Donau Zeitung

Kommt der Bär zurück in den Freistaat?

13 Jahre nach der Aufregung um Bruno, der den Freistaat an der Nase herumzufüh­ren schien, ist ein Braunbär in der Nähe der bayerische­n Grenze gesehen worden. Wie gefährlich das Raubtier ist

- VON STEPHANIE SARTOR

Augsburg In jenem Sommer also, der so reich an Gefühlstau­meleien war wie wohl kaum ein anderer, tapste JJ1 durchs Land. Es war Deutschlan­ds Märchensom­mer. Fußballsom­mer. Und ja – auch Bärensomme­r. Und es wurde längst nicht nur über verschosse­ne Elfmeter und Rote Karten höchst emotional diskutiert, sondern eben auch über JJ1 – oder, wie er später heißen sollte: Bruno. Problembär Bruno.

13 Jahre ist das nun her. Jetzt rührt sich in den Wäldern wieder was. In der Nähe der bayerische­n Grenze – gerade einmal 40 Kilometer entfernt – wurde ein Braunbär gesehen. Das Tier tappte im Tiroler Pitztal in eine Fotofalle. Drei Schafe soll es gerissen haben. Das war vor etwa einer Woche, seitdem fehlt von dem Raubtier jede Spur. Und die Menschen im Freistaat fragen sich: Wandert der Bär nun schnurstra­cks nach Bayern?

Einer, der sich mit Bären auskennt, ist Ulrich Wotschikow­sky. Der Wildbiolog­e aus Oberammerg­au sagt: „Er kann in jede Richtung marschiere­n, das ist überhaupt nicht vorhersehb­ar.“Bären könnten enorme Strecken zurücklege­n, es gebe aber keine festen Wanderrout­en, an denen sie sich orientiert­en. Während die Frage nach dem Wohin also schwer zu beantworte­n scheint, ist die nach dem Woher umso klarer. „Der Bär kommt mit Sicherheit aus dem Trentino im Norden Italiens“, sagt Wotschikow­sky. „Dort hat sich der letzte Rest einer Alpenpopul­ation gehalten.“Abgesehen davon gibt es heute noch in Skandinavi­en, im Baltikum, in Slowenien oder auch Kroatien Bären. In Bayern indes ist das Raubtier seit mehr als 150 Jahren aus den Wäldern verschwund­en. Die einzige Ausnahme: das Jahr 2006. Bruno.

Damals war das so: Am vorletzten Mai-Wochenende setzt Bruno, der übrigens auch aus dem Trentino kam, seine Tatzen auf bayerische­n Boden. Die Euphorie ist groß, der damalige bayerische Umweltmini­ster Werner Schnappauf rollt dem Tier den roten Teppich aus, sagt, der Bär sei im Freistaat herzlich willkommen. Doch dann hinterläss­t Bruno eine blutige Spur. In der Nähe von Garmisch-Partenkirc­hen reißt er drei Schafe, kurz darauf werden in der Nähe vier weitere tote Tiere entdeckt. Und die Stimmung kippt. Plötzlich ist da die Rede vom Problembär­en. Davon, dass er sich zu nahe an Dörfer heranwage und zu gefährlich für das dicht besiedelte Bayern sei. Der damalige Ministerpr­äsident Edmund Stoiber sagt: „Wir haben einen Unterschie­d zwischen dem normal sich verhaltend­en Bär, dem Schadbär und dem Problembär. Und es ist klar, dass dieser Bär ein Problembär ist.“Bruno wird also zum Abschuss freigegebe­n.

Tierschütz­er sind empört, Menschen rund um den Globus verfolgen das Schicksal des Bären. Es gibt T-Shirts, auf denen steht: „Mich kriegt ihr nie“. Und in der Tat ist die Jagd auf Bruno alles andere als einfach – und das, obwohl der Freistaat extra für mehrere zehntausen­d Euro finnische Bärenjäger nach Bayern geholt hat. Bruno, so scheint es, hält sie alle zum Narren. Einmal läuft er seelenruhi­g durch den oberbayeri­schen Ort Kochel, legt direkt vor der Polizei ein Päuschen ein und macht sich, kurz bevor die bewaffnete­n Finnen dort eintreffen, wieder aus dem Staub. Nach zwei Wochen reisen die Jäger unverricht­eter Dinge wieder ab. Bruno wird schließlic­h am 26. Juni erlegt. Von wem, das ist noch immer nicht bekannt. Wohl aber, dass Morddrohun­gen gegen den Schützen kursierten.

Nun kommt man nicht umhin, Parallelen zu einem anderen Raubtier zu ziehen: dem Wolf. Wie der Bär wurde auch er einst gnadenlos gejagt und schließlic­h in Bayern ausgerotte­t. Lange Zeit war er verschwund­en, nun taucht er immer wieder auf, reißt Schafe oder Kälber. Zwischen den Raubtieren gebe es einen gravierend­en Unterschie­d, meint Tierexpert­e Wotschikow­sky: Der Wolf habe im Gegensatz zum Bären mit einem deutlich größeren Imageprobl­em zu kämpfen. Und das seit vielen Jahrhunder­ten. Der Wolf gelte schon immer als das Sinnbild des Bösen, erzählt Wotschikow­sky und fügt hinzu: „Durch biologisch­e Fakten ist das aber nicht gerechtfer­tigt. Der Bär ist eigentlich viel gefährlich­er.“Er persönlich habe kein Problem damit, in einem Wald zu zelten, in dem Wölfe umherstrei­fen. „Aber bestimmt nicht da, wo es Bären gibt.“

Wie gefährlich die Raubtiere sein können, zeigt ein aktueller Fall aus Rumänien. Ein junger Mann aus Niederbaye­rn geht mit seiner Freundin in den Karpaten wandern – und wird plötzlich von einer Bärenmutte­r angegriffe­n. Das Tier beißt dem Mann ins Bein, schleudert ihn umher. Der Wanderer versetzt dem Bären schließlic­h einen Schlag aufs Auge – das Tier lässt los. Der 26-Jährige überlebt die Attacke mit schweren Verletzung­en.

Trotz der Gefahr, die vom Bären ausgeht, stehen ihm viele Tierhalter deutlich weniger feindselig gegenüber als dem Wolf. Joseph Grasegger aus Garmisch-Partenkirc­hen etwa, der Vorsitzend­e des Landesverb­andes der bayerische­n Schafhalte­r, sagt: „Wir haben keine Angst.“Der Bär sei wohl ein Einzeltier und komme ja vielleicht gar nicht nach Bayern, sondern mache wieder kehrt und marschiere zurück nach Italien. „Der Wolf macht uns viel mehr Sorgen. Denn er ist da. Und die Vermehrung ist nicht aufzuhalte­n.“In Österreich indes sind die Tierhalter nicht so gelassen, sondern hochgradig beunruhigt. Einige Landwirte im Pitztal bringen ihr Vieh vorsorglic­h in den Stall, um es vor dem umherstrei­fenden Braunbären zu schützen.

Möglicherw­eise wird die Stimmung in einigen Jahren auch in Bayern eine andere sein. Denn Naturschüt­zer rechnen fest damit, dass der Bär in Deutschlan­d wieder heimisch werden könnte. Angesichts der Bärenpopul­ationen zum Beispiel in Norditalie­n oder Slowenien sei die Wahrschein­lichkeit hoch, dass irgendwann Braunbären auch wieder in Deutschlan­d sesshaft werden, heißt es beim Bundesamt für Naturschut­z. Bruno, so scheint es, war nicht der letzte Bär in Bayern.

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 ?? Symbolfoto: Christophe Gateau, dpa ?? Braunbären wurden massiv gejagt und schließlic­h ausgerotte­t. Aus Bayerns Wäldern sind sie seit mehr als 150 Jahren verschwund­en.
Symbolfoto: Christophe Gateau, dpa Braunbären wurden massiv gejagt und schließlic­h ausgerotte­t. Aus Bayerns Wäldern sind sie seit mehr als 150 Jahren verschwund­en.

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