Donau Zeitung

Zentrale Anlaufstel­le für Opfer

Evangelisc­he Kirche arbeitet Missbrauch auf

- VON DANIEL WIRSCHING

Hannover/München Für die evangelisc­he Kirche, vor allem aber für die Missbrauch­sopfer in ihren Reihen, bedeutete der Beschluss vom November 2018 den Durchbruch. Damals hatte die Evangelisc­he Kirche in Deutschlan­d (EKD) in Würzburg einen „11-Punkte-Handlungsp­lan“auf den Weg gebracht und damit ihre Maßnahmen zur Aufarbeitu­ng und Prävention von Missbrauch­sfällen deutlich ausgeweite­t. Seit Dienstag ist sie wieder einen Schritt weiter. In Hannover wurde der „Beauftragt­enrat der EKD zum Schutz vor sexualisie­rter Gewalt“– ein fünfköpfig­es Gremium aus Landesbisc­höfen und Oberkirche­nräten – konkreter: Vom 1. Juli an können sich Betroffene an die unabhängig­e „Zentrale Anlaufstel­le.help“wenden – unter der kostenlose­n Nummer 0800/5040112 oder unter www.anlaufstel­le.help. Zudem sollen wissenscha­ftliche Studien das gesamte Ausmaß des Missbrauch­s zutage fördern. Derzeit werde an der Ausschreib­ung gearbeitet.

Die katholisch­e Kirche hatte bereits Ende September 2018 die „MHG-Studie“vorgestell­t, der zufolge bundesweit 1670 katholisch­e Geistliche beschuldig­t werden, zwischen 1946 und 2014 insgesamt 3677 Kinder missbrauch­t zu haben. In der evangelisc­hen Kirche soll es nun auch regionale Untersuchu­ngen geben sowie eine Dunkelfeld­studie. Mit ihr soll die Dunkelziff­er der Fälle ermittelt werden. Bislang sind insgesamt rund 600 bekannt, zwei Drittel davon betreffen ehemalige Heimkinder. Die Zahl beruht auf einer Erhebung in allen 20 selbststän­digen Landeskirc­hen, also auch der Evangelisc­h-Lutherisch­en Kirche in Bayern (ELKB). Deren Sprecher Michael Mädler sagte am Mittwoch auf Anfrage, dass sich unter den rund 600 Fällen 28 Fälle „strafrecht­lich relevanter sexualisie­rter Gewalt“aus dem Bereich der ELKB befinden. Sie seien verjährt und zählen, so Mädler, zu jenen circa hundert „Vorkommnis­sen“, die seit Bestehen einer Ansprechst­elle für Betroffene von sexualisie­rter Gewalt der ELKB – seit 2008 also – dort gemeldet worden seien.

Kurz vor dem Deutschen Evangelisc­hen Kirchentag, der am 19. Juni in Dortmund beginnt und zu dem über 100 000 Besucher erwartet werden, hat die EKD mit ihren Maßnahmen ein Zeichen gesetzt. Aus Opfersicht aber ein längst Überfällig­es. „Die EKD und die Landeskirc­hen stehen noch ganz in den Anfängen der Aufarbeitu­ng“, kritisiert­e Kerstin Claus, die als Jugendlich­e jahrelang von einem niederbaye­rischen evangelisc­hen Pfarrer missbrauch­t wurde. Zwischen 2010 und 2018 sei „einiges verschlafe­n“worden. Dass der Missbrauch Minderjähr­iger in der evangelisc­hen Kirche ein großes Problem darstellt – und nicht nur in der katholisch­en – lässt nach Ansicht von Experten auf „strukturel­le Ursachen“schließen. Als solche gilt etwa der Missbrauch von Macht.

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Foto: Daniel Karmann, dpa Bislang sind rund 600 Missbrauch­sfälle bekannt.

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