Vettel in der Trotzphase
Wer eine Vierjährige beobachtet, die wütend Figuren übers Mensch-Ärgere-Dich-Nicht-Feld schleudert, der weiß: Verlieren ist nicht jedermanns Sache. Die emotionale Eskalation ist perfekt, sobald Eltern mit vermeintlich klugen Ratschlägen zur Befriedung beitragen wollen: „Du musst auch mal verlieren können.“Ergänzt durch: „Das musst du lernen.“Aus pädagogischer Sicht ein hehrer Ansatz. Andererseits spielt das Kind, um zu gewinnen. Nicht, um das verlieren zu lernen. Zusätzlich erschwert werden elterliche Schlichtungsversuche, wenn sich der Nachwuchs in einer Trotzphase befindet. Mit Argumenten ist ihm nicht beizukommen. Spielregeln? Mir doch egal.
Das Erwachsenwerden bewahrt niemanden davor, in kindliches Verhalten zu verfallen. Zu beobachten diesmal an Sebastian Vettel. 31 Jahre ist er inzwischen alt, vier Mal hat sich der Kreisfahrer zum Weltmeister gekürt. Einsichtiger hat ihn dies nicht werden lassen, beim Großen Preis von Kanada gab er das trotzige Kind, das eine Niederlage rasend macht.
Meist erreichen Formel-1-Rennen am Start ihren Höhepunkt. Haben sich die Boliden nach ersten Kurven, reichlich umherschwirrender Carbonteilchen und reduziertem Fahrerfeld sortiert, könnte man die Zielflagge schwenken. Spannender wird’s nicht mehr, nebenbei würde sich das Klima freuen. In Montreal jedoch wehrte sich Vettel gegen gähnende Langeweile. Weil ihm die Rennkommissare für einen Regelverstoß eine Fünf-Sekunden-Strafe aufbrummten, die Lewis Hamilton zum Sieg verhalf, trat das Mensch-Ärgere-Dich-NichtSyndrom auf. Von Ärger gepackt schimpfte der Ferrari-Fahrer erst durchs Helmmikro, verweigerte dann ein Interview und kam verspätet zur Siegerehrung. Als Schlusspointe spielte der Wut-Pilot seinem WM-Widersacher einen Streich. Auf dem Weg zum Podest bog Vettel ab und platzierte das Schild mit Ziffer „2“– eigentlich für sein Auto bestimmt – vor Hamiltons Wagen.
Seit 290 Tagen wartet Vettel auf einen Grand-Prix-Erfolg, in der WM-Wertung ist er abgeschlagen. Um seinen Willen durchzusetzen, entwickelt er jetzt Trotz. Keine guten Voraussetzungen, um das Verlieren zu lernen.