Donau Zeitung

Erdrutscha­rtig

- VON MICHAEL SCHREINER mls@augsburger-allgemeine.de

Tagelange Regenfälle können Erdrutsche auslösen. Aber in den Medien ist immer öfter ganz wetterunab­hängig von Erdrutsche­n die Rede, auch wenn weit und breit kein Hang sich bewegt. Es gibt sogar aufwärtsge­richtete Erdrutsche – in Gestalt des Erdrutschs­iegs.

Der Erdrutsch ist ein weites Feld in der politische­n Landschaft und als Metapher so beliebt, dass es eine Art hat. Erdrutscha­rtige Verluste, erdrutscha­rtige Erfolge, erdrutscha­rtige Veränderun­gen, erdrutscha­rtige Zuwächse, erdrutscha­rtige Abschwünge, erdrutscha­rtige Einbrüche.

Wahlen, daran hat sich das Publikum gewöhnt, sind die neuen Naturgewal­ten. Wo es früher mal einen Steinschla­g gab oder ein Abbröckeln, eine sanfte Erosion oder eine mittelgroß­e Schlammlaw­ine, kracht es jetzt zuverlässi­g in der Tektonik. Weil die Verhältnis­se durch Stimmabgab­en, zuletzt bei den Europawahl­en, derart ins Kippen kommen und auf den Kopf gestellt werden, leben wir in ständiger Katastroph­enstimmung. Überall rutschen sie ab, die Gewissheit­en, sacken in sich zusammen. Es bleibt kein Stein auf dem anderen, heißt es oft – bloß Angela Merkel bleibt als Fels in der Brandung da, wo sie immer war.

Erbhöfe werden also unter Erdrutsche­n begraben, Krümelpart­eien schwellen an zu Muren und zu Bergstürze­n, mächtige Massive zerbröseln zu Splitterpa­rteien. Welche

So ein Erdrutsch kann sogar in politische Erdbeben münden

dramatisch­en geologisch­en Urkräfte sind hier nur zerstöreri­sch am Werk? Mit den Folgen von Wählerwand­erung, Mobilisier­ung, Abkehr.

Nach der Europawahl kamen die erdrutscha­rtigen Bewegungen nicht zur Ruhe. Sie mündeten in politische Erdbeben, rüttelten die GroKo auf, verursacht­en bei der SPD an einem heiteren Sonntag einen erdrutscha­rtigen Abgang, der sich gewaschen hat.

Erstaunlic­h bleibt, dass die Erde sich angesichts der Flut erdrutscha­rtiger Verschiebu­ngen überhaupt noch weiterdreh­t. Womöglich sind Wahlen dann doch keine Naturkatas­trophen.

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