Geringe Chance auf langes Leben
Der chinesische Forscher He Jiankui schockierte die Welt mit seinen Genexperimenten an Babys. Nun werden die Folgen für die Kinder klarer
Es war ein Versuch, der eine Schockwelle rund um den Globus ausgelöst hat: Im November vergangenen Jahres hat der chinesische Biophysiker He Jiankui mittels Youtube-Video bekannt gegeben, dass er das Erbgut eines Zwillingspärchens vor der Geburt manipuliert hat. Er wolle beweisen, dass man mit einem gentechnischen Eingriff ungeborene Kinder HIVinfizierter Eltern vor der Erkrankung schützen könne, sagte der Forscher. Die zwei von ihm behandelten Zwillingsmädchen Lulu und Nana seien völlig gesund zur Welt gekommen – und immun gegen Aids.
Experten auf der ganzen Welt reagierten empört auf die Veröffentlichung. Weil der Versuch eine Tür weit aufgestoßen hat, die man zumindest so lange noch fest geschlossen halten wollte, wie die möglichen Folgen der von He Jiankui verwendeten Technik nicht absehbar sind. Anders als von He dargestellt, brachte die von ihm angewandte Methode nämlich auch keinen wissenschaftlichen Durchbruch: Mit einer Medikamententherapie kann in der Regel schon heute verhindert werden, dass Partner sich gegenseitig das Virus übertragen oder an ein gemeinsames Kind weitergeben.
Nun haben Forscher die Befürchtungen vor ungewollten Nebenwirkungen
der ungenehmigten Genversuche mit Tatsachen untermauert: Die genetische Veränderung, die unempfindlich gegen den Aids-Erreger HIV macht, erhöht das Sterberisiko durch andere Krankheiten. Menschen mit der Genveränderung haben eine um 21 Prozent verminderte Chance, das Alter von 76 Jahren zu erreichen, schreiben amerikanische Forscher im Fachjournal Nature Medicine.
Der Aids-Erreger HIV nutzt ein Zellprotein, das vom Gen CCR5 codiert wird, um Zellen des Immunsystems anzugreifen. Menschen, die eine mutierte Variante des CCR5-Gens haben, können daher immun gegen Aids sein. Aber es gibt eine Reihe von Komplikationen. So ist das genannte Protein zwar das wichtigste, aber nicht das einzige Einfallstor für das Virus. Und das Protein wirkt im Organismus an vielen anderen Prozessen mit, etwa im Gehirn oder bei der Abwehr anderer Erreger, etwa Grippeviren.
He gab an, das Gen CCR5 mit Hilfe der Genschere Crispr/Cas9 aus dem Erbgut der Zwillinge entfernt zu haben. Denn nach seinen Angaben seien etwa 100 Millionen Menschen, die wegen der genetischen Mutation Delta 32 kein CCR5-Protein bilden, gesund.
Dass dies zu kurz gegriffen ist, zeigt nun die aktuelle Untersuchung, für die Xinzhu Wei und Rasmus Nielsen von der University of California in Berkeley auf eine britische Gen-Datenbank zurückgegriffen haben, in der von mehr als 400000 Menschen im Alter von 40 bis 78 Jahren verzeichnet ist, welche Genvarianten von CCR5 sie tragen. Statistisch haben Menschen, die eben jene Delta-32-Mutation in sich tragen eine um 21 Prozent geringere Wahrscheinlichkeit, 76 Jahre alt zu werden.
„Hier ist ein funktionelles Protein, von dem wir wissen, dass es im Organismus eine Wirkung hat“, wird Nielsen in einer Mitteilung seiner Universität zitiert. Das Protein sei in fast allen Menschen und den meisten Tieren zu finden. „Daher ist es wahrscheinlich, dass eine Mutation, die das Protein zerstört, im Durchschnitt nicht gut für sie ist.“
Wissenschaftliche Untersuchungen ergaben, dass die Delta-32-Mutation zwar möglicherweise auch Schutz gegen Krankheitserreger wie Pocken und einige andere Viren bietet. Andererseits ist die Sterblichkeitsrate bei einer Grippe-Infektion einer früheren Studie zufolge um das Vierfache erhöht.
Wei und Nielsen distanzieren sich von Hes Forschung: „Die CrisprTechnologie ist viel zu gefährlich, um sie derzeit für die Keimbahnbearbeitung zu verwenden.“
Auch der deutsche Ethikrat hat sich jüngst für ein Moratorium für solche Anwendungen der Gentechnik ausgesprochen. Wegen ihrer noch unabsehbaren Risiken seien genetische Eingriffe in die Keimbahn derzeit unverantwortlich.
He wurde mittlerweile von seiner Universität im südchinesischen Shenzhen entlassen, weitere Forschung wurde ihm untersagt. Zudem hatten 122 chinesische Wissenschaftler Hes Experiment in einem offenen Brief als „verrückt“verurteilt. Stefan Parsch , dpa/maz