Erdrutschartig
Tagelange Regenfälle können Erdrutsche auslösen. Aber in den Medien ist immer öfter ganz wetterunabhängig von Erdrutschen die Rede, auch wenn weit und breit kein Hang sich bewegt. Es gibt sogar aufwärtsgerichtete Erdrutsche – in Gestalt des Erdrutschsiegs.
Der Erdrutsch ist ein weites Feld in der politischen Landschaft und als Metapher so beliebt, dass es eine Art hat. Erdrutschartige Verluste, erdrutschartige Erfolge, erdrutschartige Veränderungen, erdrutschartige Zuwächse, erdrutschartige Abschwünge, erdrutschartige Einbrüche.
Wahlen, daran hat sich das Publikum gewöhnt, sind die neuen Naturgewalten. Wo es früher mal einen Steinschlag gab oder ein Abbröckeln, eine sanfte Erosion oder eine mittelgroße Schlammlawine, kracht es jetzt zuverlässig in der Tektonik. Weil die Verhältnisse durch Stimmabgaben, zuletzt bei den Europawahlen, derart ins Kippen kommen und auf den Kopf gestellt werden, leben wir in ständiger Katastrophenstimmung. Überall rutschen sie ab, die Gewissheiten, sacken in sich zusammen. Es bleibt kein Stein auf dem anderen, heißt es oft – bloß Angela Merkel bleibt als Fels in der Brandung da, wo sie immer war.
Erbhöfe werden also unter Erdrutschen begraben, Krümelparteien schwellen an zu Muren und zu Bergstürzen, mächtige Massive zerbröseln zu Splitterparteien. Welche
So ein Erdrutsch kann sogar in politische Erdbeben münden
dramatischen geologischen Urkräfte sind hier nur zerstörerisch am Werk? Mit den Folgen von Wählerwanderung, Mobilisierung, Abkehr.
Nach der Europawahl kamen die erdrutschartigen Bewegungen nicht zur Ruhe. Sie mündeten in politische Erdbeben, rüttelten die GroKo auf, verursachten bei der SPD an einem heiteren Sonntag einen erdrutschartigen Abgang, der sich gewaschen hat.
Erstaunlich bleibt, dass die Erde sich angesichts der Flut erdrutschartiger Verschiebungen überhaupt noch weiterdreht. Womöglich sind Wahlen dann doch keine Naturkatastrophen.