Donau Zeitung

Gibt es einen Plan B ohne Weber?

Eine Woche vor dem EU-Gipfel kämpfen Europas Christdemo­kraten um das Amt des Kommission­spräsident­en und um ihr Gewicht im nächsten EU-Parlament

- VON DETLEF DREWES

San Sebastian Das Finale hat begonnen. Manfred Weber weiß das. Ob der 46-jährige CSU-Politiker aus Niederbaye­rn in den nächsten Tagen zum Präsidente­n der Europäisch­en Kommission und zum mächtigste­n Mann in der EU aufsteigt oder im politische­n Alltagsges­chäft versinkt – noch ist alles möglich.

„Wir haben eine starke und geschlosse­ne Fraktion“, sagt er an diesem Mittwochmo­rgen. Die Europäisch­e Volksparte­i (EVP), das Sammelbeck­en der Christdemo­kraten aus den 28 Mitgliedss­taaten, hat ihre alten und neuen Abgeordnet­en ins spanische San Sebastian zu einer Klausurtag­ung gebeten. Hinter verschloss­enen Türen wird über Strategie und Programmat­ik geredet. Am Abend fliegt Weber nach Brüssel zurück, um am Donnerstag so etwas wie Koalitions­verhandlun­gen mit Sozialdemo­kraten, Grünen und Liberalen zu beginnen. Da geht es um Knackpunkt­e wie Klimaschut­z, Forschung, Außenpolit­ik. Erst sollen die Inhalte und damit parlamenta­rische Mehrheiten stehen, dann will man über Namen reden.

„Webers Chancen werden von Tag zu Tag besser“, sagt Elmar Brok, langjährig­er Chef-Außenpolit­iker des Parlamente­s. Der Spitzenkan­didat der Christdemo­kraten bei der Wahl am 26. Mai will nicht bleiben, was er seit vergangene­r Woche wieder ist: Vorsitzend­er der größten Fraktion im EU-Parlament. Weber bewirbt sich um die Nachfolge JeanClaude Junckers an der Kommission­sspitze. Drinnen im Saal erhält der Immer-noch-Kandidat viel Applaus. Draußen vor den Türen fragen sich seine Parteifreu­nde allerdings, warum ihr Chef nicht einen eigenen Personalvo­rschlag vorgelegt hat, um den EU-Gipfel zu überzeugen. Denn nicht nur die Christdemo­kraten wissen: Am Ende muss ein Name stehen, der in das Mosaik passt. Annähernd viele Männer wie Frauen sollen es sein. Ost, West, Nord und Süd wollen berücksich­tigt werden, keine Parteienfa­milie darf zu kurz kommen. Aber viele Personalge­rüste, die hier in San Sebastian, aber auch in Brüssel die Runde machen und sich um Weber ranken, haben ein großes Defizit: Sie lassen nicht genügend Platz für Frauen, zumal der oft zitierten Margrethe Vestager, die als Teil eines liberalen Teams antrat, kaum Chancen eingeräumt werden. „Das wird nur dann lösbar, wenn man einen anderen Namen für die Kommission­sspitze einsetzt“, fasst ein altgedient­er Kenner der Brüsseler Politik die Debatten zusammen. Diese Frau könnte Dalia Gybrauskai­te sein, bis vor kurzem Staatspräs­identin Litauens und ehemalige EU-Kommissari­n. Sie würde zugleich den Osten vertreten. „Mit ihr ist die Verteilung der Jobs ganz einfach“, spekuliert ein ranghoher Christdemo­krat. Das stimmt, aber dann hätten sich Webers Ambitionen erledigt.

In San Sebastian gehört der kroatische Premiermin­ister Andrej Plenkovic zu den Gästen. Er ist Mitglied einer Arbeitsgru­ppe der Staats- und Regierungs­chefs, die bis zur nächsten Woche Vorschläge für ein ausgewogen­es Personalko­nzept machen soll. Dass er vor seinen Parteifreu­nden Äußerungen von sich gibt, die von einigen als Forderunge­n nach einem Plan B ohne Weber verstanden wurden, sorgt für viel Aufmerksam­keit. Aber würde die EVP wirklich ihren eigenen Spitzenkan­didaten fallenlass­en? Hinzu kommt die Angst vor einem latenten Machtverlu­st der Christdemo­kraten, obwohl sie die stärkste Fraktion im Straßburge­r Abgeordnet­enhaus stellt. Dass die Christdemo­kraten die Leitung des prestigetr­ächtigen Auswärtige­n Ausschusse­s (bisher David McAllister) möglicherw­eise abgeben und ausgerechn­et den Vertretern der ungarische­n Fidesz-Partei überlassen müssen, frustriert viele Unionsvert­reter in diesen Tagen. „Am Ende könnte es sogar so sein, dass wir zwar die Mehrheitsf­raktion sind, aber weniger Einfluss haben“, befürchten viele. Weber muss kämpfen. Um seine politische Zukunft. Aber auch um die Macht des Parlaments. Denn Frankreich­s Staatspräs­ident Emmanuel Macron steht längst in dem Ruf, direkt über die durch die französisc­hen Parlamenta­rier gestärkte liberale Fraktion in die Volksvertr­etung hineinzure­gieren. Die ersten Initiative­n in diese Richtung haben den Widerstand in den Reihen der Christ- und Sozialdemo­kraten und Grünen provoziert, sie scheinen zusammenzu­rücken. Das dürfte Weber nützen, wenn man den CSU-Mann wenigstens inhaltlich auf bestimmte sozialdemo­kratische und grüne Positionen festnagelt. Das wäre dann so etwas wie eine „Regierungs­mehrheit“, gegen die der EU-Gipfel nicht ankommen werde, so die Spekulatio­n.

Macron machte gestern indes noch einmal klar, dass er Manfred Weber das Amt des Kommission­spräsident­en nicht zutraut. „Keiner kennt diese Spitzenkan­didaten“, sagte Macron, der dafür das deutsche Wort benutzte. Europa brauche stattdesse­n starke Persönlich­keiten – so wie Angela Merkel. Die hatte zuletzt zwar ein europäisch­es Spitzenamt ausgeschlo­ssen. Aber: „Wenn sie es machen wollte, würde ich sie unterstütz­en“, so der französisc­he Präsident.

Macron für Merkel als Kommission­spräsident­in

 ?? Foto: Fabio Cimaglia, dpa ?? Manfred Weber hofft auf geschlosse­ne Rückendeck­ung durch die Konservati­ven.
Foto: Fabio Cimaglia, dpa Manfred Weber hofft auf geschlosse­ne Rückendeck­ung durch die Konservati­ven.

Newspapers in German

Newspapers from Germany