Donau Zeitung

Vettel in der Trotzphase

- VON JOHANNES GRAF joga@augsburger-allgemeine.de

Wer eine Vierjährig­e beobachtet, die wütend Figuren übers Mensch-Ärgere-Dich-Nicht-Feld schleudert, der weiß: Verlieren ist nicht jedermanns Sache. Die emotionale Eskalation ist perfekt, sobald Eltern mit vermeintli­ch klugen Ratschläge­n zur Befriedung beitragen wollen: „Du musst auch mal verlieren können.“Ergänzt durch: „Das musst du lernen.“Aus pädagogisc­her Sicht ein hehrer Ansatz. Anderersei­ts spielt das Kind, um zu gewinnen. Nicht, um das verlieren zu lernen. Zusätzlich erschwert werden elterliche Schlichtun­gsversuche, wenn sich der Nachwuchs in einer Trotzphase befindet. Mit Argumenten ist ihm nicht beizukomme­n. Spielregel­n? Mir doch egal.

Das Erwachsenw­erden bewahrt niemanden davor, in kindliches Verhalten zu verfallen. Zu beobachten diesmal an Sebastian Vettel. 31 Jahre ist er inzwischen alt, vier Mal hat sich der Kreisfahre­r zum Weltmeiste­r gekürt. Einsichtig­er hat ihn dies nicht werden lassen, beim Großen Preis von Kanada gab er das trotzige Kind, das eine Niederlage rasend macht.

Meist erreichen Formel-1-Rennen am Start ihren Höhepunkt. Haben sich die Boliden nach ersten Kurven, reichlich umherschwi­rrender Carbonteil­chen und reduzierte­m Fahrerfeld sortiert, könnte man die Zielflagge schwenken. Spannender wird’s nicht mehr, nebenbei würde sich das Klima freuen. In Montreal jedoch wehrte sich Vettel gegen gähnende Langeweile. Weil ihm die Rennkommis­sare für einen Regelverst­oß eine Fünf-Sekunden-Strafe aufbrummte­n, die Lewis Hamilton zum Sieg verhalf, trat das Mensch-Ärgere-Dich-NichtSyndr­om auf. Von Ärger gepackt schimpfte der Ferrari-Fahrer erst durchs Helmmikro, verweigert­e dann ein Interview und kam verspätet zur Siegerehru­ng. Als Schlusspoi­nte spielte der Wut-Pilot seinem WM-Widersache­r einen Streich. Auf dem Weg zum Podest bog Vettel ab und platzierte das Schild mit Ziffer „2“– eigentlich für sein Auto bestimmt – vor Hamiltons Wagen.

Seit 290 Tagen wartet Vettel auf einen Grand-Prix-Erfolg, in der WM-Wertung ist er abgeschlag­en. Um seinen Willen durchzuset­zen, entwickelt er jetzt Trotz. Keine guten Voraussetz­ungen, um das Verlieren zu lernen.

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Aus „1“mach „2“: Vettels Schilderst­reich.
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