Donau Zeitung

Tagebuch Total veraltet oder immer noch hip?

- VON EMMA SCHALLER

Landkreis Anne Frank schrieb eines, Max Frisch auch. Sogar Christophe­r Columbus. Und ihr? Habt ihr ein Tagebuch? Wer eines hat, der weiß: Sie offenbaren die innersten und persönlich­sten Gedanken eines Schreibers. Aber das ist längst nicht alles. Die Bücher, ob klein, bunt, kariert oder liniert, können auch wichtige historisch­e Ereignisse zugänglich machen. Wie etwa die Entdeckung Amerikas. Aber auch die Schreckens­herrschaft der Nazis ist darin festgehalt­en.

Aber das typische Tagebuch sieht anders aus. Zumindest haben wir davon eine andere Vorstellun­g: peinliche Einträge mit 14, Liebeskumm­ergeschich­ten und andere den typischen, therapeuti­schen Monolog Pubertiere­nder. Das muss aber keineswegs so sein, wie die 18-jährige Sophia Maier aus Laugna und die 18-jährige Mirjam Heindel aus Binswangen beweisen. Die jungen Frauen haben und pflegen ihre Tagebücher. Obwohl das ihre ganz persönlich­en Schätze sind, haben sie uns ein wenig davon verraten.

Warum schreibt ihr?

Sophia hat schon als kleines Kind damit angefangen – obwohl sie noch gar nicht Schreiben konnte. Das hat ihr Papa übernommen. Sie hat ihm alles diktiert. Heute muss Sophia schmunzeln, wenn sie an ihre ersten Schreibver­suche zurückdenk­t. „Ich wollte ein cooles Mädchen sein, das Tagebuch schreibt“, sagt sie. Inzwischen sieht sie es anders. Das Tagebuch ist für die 18-Jährige der beste Weg, ihre Gefühle zu verarbeite­n. Über die Jahre hat sie bereits drei Tagebücher vollgeschr­ieben und füllt aktuell ein viertes.

Sophia ist es auch, die ihre gleichaltr­ige Freundin Mirjam mit dieser Art Hobby ansteckt. Mit einem selbst gebastelte­n Tagebuch beginnt alles – ein Geschenk von Sophie. „Mirjam hat mir erzählt, dass sie gerne ein Tagebuch anfangen möchist, te.“Und das tut sie dann auch. Sie schreibt ein Kopfbuch, wie sie es liebevoll nennt. Darin sammelt die 18-jährige Binswanger­in nicht nur die Ereignisse des Tages, sondern notiert auch Erinnerung­en und Träume für die Zukunft. Sie sagt: „Es hilft total, den Kopf freizubeko­mmen.“Regelmäßig schreibt Mirjam erst seit einem halben Jahr in ihr Tagebuch. Sie befüllt die Seiten immer dann, wenn Dinge aus ihrem Kopf heraus müssten. Oder wenn ihr langweilig ist.

Wie fängt man an?

Wer neu mit dem Tagebuchsc­hreiben anfangen möchte, für den hat Sophia einen Tipp: „Das Gefühl, eines vollen Buches ist wirklich toll, deshalb sollte man mit einem dünneren Buch anfangen.“Inhaltund Gestaltung des Tagebuches kann von Person zu Person variieren. Das zeigen auch berühmte Beispiele wie Kafka, der über sein eigenes Gefühlsemp­finden schrieb, während Erich Honecker ein Gefängnist­agebuch führte. Auch was den Zeitpunkt des Schreibens anbelangt, ist man flexibel, weiß Sophia.

Sie sagt lachend: „Ich habe anfangs vor dem Schlafenge­hen geschriebe­n, aber dann bin ich immer viel zu spät ins Bett gekommen, deshalb musste ich das aufgeben“. Jetzt habe sie keine festen Zeiten mehr.

Was bringt es euch?

Aufschreib­en unterstütz­e nicht nur die Erinnerung, sagen die beiden. Auch Gefühle werden gespeicher­t und „kontrollie­rt“. Wenn man sehr wütend sei, könne es hilfreich sein, seine Gedanken zu Papier zu bringen und zu sortieren. „Ein Tagebuch muss überhaupt nicht unbedingt ein Buch sein“, ergänzt Sophia. Außerdem heiße ein Tagebuch nicht etwa so, weil man es jeden Tag füllen müsse. Wem regelmäßig­e Einträge schwerfall­en, für den hat die 18-Jährige einen Tipp: Man solle das Schreiben wie ein Date ansehen, um aktiv dabeizuble­iben. Man könne es auch wie eine Art Ritual aufziehen: Erst

Zähne putzen, dann ins Bett legen und dann schreiben.

Mirjam erzählt: „Ich schreibe aber nicht nur, manchmal kritzele ich meine Gedanken einfach auf die Seiten und zeichne etwas.“Damit verarbeite­t sie ihre Gedanken und Erfahrunge­n. Das tue sie beispielsw­eise nach Trennungen, wenn es ihr nicht gut gehe. Sie schreibe, wenn sie wütend auf jemanden sei, das aber nicht kommunizie­ren möchte. Sie sagt: „Manchmal bin ich wie in einem Zwiespalt mit mir selbst, wenn ich schreibe, führe ich eine Art Gespräch mit mir und dem Buch, und dann komme ich meistens auf eine Lösung und kann danach handeln“.

Was schreibt ihr auf?

„Ich mag es auch, Seiten zwischendr­in einfach schön zu gestalten, weil ich die Bücher immer mal wieder durchblätt­ere“, erzählt Sophia. So dekoriert sie ihre Seiten mal mit buntem Klebeband oder kleinen Zeichnunge­n. Sie sortiert sogar nach Kategorien, die sie farblich unterschei­det. Ihre Träume schreibe sie grundsätzl­ich in Lila auf. Und sie hängt an ihrem Tagebuch. Wenn die 18-Jährige länger von zu Hause weg packt sie das Tagebuch immer mit ein. „Wir mussten einmal eine halbe Stunde vom Italien Urlaub zurückfahr­en, weil ich es daheim vergessen hatte“.

Wie eine Art Therapie?

Ähnlich wie ihre Freundin Sophia sieht die Binswanger­in Mirjam das Tagebuchsc­hreiben nicht als Verpflicht­ung. Stattdesse­n ist es für sie eine Form der Selbstther­apie. Schreibe man in ein Buch, müsse man nicht mit anderen Menschen reden, jeder könne ganz einfach zu sich selbst finden. Jeder brauche ihrer Meinung nach eine Art von Tagebuch. Sie glaubt, dass jeder Mensch etwas für sich ganz alleine braucht. Deshalb findet die 18-Jährige auch, dass der Begriff viel offener gestaltet werden müsste. Freundin Sophia drückt es so aus: „Wenn ich mal wieder ein Gedankenka­russell oder ein Spinnennet­z im Kopf habe, dann löse ich das durch das Aufschreib­en auf“. Und solche Spinnennet­ze kennen wir alle.

Was gefällt euch so?

Die beiden jungen Frauen lieben ihre Bücher. Für die beiden ist es das Befüllen nicht nur ein Hobby. Es ist eine Leidenscha­ft. Und eine Art Geschichts­buch. Wenn Mirjam ihre Einträge nachblätte­rt, muss sie oft lachen, wie sie erzählt. „Es ist verrückt, wie sich die eigenen Interessen im Laufe der Zeit wandeln“, sagt sie. Das könne einem wirklich helfen, etwas über sich selbst herauszufi­nden und seinen Platz im Leben genauer einzuschät­zen. Das habe einen positiven Nebeneffek­t – man könne „alles aus sich herausschr­eiben“. Aus diesem Grund nehme sie ihr Tagebuch auch überall mit hin. Sogar in die Schule. Dort helfe es ihr das ein oder andere Mal eine langweilig­e Stunde durchzuste­hen, verrät die 18-Jährige und muss lachen. „Ich muss das Tagebuch eigentlich immer dabei haben, ohne es fehlt etwas.“

Auf dem Bild: Mirjam Heindel (links) und Sophia Maier.

 ??  ??
 ?? Fotos: Emma Schaller ?? Tagebücher haben Geschichte. Sie können helfen, das Erlebte zu verarbeite­n. Stimmungen, Aktivitäte­n und Gefühle können festgehalt­en werden. Aber wer führt heute noch ein Tagebuch?
Fotos: Emma Schaller Tagebücher haben Geschichte. Sie können helfen, das Erlebte zu verarbeite­n. Stimmungen, Aktivitäte­n und Gefühle können festgehalt­en werden. Aber wer führt heute noch ein Tagebuch?
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany