„Das ist ein Erfolg für Scholz“
US-Internet-Giganten wie Google und Amazon sollen nun wirkungsvoller besteuert werden. Bisher zahlen die amerikanischen Riesen viel weniger als klassische Konzerne
Tokio/Berlin Der US-Handelsbeauftragte hatte es vorgezogen, zu Hause zu bleiben. Robert Lighthizer wollte mit seinen Kollegen aus den einflussreichsten Ländern der Welt nicht in Japan von Angesicht zu Angesicht über den freien Austausch von Gütern beraten. Sein demonstratives Fernbleiben zeigt wie unter dem Brennglas, dass die USA sich von der einst von ihnen errichteten Freihandelsordnung abkehren.
Washington hatte lediglich einen Diplomaten in das Land der aufgehenden Sonne entsandt, das zu seinen engsten Verbündeten zählt. In eiliger Telefondiplomatie mit Lighthizer versuchten die Gastgeber, einen Eklat zu verhindern, damit die ohnehin entwertete Tagung nicht ohne gemeinsame Abschlusserklärung endet. Den in letzter Minute nach nächtlichen Verhandlungen zusammengezimmerten Kompromiss bezeichnete Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) am Sonntag als akzeptables Papier. In der Sprache der internationalen Beziehungen bedeutet akzeptabel so viel wie Beinah-Katastrophe.
Die formelle Einigung ist noch keine Lösung für die ungeklärten Handelsfragen zwischen den USA und China und zwischen den USA und Europa, räumte der CDUMann ein. Er war aus St. Petersburg nach Japan gekommen, wo er versuchte, das deutsche Konzept für die Gasröhre Nord Stream 2 zu retten. Der japanische Wirtschaftsminister und Gastgeber Hiroshige Seko sah sich sogar genötigt, eine gesonderte Erklärung herauszugeben. Darin betonte er im Namen vieler Länder der G20-Staatengruppe, dass Handelsabkommen mit den Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) übereinstimmen müssen.
Hier liegt des Pudels Kern. Die USA unter Präsident Donald Trump wollen die WTO schleifen, weil die Schiedsgerichte der Organisation angeblich viel zu häufig gegen die Vereinigten Staaten urteilen. Derzeit blockieren sie die Nachbesetzung von Richterstellen der Berufungsinstanzen. Spätestens im November dieses Jahres ist die WTO lahmgelegt, weil nicht mehr genügend Richter für Entscheidungen parat stehen. In der Arena der Weltpolitik gibt es dann keine neutrale Institution zur Klärung von Handelsstreitigkeiten mehr, sondern es entscheidet wieder die pure Macht. Mit Ausnahme von China und der Europäischen Union könnte Amerika seine Interessen gegen alle Länder durchsetzen.
Im kommenden Jahr will sich Donald Trump zur Wiederwahl stellen. Um seine Anhänger zu mobilisieren, könnte er die Ellenbogen noch stärker gegen Freund und Feind ausfahren. Trump ist unberechenbar. Noch immer besteht seine Drohung fort, den Export von Autos in die Vereinigten Staaten mit Strafzöllen zu belegen. Deutschland und Japan wären die davon am härtesten betroffenen Länder. Auf die Frage, wie das G20-Treffen der Staats- und Regierungschefs Ende des Monats in Osaka ausgeht, zuckten die Wirtschaftsminister bei ihrer vorbereitenden Runde in der Nähe von Tokio nur vielsagend mit den Achseln.
Trump ist davon überzeugt, dass die Handelspartner Amerika übervorteilt haben, weshalb in den USA Millionen Industriejobs verschwunden sind. Das wird sich ändern, hat der Herr des Weißen Hauses seinen Wählern versprochen. Für Deutschland ist das eine ernste Bedrohung. Die Bundesrepublik ist Exportweltmeister. Drei von vier Arbeitsplätzen in der Industrie hängen an der Ausfuhr.
Doch die gut geölte Maschinerie ist ins Stottern geraten und Trump hat großen Anteil daran: Seit dem Jahreswechsel konnten die Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes weniger Neuaufträge an Land ziehen, das Geschäftsklima trübte sich ein. Im April sank die Produktion des Sektors um 1,9 Prozent gegenüber März. Die deutschen Exporte fielen im selben Monat mit 3,7 Prozent noch deutlicher. Es waren die stärksten Rückgänge seit beinahe vier Jahren. Die Daten werden stets mit einem längeren Nachlauf veröffentlicht. Ökonomen blicken jetzt mit Sorge auf die Zahlen und befürchten, dass die Wirtschaft im zweiten Quartal schrumpfen wird.
Parallel zu den Wirtschaftsministern tagten in Japan auch die Finanzminister der G20-Gruppe. Sie konnten in der Hafenstadt Fukuoka einerseits einen Erfolg erzielen und sich darauf verständigen, Internetriesen wie Facebook, Google und Amazon stärker zur Kasse zu bitten. Bis Ende 2020 soll die Steuererhebung so umgebaut werden, dass die Giganten auf Grundlage ihrer Umsätze in den jeweiligen Ländern besteuert werden und nicht abhängig vom Ort ihrer Unternehmenssitze.
Bundesfinanzminister Olaf Scholz nannte das einen echten Durchbruch. Bisher zahlen die US-Riesen trotz Milliardengewinnen deutlich weniger an den Fiskus als klassische Unternehmen. Dazu sagte Thorsten Benner vom Berliner „Global Public Policy Institute“unserer Redaktion: „Die G20-Konsensformel ist ein Erfolg für die Bemühungen von Scholz. Bis zu einer tragfähigen Einigung im OECD-Rahmen gibt es noch viele Konflikte aus dem Weg zu räumen.“Der Zeitplan bis Ende 2019 sei sehr ambitioniert, so der Experte. Es sei wichtig, dass die europäischen Staaten – wie von Frankreich und Großbritannien beschlossen – deutlich machten, dass sie alleine handeln würden, wenn es zu keiner globalen Lösung komme. Benner: „Das erhöht den Druck.“
Über den Diskussionen der Finanzminister lag auch der lange Schatten des Handelsstreits. USRessortchef Steven Mnuchin bezeichnete die Strafzölle gegen China als eine „wirtschaftliche Chance für viele andere Länder“. Und er orakelte: „Es wird Gewinner und Verlierer geben.“