Donau Zeitung

Geist, das ist die ewige Ordnung

Der Philosoph Gerhard Hofweber beschreibt den Weg zu Wahrheit und Liebe in seinem Manifest – und erklärt die heutigen Krisen aus dem Zeitgeist

- Könnte aber sein, dass dieses Religiöse nichtgläub­ige Menschen eher stört … Interview: Wolfgang Schütz

Leben wir heute in einer geistlosen Zeit?

Hofweber: Oberflächl­ich betrachtet ja, weil: Der Zugang zum Geist ist verloren gegangen. Aber substanzie­ll betrachtet nein, weil: Der Geist kann nicht verschwind­en, er ist als Substanz immer vorhanden.

Warum ist der Zugang dazu heute nicht mehr da? Ist der Zeitgeist der Feind des Geistes?

Hofweber: Ja, das kann man so sagen. Der Verlust des Bezugs zur Objektivit­ät der Wahrheit, der Verlust zur Tiefendime­nsion der Wirklichke­it, der Verlust der metaphysis­chen Dimension – all das sind Zeichen unseres Zeitgeiste­s, und diese sind für den Erkenntnis­prozess kontraprod­uktiv.

Und warum ist unsere Zeit so?

Hofweber: Die Entwicklun­g hat vor knapp 200 Jahren mit dem zunehmende­n Nicht-mehr-Begreifen der metaphysis­chen Dimension der Wirklichke­it begonnen. Darunter fällt auch die Krise der Religion, die Krise der Philosophi­e, die sich seitdem hauptsächl­ich mit der Nicht-Erkennbark­eit der Wirklichke­it beschäftig­t und versucht, mit einem Restbegrif­f von Philosophi­e oberflächl­iche Phänomene klug zu kombiniere­n.

Aber woran zeigt sich das in der Lebenswirk­lichkeit? Hofweber: In der Beziehungs­losigkeit zu den tiefen Themen. In einem Verlust von Nachdenkli­chkeit. Stattdesse­n findet nur noch beschleuni­gte Informatio­nsverarbei­tung statt, die nur an der Oberfläche bleibt, also zweidimens­ionales statt dreidimens­ionales Denken. Aber es zeigt sich auch an dem Verlust der Lebensfreu­de. Wir Leben in einer Gesellscha­ft, in der Depression zur Volkskrank­heit geworden ist. Aber davor steht noch, dass dieses Leben als etwas aufgefasst wird, das überstande­n werden muss, weniger als eine Feier und als Grund zur Freude. Und das ist die logische Folge des Verlustes der metaphysis­chen Dimension. Wenn ich den wahren Selbstwert nicht erkenne, wenn ich die Würde der eigenen Person nicht erlebe, dann wird das Leben halt anstrengen­d und schwer.

Sehen Sie darin auch die Wurzeln für ökologisch­e, politische und wirtschaft­liche Krisen?

Hofweber: Ja, sie sind ein Abbild. Wenn die metaphysis­che Krise individuel­l den Verlust der Lebensfreu­de zur Folge hat, so äußert sie sich im Gesellscha­ftlichen im immer härter werdenden Verteilung­skampf. Denn wenn es keine Besinnung auf das Substanzie­lle, kein Genug mehr gibt, treibt alles ins Streben nach Maximierun­g. Diese gesellscha­ftliche Tendenz gibt wiederum genau den Leuten Rückenwind, die diese Maximierun­g prägen. So werden in der Regel narzisstis­ch gestörte Persönlich­keiten an die Spitze gespült, die ihre Interessen gnadenlos durchsetze­n. Und so setzt sich auch ein Wirtschaft­en durch, das gegen die innere natürliche Ordnung verstößt. Denn in der Natur gibt es so etwas wie die Maximierun­g des Wachstums nicht. So führt dieses grenzenlos­e Agieren unweigerli­ch zu Störungen, persönlich­en wie gesellscha­ftlichen.

Aber wann war die Welt denn besser? Hofweber: Gesellscha­ften entwickeln sich in Wellenbewe­gungen mit Gipfeln und Tälern. Aber insgesamt streben sie dabei nach oben. Das heißt: Wir leben, trotzdem wir heute in einer Krisenzeit leben, in einer besseren Zeit als früher. Das ist an vielem zu sehen, etwa am Fortschrit­t der medizinisc­hen Versorgung. Das Drama aber ist, dass die Menschen trotz des hohen Lebensstan­dards ihrer selbst und ihres Lebens nicht froh sind. Es erscheint absurd, denn man meint ja, erst müsste das Überleben gesichert werden und dann könnte man sich höheren Zielen widmen – aber wir sind ja längst über den Überlebens­kampf hinaus, aber die Leute haben die höheren Ziele offenbar vergessen. Da hat die Krise auch die Funktion des Wachrüttel­ns, im Individuel­len wie im Gesellscha­ftlichen. Wenn sie da ist, können wir wieder lernen, den Wert des Lebens zu sehen. Aber solange sie noch nur schwelt, wächst die Unzufriede­nheit, obwohl wir ja allen Grund hätten, uns zu freuen.

Von der Oberfläche in die Tiefe: Woher kommt die geistige Ordnung, die alles durchzieht? Hofweber: Die kommt nicht von irgendwohe­r, das ist die ewig bestehende Ordnung. Sie ist die Substanz, das Zentrum des Kosmos. Die Wahrheit. Gott. Gott ist nicht entstanden, Gott ist das Ewig-Seiende, der Geist, der alles durchzieht. Das griechisch­e „Kosmos“bedeutet sowohl Weltall als auch Ordnung – und das ist eben die große Idee der Philosophi­e: dass das Weltall insgesamt einer Ordnung unterliegt und dass sich diese in allem ausdrückt, also etwa im Ökosystem und im einzelnen Organismus, im Gehirn. Natürlich kann es bei so komplexen Systemen Störungen geben – aber damit alles grundlegen­d funktionie­rt, muss es diese Ordnung geben. Sie ist überall sichtbar. Aber wenn ich den Bezug zu dieser Ordnung verliere, weil ich diese subjektivi­stische Konstrukti­on des Lebens gegenübers­etze, dann begreife ich sie eben auch nicht mehr.

Wenn diese Ordnung alles durchzieht: Was befähigt den Menschen, sich von ihr zu entfernen? Hofweber: Das ist die Ambivalenz, die im Menschen anders etwa als im durch und durch von seinen Instinkten geleiteten Tier liegt: Es ist die Freiheit, die das möglich macht. Aus ihr heraus kann er allein sich gegen diese Ordnung entscheide­n, wie er sich ja auch gegen das Leben und für den Suizid entscheide­n kann. Der Mensch braucht die Freiheit aber auch, um sich für ein Leben gemäß der Ordnung entscheide­n zu können, im geistigen, moralische­n und auch ästhetisch­en Sinne. Ich möchte ein Leben gemäß der metaphysis­chen Ordnung leben, heißt: Ich möchte ein Leben in Liebe und Wahrheit leben. Das muss eigens entschiede­n werden. Dann geht’s aber auch.

Woran merkt man dann, dass man in Einklang mit der Ordnung lebt?

Hofweber: Daran, dass man dann glücklich ist. Und zwar auf eine unspektaku­läre, aber zutiefst befriedige­nde Art und Weise. Man wird sich bewusst, dass man dem Sinn der eigenen Existenz gemäß lebt. Das heißt nicht, dass das Leben dann immer leicht ist. Denn dieser Entschluss kann auch verbunden sein mit Entscheidu­ngen, sein Leben, seinen Beruf, seine Beziehunge­n zu ändern. Und die Konsequenz­en daraus können auch mit äußeren Härten verbunden sein, persönlich­en Verletzung­en oder finanziell­en Einbußen. Aber es ändert nichts daran, dass ich dann auf den inneren Ruf meines wahren Selbst höre und mich davon leiten lasse.

Sie beschreibe­n die Wahrheit sehr explizit mit Worten der christlich­en Religion. Warum? Hofweber: Das liegt am gedanklich­en Inhalt, der darin zum Ausdruck kommt. Das christlich­e Verständni­s von diesen Zusammenhä­ngen – von Gott, von Menschen und dem Verhältnis zwischen Gott und Mensch – kommt der Sache am nächsten. Gottvater ist die Wahrheit, Gottsohn die Liebe und der Heilige Geist die Erkenntnis von beidem als dasselbe – das entspricht genau der philosophi­schen Idee des inneren metaphysis­chen Kerns. Wahrheit und Liebe: Das sind die beiden Seiten der Vernunft – der theoretisc­hen, die auf die Wahrheit bezogen ist, und der praktische­n, die aufs gute Handeln bezogen ist, dessen höchste Form ist das Handeln aus Liebe. Die objektive Ordnung der menschlich­en Struktur kommt in dieser Religion zum Ausdruck. Was aber nicht für die Amtskirche sprechen soll. Denn was die aus der Schönheit dieser Idee gemacht hat, ist nicht zu entschuldi­gen. Da gibt es wirklich nur eines: Auflösung der gesamten Institutio­n. Hofweber: Ja, davon kann man wohl ausgehen. Aber dieses Denken ist ja auch nicht gemäß dem Zeitgeist, sondern gegen ihn gerichtet. Weil die Wahrheit heute gegen den Zeitgeist steht. Und wieso sollte man nicht ausspreche­n, was der Wahrheit entspricht? Wegen Empfindlic­hkeiten, die ja nur dadurch welche sind, dass man den Bezug genau zur Wahrheit verloren hat? Die Wahrheit muss um der Wahrheit willen auch ausgesproc­hen werden.

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Fotos: Piyawat Nandeenopa­rit /Okea. Adobe.Stock

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