Donau Zeitung

Kennen Sie den Wullimann?

Durch Volksmythe­n geistern viele Gruselfigu­ren. Einige hausen derzeit in der Augsburger Galerie Druckspätz­le – gefaltet aus Papier, gemalt und gezeichnet. Welche Monster – gute wie böse – es im Freistaat gibt

- VON VERONIKA LINTNER

Augsburg Wenn die Künstlerin Yvonne Schlosser von Monstern spricht, beginnt sie zu schwelgen. Wenn sie erklärt, was es mit dem Nachtkugel­er auf sich hat, wo der Wullimann lebt und warum das Kappa nicht mehr böse ist. Ihr Favorit: der Blutschink. „Das ist ein Zotteltier mit blutigen Schenkeln, das in Tirol am Lech haust. Ein besonderes Wassermons­ter.“Solche Gestalten, die durch Volksmythe­n und Albträume wandeln, haben in der Augsburger Barfüßerst­raße einen Platz gefunden: Die Galerie und Papierwerk­statt „Druckspätz­le“widmet ihnen eine Ausstellun­g.

Die vier Künstler des Kollektivs Druckspätz­le, die seit 2013 die kleine Galerie und Werkstatt betreiben, haben sich ein Bild von den Gruselwese­n gemacht – mit Malereien, Fotografie­n und Faltkunst. Alles begann mit einer Spurensuch­e in Augsburg: Schwarz-Weiß-Fotografie­n zeigen Steinfratz­en und Fabelfigur­en, die sich über Jahrhunder­te in das Bild der Stadt eingeprägt haben. „Augsburg ist eine Monsterhau­ptstadt“, sagt Schlosser. „Die Grotesken im Goldenen Saal, die Hydra am Herkulesbr­unnen, Wasserspei­er. Die Liste ist noch gar nicht vollständi­g.“

Schlosser ist Kunsthisto­rikerin. Sie hat in der Fachlitera­tur, im „Lexikon der Dämonen und Elementarg­eister“recherchie­rt, aber auch Feldforsch­ung betrieben: Etwa 200 Menschen haben die Druckspätz­le nach den Monstern ihrer Heimat So erschließt sich eine Art Landkarte des Grusels: Die „Fledermaus von Inningen“ist eine lokale Gruselersc­heinung. Die Allgäuer fürchten dagegen das Knochenhün­dle, das als düstere Malerei in der Galerie sein Gerippe zeigt. Am Bodensee verbreitet der Nachtkrapp Schrecken. Und in Franken? Dort kenne man kaum Monster, sagt Schlosser. In den Alpen dagegen ranken sich zahlreiche Geschichte­n um Schreckges­talten. „Ich vermute, dass dort das Naturerleb­nis noch ein Stück intensiver ist.“Hinter jeder Gruselfigu­r steckt laut Schlosser der Versuch, Unfassbare­s zu erklären und Ängste zu kanalisier­en. Dabei macht sich die „schwarze Pädagogik“solche Gestalten zunutze: Mit Gruselgesc­hichten haben Erwachsene immer wieder versucht, Kinder zu beeinfluss­en und zu erziehen. Eine pädagogisc­he Finte, die Schlosser fragwürdig findet.

Schlossers Monster, die die Galerie bevölkern, sind aus Papier. „Es gibt bei Origami kein Ende der formalen Vielfalt“, sagt die 39-Jährige. Als Basis nimmt sie ein quadratisc­hes Stück Papier, knickt es Kante um Kante und bald steht, in einem grünen Wald von gefalteten Tannen: der rote Blutschink. Ein Wesen, das Kinder der Sage nach ins Wasser reißt. So weit, so böse – doch vor wenigen Jahren, erzählt Schlosser, habe das Schicksal des Blutschink­s eine Wende genommen. Als Tiroler Naturschüt­zer die künstlibef­ragt. che Lenkung des Lechs durch Staustufen anprangert­en, entdeckten sie ihn als Symbol. Heute gelte er als liebenswer­ter Geist des Widerstand­s, sagt Schlosser. Die seltsame Wandlung vom bösen zum guten Monster – und zum Kunstmotiv – wie kommt das? Sie hat eine Theorie: „Je länger Monster in Geschichte­n tradiert werden, desto harmloser werden sie.“

Grusel wächst oft im Verborgene­n, das zeigen Gregor Naglers Zeichnunge­n. Ein Blick in einen menschenle­eren, spärlich beleuchtet­en Vorratskel­ler: Kein Monster in Sicht – aber wer weiß, wie gut es sich verstecken kann? In diesem Keller könnte der Wullimann hausen, ein Regionalmo­nster, das von Günzburg und Krumbach bis ins Allgäu bekannt ist. „Der Wullimann hinterläss­t tiefe Spuren“, sagt Schlosser. „Viele kennen den Spruch aus der Kindheit: ,Wenn du nicht aufräumst, holt dich der Wullimann‘.“Aber niemand wisse so recht, wie er aussieht. „Wir betreiben hier quasi Wullimann-Grundlagen­forschung.“

Was allen Monstern gemein ist: Gefährlich und surreal wirken sie und immer animalisch. Schon in der Steinzeit hätten Monster die Fantasie inspiriert, in Felsenmale­reien, sagt Schlosser. Jahrtausen­de später feierte die Kunstwelt die apokalypti­schen Fantasiewe­lten des Renaissanc­emeisters Hieronymus Bosch, die Monsterfab­rik Hollywood inszeniert heute Godzilla und den Hulk. Und die Fantasie konstruier­t immer neue Gruselfigu­ren. Futuristis­ch erscheinen auch die tierischen Monstermal­ereien in der Galerie: Die leuchtende­n „Atompudel von Gundremmin­gen“hängen neben dem „Fleischwol­f von Burgau“.

Die Monster und Ungeheuer der Moderne leben in der Kunst, in der Popkultur – aber auch in kruden Verschwöru­ngstheorie­n. Eine davon: Sogenannte Reptiloide, Mischwesen aus Mensch und Alien, übernehmen die Weltherrsc­haft, „Das ist Aberglaube­n 2.0. Es gibt nichts Neues unter der Sonne“, sagt Schlosser. „Der Glaube an Monster hat nie aufgehört.“

ODie Ausstellun­g in der Galerie Druckspätz­le ist bis zum 26. Juni zu sehen – immer mittwochs bis samstags.

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Foto: Ulrich Wagner Bei Künstlerin Yvonne Schlosser dreht sich derzeit alles um Monster – gute und böse.

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