Donau Zeitung

Rätselrate­n um Einstein-Brief

Der Abzug eines privaten Schreibens des Genies wirft auch nach der wissenscha­ftlichen Analyse Fragen auf

- VON VERONIKA LINTNER

München Was kennzeichn­et ein wahres Genie? Es ist seiner Zeit weit voraus. Ob jedoch Albert Einstein, Vater der Relativitä­tstheorie, schon zeitlebens ahnte, welchen Wirbel es einmal um seinen Nachlass geben würde, ist nicht verbrieft. 2,9 Millionen Dollar – für diese Summe wurde 2018 in New York eine Handschrif­t versteiger­t, in der Einstein die Frage nach der Gottesexis­tenz stellt. Und in München, da sorgt derzeit allein die Kopie eines privaten Briefs des Physikers für Aufsehen.

Die Forschungs­abteilung der Bayerische­n Staatsbibl­iothek hat den überrasche­nden Fund aus dem Jahr 2018 analysiert und das Resultat nun vorgestell­t. Passend – im Restaurant Einstein. „Wir können hier mit Recht von einem Ausnahmedo­kument sprechen“, sagt Charlotte Knobloch, Präsidenti­n der Israelitis­chen Kultusgeme­inde München und Oberbayern (IKG). Das Ergebnis wirft jedoch neue Fragen auf. Und das liegt auch daran, dass durch den ersten Brief ein zweiter hindurchsc­himmert.

Vor einem Jahr war ein Kuvert bei Ellen Presser gelandet, der Archivleit­erin der IKG. Zwischen ausgeschni­ttenen Zeitungsme­ldungen aus dem Jahr 1961, die vom Tod des jüdischen Wirtschaft­swissensch­aftlers Julius Hirsch berichten, entdeckte sie einen kopierten Brief. Verfasst im Oktober 1932, adressiert an Hirsch. Es sind die Geburtstag­sgrüße seiner guten Freunde, des Ehepaars Albert und Elsa Einstein. Die Kopie des Briefs, der heute im New Yorker Leo-Baeck-Institute ruht, warf Fragen auf: Ist es eine Durchschri­ft auf dünnem Papier? Vom Genie selbst angefertig­t?

Doch die Analyse zeigt nun, dass der Brief schlichtwe­g eine Kopie ist, hergestell­t nach einem alten chemischen Verfahren. Ursprung unbekannt. Beim Kopieren hat ein weiteres Schriftstü­ck auf den Abzug abgefärbt – vermutlich weil es auf dem noch frischen Abzug lag: Durch den ersten Brief scheint ein zweiter hindurch, Elsa Einsteins Unterschri­ft zeichnet sich darauf ab. Kleine Reste der Sätze, die sie dabei an Hirsch richtet, macht die Analyse nun erst sichtbar: „Schade, dass wir uns gar so spärlich sehen“.

Die Kopie entstand nach Einschätzu­ng der Experten wohl nicht allzu lange, nachdem Einstein den Brief verfasst hatte. Doch wer ihn wo und wann vervielfäl­tigt hat, kann die Analyse nicht klären. „Die Recherche geht weiter“, sagt Presser. Das Kuvert stamme von einem älteren Juden, der aber über die Herkunft des Schriftstü­cks nichts wisse. Knobloch kündigte an, die IKG werde das Zeitdokume­nt als Leihgabe interessie­rten Häusern zur Verfügung stellen. Ob Einstein die heute zerbrechli­che Kopie je in Händen hielt, bleibt ein Rätsel.

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Foto: Veronika Lintner Einsteins Brief durfte für kurze Zeit vor die Kameralins­e.

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