skandal ab – und steuerte die öffentliche Aufmerksamkeit in Richtung des aus seiner Sicht Skandalösen. Der tatsächliche Skandal besteht darin, dass Strache bereit war, für Wahlkampfhilfe Staatsaufträge an eine vermeintliche russische Oligarchen-Nichte zu geben.
Zudem sagte er in einem 2017 heimlich gefilmten Video, er wolle „eine Medienlandschaft ähnlich wie der Orbán aufbauen“. Sagte: „Journalisten sind sowieso die größten Huren auf dem Planeten.“In seiner Rücktrittserklärung sollte man dann Mitleid mit ihm bekommen. „Es war ein typisch alkoholbedingtes Machogehabe, mit dem ich wahrscheinlich auch die attraktive Gastgeberin beeindrucken wollte, und ich hab mich prahlerisch wie ein Teenager verhalten und peinlich übersteigert auch agiert. Und damit habe ich den wichtigsten Menschen in meinem Leben zutiefst verletzt, nämlich meine Frau“, ließ er es menscheln. Und ging in die Vorwärtsverteidigung, indem er von einer „geheimdienstlich inszenierten Lockfalle“sprach und von einem „gezielten politischen Attentat“. Strache weiß, dass das bei FPÖ-Anhängern (und nicht nur bei ihnen) verfängt. Bei der Europawahl verlor die FPÖ vergleichsweise wenige Stimmen. Konsequent also, dass Strache jetzt in München und Hamburg – den Firmenstandorten von Süddeutscher Zeitung und Spiegel – Strafanzeige „gegen alle Personen“gestellt hat, „die für die Herstellung, Verbreitung und Veröffentlichung des sog. Ibiza-Videos mitwirkend verantwortlich“seien.
Der österreichische TV-Produzent David Schalko fragte in einem Gastbeitrag für die Süddeutsche Zeitung kürzlich: „Sind die FPÖ-Wähler ein Haufen moralisch versauter Primitivlinge“(...) oder „finden sie es sogar irgendwie geil, dass sich jemand ähnlich deppert geriert wie sie selbst, wenn sie betrunken sind“?
Seine Antwort: Der FPÖ sei es gelungen, Empathie für sich zu erzeugen und damit die Dinge zu drehen. Jeder Drehbuchautor kenne das Phänomen der emotionalen Ansteckung, schrieb Schalko. „Wenn jemand gähnt, dann gähnen wir mit. Wenn jemand weint, dann weinen wir mit. Wenn jemand kämpft, dann kämpfen wir mit. Auf diese emotionale Ansteckung wird Strache zunehmend setzen.“
David Schalko ging davon aus, dass wir immer mehr Einblick in Straches Privatleben bekommen werden. Strache werde „uns Anteil nehmen lassen an seinem Kampf. Es wird sehr bald nicht mehr um den Inhalt des Videos gehen, sondern darum, wer es angefertigt hat“. Genau das ist inzwischen eingetreten.
Mit der Sprache fängt es an. Ursprünglich positiv besetzte Begriffe werden in ihr Gegenteil verkehrt und zu Schimpf- und Spottwörtern umgewertet. Jüngstes Beispiel: „Haltungsjournalismus“. Journalisten – oft welche, die von ihren Kritikern für „linksgrünversifft“gehalten werden – versucht man mit diesem Wort zu diffamieren. Als sei Haltung schädlich und schändlich.
Zumindest in der Medienbranche ist damit bislang unter anderem gemeint, was weit oben auf den Titelseiten vieler Zeitungen steht: Unabhängigkeit und Überparteilichkeit. Journalistische Haltung macht auch aus, sich Menschenrechten, Demokratie, Meinungs- und Pressefreiheit oder etwa dem Pressekodex verpflichtet zu fühlen.