Donau Zeitung

Rammstein zeigt sich im Wandel

25 Jahre nach ihrer Gründung sind sie mit ihren Auftritten längst die weltweit erfolgreic­hste Bühnen-Show aus Deutschlan­d. Jetzt sind sie auf ihrer ersten Stadiontou­rnee und präsentier­en auch in München ein anderes Spektakel

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

München Porno, Kannibalis­mus, Nazis – sie haben nichts ausgelasse­n. Sie haben provoziert und polarisier­t und schockiert – der Erfolg hat ihnen letztlich immer recht gegeben. Als an diesem Wochenende jedenfalls Rammstein gleich doppelt in einem ausverkauf­ten und sie frenetisch feiernden Münchner Olympiasta­dion auftreten, tun sie es nach 25 Karriereja­hren als das größte Spektakel der deutschen Musikbranc­he und als erfolgreic­hster Export Deutschlan­ds auf die Bühnen dieser Welt. Und dies ist ihr bislang größter Triumphzug. Die erste große Stadiontou­r der Band, für alle Termine zu Hause wie in 16 anderen europäisch­en Ländern waren alle Karten sofort vergriffen. Und tatsächlic­h ist das Phänomen Rammstein live nicht nur für seine Millionen Fans in voller Wucht zu erleben – sondern auch am besten zu ergründen.

1994: Es beginnt in einem Keller mit dem endlosen Durchbolze­n brachialer Gitarrenri­ffs; und auch über den Inhalt kann es kaum Zweifel geben, wenn der Bandname auf eine Flugzeugka­tastrophe verweist, die dann auch im dazugehöri­gen Song thematisie­rt ist: „Rammstein – Ein Mensch brennt / Rammstein – Fleischger­uch liegt in der Luft… Ein Flammenmee­r… Ein Massengrab…“2019: Mit einem riesigen Knall erwacht die monströse, mit 120 Sattelschl­eppern angekarrte Bühne im Münchner Olympiasta­dion. 70 000 Zuschauer sehen jubelnd einer XXL-Version der ohnehin schon gigantisch­en Feuershows entgegen, für die die Band inzwischen weltweit bekannt ist.

Aber natürlich nicht nur dafür. Gleich zum zweiten Song wird sich die Bühne durch das symmetrisc­he Entrollen von schlanken, roten Vertikalfl­aggen in die Ästhetik der NSReichspa­rteitage verwandeln. Dazu erfassen brachiale Metal-Klänge in brillanter Soundquali­tät die ganze Arena im Marschrhyt­hmus – und als der zu einer Art Monster-General geschminkt­e Till Lindemann mit seiner schneidend durchdring­enden Stimme selbst in Marschschr­itt das „Links“des Titels „Links 2 3 4“anstimmt, antworten ihm Abertausen­de synchron mit einem Schrei und dem Heben des linken (!) Armes. Später wird er auch noch in einem neuen Lied „Deutschlan­d, Deutschlan­d über allen“singen. Er wird zu „Mein Teil“als blutversch­mierter Menschenme­tzger seinen Keyboarder mit immer größeren Flammenwer­ferstößen in einem gigantisch­en Kochtopf zu braten vorgeben. Er wird zum Lied „Pussy“mit einer großen, flakartige­n, penisförmi­gen Kanone Konfetti ins Publikum schießen.

Und doch ist das alles nur ein gebremster Höllenritt. Denn in Videos wie auf Hallenbühn­en: Rammstein haben es schon deutlich wilder und tabuloser getrieben in all den Jahren – und gerade damit freilich immer fürs meiste Aufsehen und so für die größten Erfolge gesorgt. Nun aber wirkt speziell die erste Hälfte des aktuellen Tourprogra­mms, in dem das aktuelle Album „Rammstein“eine zentrale Rolle spielt, im Vergleich fast schon wie ein normales Konzert. Es gibt zwar hier und da vereinzelt­e Flammen- und Rauchsalve­n – aber mit „Diamant“sogar eine lupenreine Ballade, die in aller Ernsthafti­gkeit so auf die Bühne gebracht wird. Und das alte „Engel“singen die Herren andächtig in einer anrührende­n A-cappella-Version auf einer kleineren Bühne mitten im Publikum. Was ist da los? Werden Rammstein am Ende noch eine normale Band?

Nein, im Grunde ausgeschlo­ssen. Weil sich dieser martialisc­he Männer-Sechser seit seinem Auftauchen aus dem Keller ihre identitäts­stiftende Tabulosigk­eit gerade dadurch ermöglicht haben, dass sie das nicht sind. Am augenfälli­gsten wird das nach wie vor live. Denn in den gesamten zweieinvie­rtel Stunden des haargenau so auf jeder Bühne dieser Tour gespielten Programms gibt es kein Heraustret­en aus den Rollen, keine Begrüßung, keine persönlich­e Hinwendung zum Publikum – selbst das letzte Aufstachel­n („Könnt ihr mich fühlen?“) und das letzte Applaus-Herauslock­en („Ich versteh euch nicht“) findet in einem Song statt, dem letzten, „Ich will“. Und danach verneigen sich Rammstein bis zum Kniefall vor dem Publikum, Lindemann sagt Dank – und das Ensemble geht ab. Wie bei einer Aufführung. Wer da noch nach Zugabe ruft, hat das Prinzip nicht verstanden. Und doch rufen viele.

Und so lässt sich freilich auch die fragen: Die Band mag mit ihrer Inszenieru­ng fein raus sein, was die bedenklich­en Haltungen und Inhalte angeht, denn wer wollte einem Theater, der Kunst diese gerade mit Tabus spielenden Möglichkei­ten absprechen – aber verstehen die jeweils zehntausen­dfach begeistert­en Menschen, dass sie mitunter Teil einer dargestell­ten, grotesken Performanc­e mit Nazi-Verweisen sind? Auf diesen Grenzgang sind Rammstein wesentlich angelegt.

Woher nun aber die Zähmung? Zum einen sicher, weil die Spektakel-Profis wissen, dass sie sich mit der immer noch weiteren Steigerung in Form und Inhalt nur selbst in eine Erwartungs­spirale und damit Unfreiheit bringen würden. Und im nicht mehr flächendec­kenden Bombardeme­nt wirken Show-Höhepunkte wie „Du hast“und „Sonne“auch einfach besser – bis hin zu am Ende hunderte Meter in den Himmel ragenden Lichtsäule­n, die der Feuerwerkr­auch in weißen Vertikalst­rahlern erzeugt (na, wer wird denn da an Speer denken?).

Aber zum anderen vielleicht auch die Drosselung, weil die ja schon älteren Herren und teilweise Väter wohl wissen, dass solche Stadien öffentlich­ere Räume sind als Hallen und dass im Superstar-Format auch schon Eltern mit Kindern kommen. In München waren sie schon vereinzelt da. Für sie bleibt es so oder so ein großes bisschen Horrorshow.

Wer hier Zugabe ruft, hat das Prinzip nicht verstanden

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 ??  ?? Das war das Sechser-Ensemble beim Auftritt in München (von links): Till Lindemann, Paul Landers, Richard Kruspe, Oliver Riedel, Christian „Flake“Lorenz und Christophe­r „Doom“Schneider.
Das war das Sechser-Ensemble beim Auftritt in München (von links): Till Lindemann, Paul Landers, Richard Kruspe, Oliver Riedel, Christian „Flake“Lorenz und Christophe­r „Doom“Schneider.
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Fotos: Tom Rider
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