„Wir brauchen mehr Tüftler“
Carl Martin Welcker ist der deutsche Maschinenbau-Präsident. Er macht sich Sorgen, dass hierzulande der Erfindergeist verloren gehen könnte. Der Unternehmer sieht die Politik der Bundesregierung sehr kritisch und hat eine klare Meinung zu den Russland-San
Wenn es rein nach der Summe der Beschäftigten geht, ist der ZweiMeter-Mann Carl Martin Welcker der mächtigste deutsche IndustrieVertreter. Denn der 58-Jährige steht als Präsident dem Maschinenbau-Verband VDMA vor, der gut 3200 Unternehmen repräsentiert. Der VDMA vertritt als Verband die Branche mit den meisten IndustrieBeschäftigten in Deutschland. Insgesamt zählt der Maschinenbau gut 1,05 Millionen Mitarbeiter hierzulande. Welcker selbst ist seit dem Jahr 1993 geschäftsführender Gesellschafter des familieneigenen Kölner Maschinenbau-Unternehmens Alfred H. Schütte GmbH. Auf ihrem Gebiet ist die Werkzeugmaschinenfirma weltweit führend. Der Weg zu Welckers Besprechungszimmer führt über eine Holztreppe zu einem holzgetäfelten Raum, der den Geist der WirtschaftswunderZeit atmet.
Herr Welcker, warum hängt ein ausgestopfter Elchkopf an der Wand? Sind Sie Jäger?
Welcker (schüttelt den Kopf): Nein, nein. Ich bin kein Jäger. Der Elch steht für eine Geschichte: Im Zweiten Weltkrieg waren wir hier völlig ausgebombt. Es standen nur noch Ruinen. Dieses Zimmer war der erste Raum, wo man wieder ein Dach über dem Kopf hatte und Geschäftsgespräche führen konnte. Zu uns kam damals ein schwedischer Kunde. In dem Zimmer standen nur ein Tisch und zwei Stühle, sonst nichts. Kein Bild hing an der Wand. Der Schwede sagte: „Das ist doch fürchterlich. Ich schicke euch was.“Dann kam eine riesige Kiste mit diesem Elchkopf drin. Seitdem heißt der Raum Schwedenzimmer. Der Elch muss hierbleiben. Er ist Teil der Philosophie unserer Firma.
Sie waren zuletzt länger in Russland. Wie wirkt sich die Sanktionspolitik auf das Land und deutsche Exporteure aus? Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer fordert ja ein Ende der Russland-Sanktionen?
Welcker: Völkerrechtliche Verletzungen, wie sie Russland auf der Krim begangen hat, müssen geahndet werden – und das auch mit Sanktionen. Mein Appell an die Bundesregierung lautet aber: Nach nun schon fünf Jahren Sanktionen muss man überprüfen, ob diese wirklich etwas bewirkt haben. Nach meinen vielen Gesprächen in Russland muss ich feststellen: Die politischen Auswirkungen der Sanktionen tendieren gegen null. Andererseits sind die Auswirkungen auf das Russlandgeschäft von deutschen Firmen immens. In manchen Fällen führt das zu schweren Verwerfungen. Die Sanktionen schwächen also die Stellung der deutschen Wirtschaft in In diesen frei gewordenen Raum drängen andere Nationen.
Wenn die Sanktionen gegen Russland sinnlos sind, wie Sie sagen, sollten wir diese Politik dann nicht stoppen? Welcker: Mir macht es generell große Sorgen, dass die Wirtschaft zunehmend in Haftung genommen wird, um politische Ziele durchzusetzen, ob es um Russland oder den Iran geht. Solche Embargos gegen bestimmte Länder kosten auch bei deutschen Firmen Arbeitsplätze. Die betroffenen Mitarbeiter und Unternehmer können sich dann zu Recht fragen, wie sie dafür entschädigt werden.
Noch einmal: Müssen die Sanktionen gegen Russland gestoppt werden? Welcker: Wir fordern die Bundesregierung auf, die Sanktionen gegenüber Russland noch einmal klar zu überdenken.
Was heißt überdenken?
Welcker: Wir fordern keine sofortigen radikalen Aktionen, sondern eine Bestandsaufnahme: Was wollte man mit den Aktionen erreichen? Was haben die Sanktionen bewirkt? Was muss man ändern? Ich plädiere hier für einen intensiven Austausch zwischen Politik und Wirtschaft. Auf den ein oder anderen Teil des Sanktionspakets kann man sicher verzichten. Viele Russen kennen die Qualität deutscher Produkte und sie wollen zu Europa gehören.
Sollte Russland einmal in einer NachPutin-Ära zu Europa gehören? Welcker: Das ist mein Traum. Ich träume von einem Europa, zu dem auch Russland gehört und mit einer Stimme spricht. So würde Europa ein wirkliches weltwirtschaftliches Gewicht bekommen.
Das wäre die perfekte Anti-TrumpStrategie.
Welcker: Es geht nicht um eine AntiTrump-Strategie, es geht darum, ein starkes Europa zu bauen. Aber das wird dauern, vermutlich länger, als Herr Trump im Amt ist. Was die USA angeht: Wir müssen darauf hoffen, dass das amerikanische System sich selbst heilt.
Wie funktioniert dieser Trump-Genesungsprozess?
Welcker: Ich setze großes Vertrauen in das demokratische amerikanische System. Es wird Extreme, wie sie Trump fordert, ausfiltern. Und wir fokussieren uns in Deutschland vor allem auf die negativen Seiten der Politik Trumps. Dabei hat er auch Gutes bewirkt.
Gutes? Wirklich?
Welcker: Ja, er hat die US-Wirtschaft dereguliert und Unternehmen deutlich steuerlich entlastet. Davon profitieren auch deutsche Firmen, die in den USA produzieren. Die Unternehmenssteuerreform führt immer noch zu ordentlichen Wachstumszahlen in Amerika. Politisch hat er jedoch keine Pluspunkte gesammelt.
Sind Sie ein Trump-Versteher? Welcker: Nein, ich bin überhaupt kein Freund von Trump und seinen politischen Taten. Er ist aber auch nicht ein solches Monster, wie er vielfach dargestellt wird. Ehe wir mit unserer deutschen Moralkeule auf Trump draufhauen, müssen wir verstehen, was in den USA vor sich geht. Trump ist lesbar. Was uns irrational erscheint, ist aus seiner Sicht rational. Wir müssen uns auf ihn besser einstellen, also unser Kartenspiel besser auf ihn ausrichten. Das Pokerspiel geht weiter. Trump zieht immer wieder eine neue, für viele verblüffende Karte aus dem Ärmel. In seiner Sichtweise verhält sich Trump relativ rational. Wir müssen auf europäischer Ebene ebenso fantasievoll wie Trump auftreten.
Trotz Trump verkaufen die deutschen Maschinenbauer nach wie vor ausgezeichnet in den USA.
Welcker: Nicht trotz, sondern wegen Trump verkaufen wir ausgezeichnet in den USA.
Wegen Trump?
Welcker: Seine Steuerreform lässt den US-Firmen mehr Geld in der Kasse. Auch deswegen kaufen sie mehr Maschinen aus Deutschland. Ich habe jedoch große Zweifel, dass das auf Dauer so bleibt. Derzeit gilt: Amerika ist vor China der wichtigste Exportmarkt für deutsche Maschinenbauer. Insgesamt stellen deutsche Investoren rund 700000 Arbeitsplätze in den USA. Etwa ein Viertel dieser Beschäftigten arbeitet in Maschinenbau-Betrieben. Bisher droht Trump vor allem der europäischen Autoindustrie Zölle an. Wir als Maschinenbauer sind hier noch außen vor.
Und wie wirken sich die zwischen den USA und China erhobenen Zölle auf die deutschen Maschinenbauer aus? Welcker: Das trifft uns in Deutschland spürbar. Denn davon sind deutsche Firmen direkt betroffen, die in den USA und China produzieren und das jeweils andere Land von dort aus beliefern. Und es macht uns auch indirekt zu schaffen. Denn der Handelskrieg entfaltet eine enorme psychologische Wirkung zum Beispiel auf chinesische Unternehmer, indem sie weniger investieren, also auch weniger deutsche Maschinen kaufen.
Wollen Sie Trump gar nicht kritisieren?
Welcker: Doch, ich lehne die gegen China verhängten Zölle ab. Ich glaube, dass wir mit China vernünftige Regelungen finden werden, haben wir es doch dort mit nüchtern und strategisch vorgehenden Menschen zu tun. Wir müssen den Chinesen aber klar sagen, wo für uns die Reißleine ist und was uns nicht gefällt. Dabei dürfen wir nicht immer Angst haben, Marktanteile in China zu verlieren.
Besteht die Gefahr, dass der deutsche Maschinenbau seine weltweit führende Stellung gegen chinesische Herausforderer verliert?
Welcker: Die chinesischen Wettbewerber werden zweifellos stärker. Doch noch haben deutsche Maschinenbauer die Chance, ihre extrem starke Position in vielen Feldern auszubauen, etwa bei der Medizintechnologie. Hier sind die Chinesen noch nicht so weit wie wir. Dazu brauchen wir das nötige gute PersoRussland. nal, aber auch die entsprechende finanzielle Entlastung für Unternehmen und eine verbesserte staatliche Forschungsförderung.
„Nicht trotz, sondern wegen Trump verkaufen wir ausgezeichnet in den USA.“
Welcker über den Handel mit den USA
Unterstützt Sie die Bundesregierung hier ausreichend?
Welcker: Nein, das tut sie nicht. Wir sehen die Politik der Bundesregierung sehr kritisch. Wir arbeiten nicht an der Zukunftsfähigkeit unseres Standorts. Das fällt uns irgendwann auf die Füße. Wir arbeiten uns an sozialen und ökologischen Themen ab. Das ist alles gut. Das muss man machen. Aber wir vernachlässigen andere Themen, die unsere Wirtschaft zukunftsfest machen.
Dennoch ist der Maschinenbau unverändert erfolgreich. Worin liegt das Geheimnis der Branche?
Welcker: Etwa darin, dass die vielen kleinen Schnellboote des deutschen Maschinenbaus mit hoher Geschwindigkeit und Flexibilität unterwegs sind. Im Schnitt haben unsere Firmen 150 bis 250 Mitarbeiter. Und die meisten Betriebe sind Familien-Unternehmen: Die Inhaber fühlen sich ihren Mitarbeitern verpflichtet und die Beschäftigten haben
„Das fällt uns irgendwann auf die Füße“
Welcker zu den Fehlern der Bundesregierung
eine starke Bindung zu ihren Firmen. Hinzu kommt ein hohes Maß an Weltoffenheit.
Was gefährdet diesen Erfolg? Welcker: Wir müssen aufpassen, dass wir den Erfindergeist nicht verlieren. Wir leben von unserer technologischen Exzellenz. Ohne ausreichend Facharbeiter und Ingenieure können wir unsere Spitzenstellung nicht behaupten. Zwei Kilometer von meinem Unternehmen in Köln entfernt hat Herr Otto den OttoMotor erfunden. Das ist 143 Jahre her. Dieser Nicolaus August Otto war besessen von seinem Thema. Er wollte es unbedingt lösen. Wie viele Leute haben wir noch, die so besessen von einem technischen Thema sind? Wir brauchen mehr Tüftler und Technik-Besessene. Wir haben heute zu wenige solcher leidenschaftlichen Persönlichkeiten im Automobil- und Maschinenbau.
Die Große Koalition gibt ein desaströses Bild ab. Was ärgert Sie am meisten an der Politik?
Welcker: Dass uns Mittelständlern und Personengesellschaften von der Politik immer zugerufen wird, wir würden steuerlich fair behandelt. Dabei werden die niedrigeren Steuersätze für Kapitalgesellschaften von rund 32 Prozent angeführt. Personengesellschaften zahlen aber über 50 Prozent. Darüber spricht keiner. Doch der Mittelstand besteht überwiegend aus Personengesellschaften. Und diese Firmen müssen eine gigantische Steuerlast stemmen.