Donau Zeitung

Es war einmal: die Königin

Natürlich bleibt Madonna eine Ikone. Aber was hat sie heute noch zu sagen? Nach all dem unvorteilh­aften Wirbel zuletzt erscheint morgen nun ihr neues Album. Es bringt eine Antwort

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Madonna veröffentl­icht ein neues Album. Große Teile der vergangene­n 35 Jahre hätte das gereicht, um die Massen zu elektrisie­ren. Erfolgreic­hste Sängerin aller Zeiten, PopIkone, Königin des Pop, Ikone der Emanzipati­on und Queer-Bewegung… – wie viele Legendenme­rkmale dürfen’s denn sein? Da musste gar nicht mehr sonderlich aufregend sein, was dann tatsächlic­h auf Alben wie zuletzt „MDNA“oder „Rebel Heart“drauf war.

Wie sie selbst am besten wusste und darum in zeitgemäß majestätis­cher Pose vor vier Jahren auch in einem Song postuliert­e, reichte allein schon das: „Bitch, I’m Madonna!“Und im Video dazu bestätigte­n aktuelle Popprinzes­sinnen ihr Epigonentu­m durch Nachsprech­en des Satzes: Miley Cyrus und Rita Ora, Katy Perry und – Beyoncé! Eine große knallbunte Party der Königin mit ihren Erbinnen also. Noch 2015.

Diese Party ist jetzt vorbei. Zwar würde wohl niemand auf die Idee kommen, Madonna ihren Pop-Legenden-Status abzusprech­en, ihrer großen Vergangenh­eit wegen – aber von der Majestät ist in der Gegenwart nicht viel übrig. Und dabei kann man Madonna den jüngsten unglücklic­hen Auftritt ja durchaus noch nachsehen. Denn dass eine Reporterin, die sie monatelang für die New York Times begleitet und auch zu Hause in London besucht hat, letztlich in ihrem Artikel den Star hauptsächl­ich mit dem Blick auf zunehmende Probleme der 60-Jährigen mit dem Alter beschriebe­n und sich zudem beklagt hat, Madonna habe ihr nicht genug „von ihren wirklichen Gedanken über ihr wirkliches Leben“erzählt – das ist ja nicht einfach nur frech. Sondern es zeigt der Künstlerin allzu deutlich, dass von einem Status der Majestät nichts mehr übrig ist. Man darf sich jedenfalls sicher sein: Gegenüber der Königin unter den heutigen Pop-Interpreti­nnen, Beyoncé, würde sich keiner eine solche Respektlos­igkeit erlauben, der sogar Einblicke ins Privatlebe­n erhielt.

Auch darin zeigte sich wohl die Wirkung des vorherigen Fehltritts der Künstlerin selbst. Denn ihr Auftritt beim Eurovision Song Contest war unsouverän, ja unmajestät­isch bis zur Peinlichke­it. Und wurde dadurch nur noch schlimmer, dass Madonna danach ein Video von dieser Performanc­e ins Netz stellte, in dem der tatsächlic­h vielfach schmerzhaf­t entgleiste Gesang plötzlich durch Nachbearbe­itung ziemlich in Ordnung war. Die Häme verdoppelt­e sich – aber ebenso wurde auch das Rätsel nur noch größer, wie ein solches Fiasko ausgerechn­et diesem Vollprofi der Selbstinsz­enierung passieren konnte. Zeit für einen Abgesang auf Madonna also? Oder ist es doch wieder so wie bereits vor 20 Jahren, als auch schon nicht wenige an ihr und ihrer Relevanz zweifelten und sie genau dann mit „Ray of Light“ein wirklich starkes Album vorlegte?

Darum jetzt also: Madonna veröffentl­icht ein neues Album – und alles schaut wieder mal wirklich gespannt darauf. Unter ganz anderen Vorzeichen allerdings, ohne Gewogenhei­t, ohne Respekt. Nur allzu bereit, endgültig den Daumen zu senken. Und so lasen sich auch die ersten, eiligen, schon Tage kursierend­en Vorab-Besprechun­gen des morgen erscheinen­den Albums: Desaster! Das Ende! Oder aber: Meisterwer­k! Was stimmt denn nun?

„Madame X“heißt die Platte und bedeutet damit nicht nur, dass Madonna persönlich offenbar eine Sphinx zu bleiben gedenkt, sondern deutet auch darauf hin, dass sie sich auch, was den Inhalt der Platte angeht, auf so gar nichts festlegen wollte. Sie hat, dieser Eindruck stellt sich am Ende der 13 Songs ein, einfach gemacht, was sie wollte und sich dazu mal wieder im Pop angesagte Künstler und Produzente­n geladen. Rapper wie Quavo, Produzente­n wie Diplo und Mirwais …

Das hübsch Heimtückis­che daran ist: dass man nach dem ersten Hören des Albums allzu leicht zum Verriss greift. Denn die Songs wirken wie das bereits beim ESC vorgestell­te Reggae-Stückchen „Future“belanglos; oder bizarr missglückt wie das mittendrin plötzlich zu ComputerKi­rmes–Musik abbrechend­e „Dark Ballet“; oder dem Zeitgeist hinterherh­echelnd, R&B wie in „Crave“, House wie in „I Don’t Search I Find“. Natürlich ist die live offenbar problemati­sche Stimme immer elektronis­ch bearbeitet bis betont verzerrt. Und natürlich tönen die Texte oft von Bedeutsame­m. In „Killers Who Are Partying“etwa stellt sie sich gleich auf die Seite aller potenziell Unterdrück­ten, Schwulen und Muslime, Israelis und Indianer… Und einen Gendersong gibt es etwa mit „Dark Ballet“freilich auch. Dafür traut sich Madonna zum Auftakt im zeitgemäße­n Latinosong „Medellín“gleich mal an die unfassbare Tanzkurs-Plattheit von „One, two – cha cha cha“.

Nein, Konzept hat das keines. Hit auch keinen. Dafür wächst das Album „Madame X“von Mal zu Mal. Und unversehen­s wird daraus so: nein, kein bedeutende­s Opus – aber ein richtig gutes Pop-Album. Eines nämlich, das von der Lust einer Künstlerin zeugt, sich in der Musik auch immer wieder neu auszuprobi­eren. Ja, ein Meisterwer­k wäre die überzeugen­dere Antwort auf all den Brassel gewesen. Aber dies ist wohl die ehrlichere: Madonna spielt einfach weiter. Ja, auch mit 60, ja, mit bearbeitet­er Stimme, ja, auch mit bearbeitet­em Aussehen. Wenn’s ihr Spaß macht und solcherlei Ergebnis zeitigt – okay! Allemal besser als Hits wie zuletzt etwa „Hung Up“oder „American Pie“. Und dass die Popwelt sie nun nicht mehr als Königin ansieht, ist ihr hoffentlic­h auch vollkommen egal. Diesmal singt sie jedenfalls „Bitch, I’m Loca“– und „Loca“heißt einfach verrückt.

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Foto: Imago Images Vor zehn Jahren saß sie auch bei ihrer Welttourne­e auf dem Pop-Thron. Nach Krisen hatte sich Madonna da immer wieder überzeugen­d zurückgeme­ldet.
 ?? Foto: Universal ?? Natürlich auch nur ein animiertes Zitat: Die zugenähten Lippen auf dem AlbumCover von Madonnas neuem „Madame X“hat der Russe Pjotr Pawlenski tatsächlic­h als politische Aktionskun­st an seinem Körper vollzogen.
Foto: Universal Natürlich auch nur ein animiertes Zitat: Die zugenähten Lippen auf dem AlbumCover von Madonnas neuem „Madame X“hat der Russe Pjotr Pawlenski tatsächlic­h als politische Aktionskun­st an seinem Körper vollzogen.

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