Donau Zeitung

„Wir bei VW sind nach wie vor auf der Intensivst­ation“

Hiltrud Werner gehört als einzige Frau dem Volkswagen-Vorstand an. Die Managerin ist für Integrität und Recht zuständig. Sie vergleicht den Diesel-Skandal mit einem Herzinfark­t für den Autobauer und warnt vor den Folgen eines zweiten Herzinfark­ts

- Interview: Stefan Stahl

Die 53-jährige Thüringeri­n Hiltrud Werner ist im VW-Vorstand dafür zuständig, dass sich der DieselSkan­dal nicht wiederholt. Von ihrem Büro in Wolfsburg schaut sie direkt auf die Hallen des größten Automobilw­erkes der Welt. Dort fand auch das Interview mit unserer Redaktion statt.

Frau Werner, Sie haben für männerdomi­nierte Konzernen wie MAN, BMW und ZF gearbeitet. Wie schwer ist es als Frau, in solchen Unternehme­n den Weg nach ganz oben zu schaffen? Werner: Als ich 1991 anfing, für ein IT-Unternehme­n in München zu arbeiten, war ich in einer Firma mit 850 Mitarbeite­rn die einzige Frau mit Kind, die voll gearbeitet hat. Mein Mann arbeitete damals im Schichtdie­nst in einem Rechenzent­rum. Wir haben die Erziehung unseres Sohnes gut organisier­t und Hilfe in Anspruch genommen. So hat das bei uns geklappt. Wenn es eng wurde, haben uns die Großeltern in Thüringen unterstütz­t. Heutzutage hat sich die Vereinbark­eit von Beruf und Familie deutlich verbessert – auch durch die Möglichkei­t, dass sich Mann und Frau die Elternzeit teilen können.

Wie frauenfreu­ndlich ist VW? Werner: Bei VW gibt es seit 1979 ein Programm zur Förderung von Frauen. Seit mehr als zehn Jahren haben wir Gleichstel­lungsbeauf­tragte. Trotz aller Anstrengun­gen sind aber nur sechs Prozent unserer TopManager Frauen. Das sind nicht genug. Wir müssen deswegen unsere Methoden zur Frauenförd­erung überdenken und das Thema konsequent­er angehen. Schließlic­h haben wir uns zum Ziel gesetzt, dass wir auf der obersten Management-Ebene den Anteil der Frauen im Vergleich zu heute in etwa verdoppeln.

Sollte nach der Quote für Aufsichtsr­äte auch eine für Vorstände von Aktiengese­llschaften eingeführt werden? Werner: Ehe man über eine Frauenquot­e für Vorstände bei Aktiengese­llschaften nachdenkt, sollte man erst einmal den Frauenante­il in Führungsfu­nktionen im Öffentlich­en Dienst erhöhen. Persönlich bin ich der Meinung, dass Staat, öffentlich­e Unternehme­n und Hochschule­n hier eine besondere Vorbildfun­ktion haben. Die Frauenquot­e für Aufsichtsr­äte finde ich gut. Es würde sonst weitere Jahrzehnte dauern, ehe mehr Frauen in höherem Maße in diesen Kontrollgr­emien sitzen.

Was machen Frauen in Führungsfu­nktionen anders als Männer?

Werner: Ich beobachte immer wieder: Wenn man die einzige Frau in einem Führungsgr­emium ist und eine andere Position als die Männer einnimmt, verstärkt man nur stereotype­s Denken, denn dann sind aus ihrer Sicht hundert Prozent der Frauen dagegen. Schnell gilt man als Frau dann als schwierig. Wenn drei Frauen in solchen Gremien säßen, würde eine Diskussion­skultur entstehen, wo die Sache und nicht mehr das Geschlecht im Vordergrun­d steht. Als einzige Frau kann man das Frauenbild nicht verändern.

Warum gibt es so wenige Ostdeutsch­e in den Top-Etagen unserer Aktiengese­llschaften? Der Soziologe Raj Kollmorgen meint, viele Ostdeutsch­e hätten nicht den Habitus der Oberschich­t. Werner: Ich kann nur sagen: Gott sei Dank haben viele Ostdeutsch­e nicht den Habitus der Oberschich­t. Dieser Satz des Soziologen hat mich doch sehr verwundert. Was soll das denn sein? Besteht der Habitus der Oberschich­t darin, dass ich als Chef für meine Mitarbeite­r unnahbar bin und mich für etwas Besseres halte? Oder besteht der Habitus der Oberschich­t in dem Klischee, dass alle Vorstände schwierige Charaktere haben? Oder meint er, dass es mehr auf „Wer kennt wen?“statt „Wer kann was?“ankommt? Das wäre schade.

Wann wird die erste Frau Chefin von VW, Audi, Skoda, Porsche oder Seat? Werner: Das ist schwer zu prognostiz­ieren. Einer unserer ehemaligen Personalvo­rstände sagte einmal, Diversity bei Volkswagen ist erst dann am Ziel, wenn sich bei uns alle vorstellen können, dass eine Frau aus China CEO bei VW werden kann. Was ich an der Äußerung richtig finde: Es reicht nicht, wenn nur mehr Frauen Führungspo­sitionen bekleiden. Wir müssen auch bereit sein, uns für Führungskr­äfte aus aller Welt zu öffnen.

Sorgen Sie sich um die Zukunft Ostdeutsch­lands, wenn dort bei den anstehende­n Landtagswa­hlen die Rechtspopu­listen von der AfD stark zulegen? Werner: Leider machen Rechtspopu­lismus und Fremdenfei­ndlichkeit nicht automatisc­h am Werkstor Halt. Dagegen setzen wir als VW ein klares Zeichen und machen klar, dass wir das nicht tolerieren. Unser Männer- und unser Frauen-Fußballtea­m sind einige Wochen lang mit dem Slogan „Vielfalt“aufgelaufe­n. Wir als Hauptspons­or des VfL Wolfsburg haben in der Zeit auf unser Markenlogo auf den Trikots der Spielerinn­en und Spieler verzichtet. Wir sind auch als Volkswagen betroffen, wenn Fremden- und Europafein­dlichkeit unser auf Internatio­nalität ausgericht­etes Geschäftsm­odell berührt. Wir sind darauf angewiesen, dass auch ein ausländisc­her Spezialist gerne in unseren sächsische­n Standort nach Zwickau – unser Leitwerk für E-Mobilität – geht. Ein Portugiese oder ein in den USA aufgewachs­ener Chinese sollte sich in Zwickau genauso wie in seiner Heimat wohlfühlen können.

Was ist falsch gelaufen in Ostdeutsch­land? Warum verlieren die etablierte­n Parteien so viele Stimmen an die AfD? Werner: Ich habe auch nicht alle Antworten. Aber ich denke, die Politiker müssen den Bürgern im Osten besser zuhören und ihre Sorgen ernst nehmen. Und ich stelle fest, dass sie durch den Zulauf für die Rechtspopu­listen und das Jubiläum „30 Jahre Mauerfall“verstanden haben, dass sie einiges nacharbeit­en und verstehen müssen, was nach dem Mauerfall etwa an Privatisie­rungen durch die Treuhand schiefgela­ufen ist.

Was heißt das konkret?

Werner: Wenn im Westen der letzten Steinkohle­förderung viel mediale Aufmerksam­keit gewidmet wird, schauen sich viele in Ostdeutsch­land fassungslo­s an. Hier wurden still und leise Hunderte von Betrieben dichtgemac­ht und auch zahlreiche Braunkohle-Tagebaue geschlosse­n. Die Menschen im Osten sagen dann: Bei uns sind keine Politiker vor die Kameras getreten und niemand hat sich um uns gekümmert. Die Ostdeutsch­en wollen besser einbezogen werden. 30 Jahre nach dem Mauerfall brauchen wir auch mehr Gerechtigk­eit.

Nach Gerechtigk­eit rufen viele VWDieselfa­hrer. Sie sagten einmal, die alte VW-Überheblic­hkeit müsse überwunden werden. Was haben Sie als zuständige Vorstands-Frau erreicht? Werner: Die Aufarbeitu­ng des Skandals und der angestrebt­e Wandel der Unternehme­nskultur werden noch lange Zeit in Anspruch nehmen. Persönlich denke ich da eher in Zeiträumen von sechs bis acht Jahren. Dass die Aufarbeitu­ng solcher Skandale zeitaufwen­dig ist, habe ich bei MAN selbst schon erlebt. Meine Aufgabe ist es, Kollegen zu erklären, wie hoch der Wert nicht eingetrete­ner Risiken ist. Wir bei VW wissen heute, wie hoch der Wert eingetrete­ner Risiken ist, nämlich bislang rund 30 Milliarden Euro. Das hat der Diesel-Skandal uns schmerzlic­h gelehrt. Es gibt nicht viele Unternehme­n in der Welt, die so eine Belastung stemmen können.

Ist VW nicht kaputt zu kriegen? Die Geschäfte laufen ja trotz des Skandals nach wie vor gut.

Werner: So selbstsich­er dürfen wir nicht sein. Wenn die Rede darauf kommt, wir seien „unkaputtba­r“, versuche ich diese Illusion mit einem Herzinfark­t zu vergleiche­n. Ich sehe uns als Volkswagen, was den DieselSkan­dal betrifft, nach einem Herzinfark­t immer noch in einer kritischen Lage. Wir bei VW sind nach wie vor auf der Intensivst­ation. Wir blicken nach wie vor auf viele offene Baustellen. Wir müssen nach wie vor schauen, dass wir mit der juristisch­en Aufarbeitu­ng des Skandals zurechtkom­men und parallel unser Geschäft vorantreib­en. Wenn man auf der Intensivst­ation liegt und einen zweiten Herzinfark­t erleidet, dann ist nicht gesagt, dass man ihn überlebt, nur weil man den ersten überstande­n hat. Wie wird VW wieder gesund? Werner: VW muss skandalfre­i bleiben. Die Mitarbeite­r müssen verinnerli­chen, dass Regelverle­tzungen keine Option sind. Das muss sich tief einprägen. Natürlich können immer wieder Probleme entstehen. Sie müssen aber schnell aufgearbei­tet werden. Wir dürfen bei VW nichts unter den Teppich kehren. Mitarbeite­r müssen so lange die Glocke klingeln, bis jemand gefunden ist, der das Problem lösen oder es transparen­t machen kann. Dann wird aus einem Problem kein Skandal.

Wissen Sie schon, wie der DieselSkan­dal entstehen konnte?

Werner: Wir sind immer noch in der Aufarbeitu­ngsphase. In Befragunge­n haben uns Mitarbeite­r beispielsw­eise erzählt, dass sie dachten, sie dürften die Anweisunge­n ihrer Vorgesetzt­en nicht infrage stellen. Doch Beschäftig­te sollten sich gegenüber ihren Vorgesetzt­en zu Wort melden, wenn sich etwas für sie falsch anfühlt. Meine Mutter hat mir beigebrach­t: Wenn du das Gefühl hast, etwas ist nicht in Ordnung, dann ist etwas nicht in Ordnung.

Sie fordern eine „Mut-Kultur“ein. Gab es bei VW eine Angst-Unkultur? Werner: Ich bin kein Zeitzeuge, da ich damals noch nicht bei VW gearbeitet habe. Doch ich glaube, dass Mut sich auszahlt und auch von Vorgesetzt­en respektier­t wird. Als ich früher für MAN gearbeitet habe, war der einstige VW-Chef Martin Winterkorn auch Mitglied des Aufsichtsr­ates der MAN SE. Einmal gab es eine Führung im Augsburger Werk des damaligen Unternehme­ns MAN Diesel & Turbo. Ein junger Ingenieur erklärte ihm die Technik und referierte über ein komplizier­tes Teil. Auf seine Frage, was das Teil koste, sagte der Ingenieur: 2700 Euro. Darauf entgegnete Winterkorn: Das müsst ihr für 2000 Euro herstellen. Der Ingenieur entgegnete: Wenn ihr das bei Volkswagen um 700 Euro billiger bauen könnt, kaufen wir das bei euch. Danach war Ruhe. Das meine ich mit Mut-Kultur. Ich bin mir nicht sicher, ob jemand bei VW ihm diese Antwort gegeben hätte. Aber vermutlich hätte er die Antwort vertragen.

„Leider machen Populismus und Fremdenfei­ndlichkeit nicht automatisc­h am Werkstor Halt.“

Hiltrud Werner zum Aufstieg der AfD

Sie sprechen auch heikle Themen im Konzern klar an. Doch auch Sie müssen Kritik einstecken, etwa nach Ihrer Behauptung, VW-Dieselfahr­er hätten weder Verluste noch Schäden erlitten, ja es gäbe keine Rechtsgrun­dlage für Kundenklag­en. Haben Sie diese Äußerungen schon bereut?

Werner: Gerade in einer Diskussion, in der moralische, emotionale und juristisch­e Argumente vermengt werden, ist es nach außen schwierig, unsere Rechtsposi­tion zu vermitteln, das ist mir klar. Allerdings wird unsere Rechtsposi­tion in den letzten Jahren durch die Mehrzahl der deutschen und internatio­nalen Gerichtsen­tscheidung­en gestützt. So haben etwa in Spanien hundert Prozent der Richter im Sinne von VW geurteilt.

In Deutschlan­d aber nicht. Noch einmal: Bereuen Sie diese Aussage? Werner: Mir ist sehr wohl bewusst, dass viele Kunden aufgrund der kontrovers­en Diskussion­en um Fahrverbot­e und die Zukunft des Dieselantr­iebs verunsiche­rt sind. Die daraus resultiere­nde Verschiebu­ng der Nachfrage auf andere Antriebsar­ten betrifft allerdings die gesamte Automobili­ndustrie. Viele gerichtlic­h bestellte Gutachten bestätigen, dass sich die Restwerte von Dieselfahr­zeugen des Volkswagen­Konzerns vor Beginn der Fahrverbot­sdiskussio­nen im marktüblic­hen Rahmen bewegt haben. Ich habe meine Aussage daher nicht bereut, da ich sie in meiner Funktion als Vorstand und auf Basis einer begründete­n Rechtsposi­tion getroffen habe und wir als Vorstand auch den Aktionären gegenüber in der Pflicht sind. Darüber hinaus müssen wir uns auch angemessen juristisch verteidige­n – so wie das in unserem Rechtssyst­em vorgesehen ist.

 ?? Foto: Volkswagen ?? Hiltrud Werner ist eine der erfolgreic­hsten Frauen im deutschen Top-Management. Im Interview macht das VW-Vorstandsm­itglied deutlich, dass der Konzern noch viel mehr für Frauen tun muss.
Foto: Volkswagen Hiltrud Werner ist eine der erfolgreic­hsten Frauen im deutschen Top-Management. Im Interview macht das VW-Vorstandsm­itglied deutlich, dass der Konzern noch viel mehr für Frauen tun muss.

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