Kommt der Bär zurück in den Freistaat?
13 Jahre nach der Aufregung um Bruno, der den Freistaat an der Nase herumzuführen schien, ist ein Braunbär in der Nähe der bayerischen Grenze gesehen worden. Wie gefährlich das Raubtier ist
Augsburg In jenem Sommer also, der so reich an Gefühlstaumeleien war wie wohl kaum ein anderer, tapste JJ1 durchs Land. Es war Deutschlands Märchensommer. Fußballsommer. Und ja – auch Bärensommer. Und es wurde längst nicht nur über verschossene Elfmeter und Rote Karten höchst emotional diskutiert, sondern eben auch über JJ1 – oder, wie er später heißen sollte: Bruno. Problembär Bruno.
13 Jahre ist das nun her. Jetzt rührt sich in den Wäldern wieder was. In der Nähe der bayerischen Grenze – gerade einmal 40 Kilometer entfernt – wurde ein Braunbär gesehen. Das Tier tappte im Tiroler Pitztal in eine Fotofalle. Drei Schafe soll es gerissen haben. Das war vor etwa einer Woche, seitdem fehlt von dem Raubtier jede Spur. Und die Menschen im Freistaat fragen sich: Wandert der Bär nun schnurstracks nach Bayern?
Einer, der sich mit Bären auskennt, ist Ulrich Wotschikowsky. Der Wildbiologe aus Oberammergau sagt: „Er kann in jede Richtung marschieren, das ist überhaupt nicht vorhersehbar.“Bären könnten enorme Strecken zurücklegen, es gebe aber keine festen Wanderrouten, an denen sie sich orientierten. Während die Frage nach dem Wohin also schwer zu beantworten scheint, ist die nach dem Woher umso klarer. „Der Bär kommt mit Sicherheit aus dem Trentino im Norden Italiens“, sagt Wotschikowsky. „Dort hat sich der letzte Rest einer Alpenpopulation gehalten.“Abgesehen davon gibt es heute noch in Skandinavien, im Baltikum, in Slowenien oder auch Kroatien Bären. In Bayern indes ist das Raubtier seit mehr als 150 Jahren aus den Wäldern verschwunden. Die einzige Ausnahme: das Jahr 2006. Bruno.
Damals war das so: Am vorletzten Mai-Wochenende setzt Bruno, der übrigens auch aus dem Trentino kam, seine Tatzen auf bayerischen Boden. Die Euphorie ist groß, der damalige bayerische Umweltminister Werner Schnappauf rollt dem Tier den roten Teppich aus, sagt, der Bär sei im Freistaat herzlich willkommen. Doch dann hinterlässt Bruno eine blutige Spur. In der Nähe von Garmisch-Partenkirchen reißt er drei Schafe, kurz darauf werden in der Nähe vier weitere tote Tiere entdeckt. Und die Stimmung kippt. Plötzlich ist da die Rede vom Problembären. Davon, dass er sich zu nahe an Dörfer heranwage und zu gefährlich für das dicht besiedelte Bayern sei. Der damalige Ministerpräsident Edmund Stoiber sagt: „Wir haben einen Unterschied zwischen dem normal sich verhaltenden Bär, dem Schadbär und dem Problembär. Und es ist klar, dass dieser Bär ein Problembär ist.“Bruno wird also zum Abschuss freigegeben.
Tierschützer sind empört, Menschen rund um den Globus verfolgen das Schicksal des Bären. Es gibt T-Shirts, auf denen steht: „Mich kriegt ihr nie“. Und in der Tat ist die Jagd auf Bruno alles andere als einfach – und das, obwohl der Freistaat extra für mehrere zehntausend Euro finnische Bärenjäger nach Bayern geholt hat. Bruno, so scheint es, hält sie alle zum Narren. Einmal läuft er seelenruhig durch den oberbayerischen Ort Kochel, legt direkt vor der Polizei ein Päuschen ein und macht sich, kurz bevor die bewaffneten Finnen dort eintreffen, wieder aus dem Staub. Nach zwei Wochen reisen die Jäger unverrichteter Dinge wieder ab. Bruno wird schließlich am 26. Juni erlegt. Von wem, das ist noch immer nicht bekannt. Wohl aber, dass Morddrohungen gegen den Schützen kursierten.
Nun kommt man nicht umhin, Parallelen zu einem anderen Raubtier zu ziehen: dem Wolf. Wie der Bär wurde auch er einst gnadenlos gejagt und schließlich in Bayern ausgerottet. Lange Zeit war er verschwunden, nun taucht er immer wieder auf, reißt Schafe oder Kälber. Zwischen den Raubtieren gebe es einen gravierenden Unterschied, meint Tierexperte Wotschikowsky: Der Wolf habe im Gegensatz zum Bären mit einem deutlich größeren Imageproblem zu kämpfen. Und das seit vielen Jahrhunderten. Der Wolf gelte schon immer als das Sinnbild des Bösen, erzählt Wotschikowsky und fügt hinzu: „Durch biologische Fakten ist das aber nicht gerechtfertigt. Der Bär ist eigentlich viel gefährlicher.“Er persönlich habe kein Problem damit, in einem Wald zu zelten, in dem Wölfe umherstreifen. „Aber bestimmt nicht da, wo es Bären gibt.“
Wie gefährlich die Raubtiere sein können, zeigt ein aktueller Fall aus Rumänien. Ein junger Mann aus Niederbayern geht mit seiner Freundin in den Karpaten wandern – und wird plötzlich von einer Bärenmutter angegriffen. Das Tier beißt dem Mann ins Bein, schleudert ihn umher. Der Wanderer versetzt dem Bären schließlich einen Schlag aufs Auge – das Tier lässt los. Der 26-Jährige überlebt die Attacke mit schweren Verletzungen.
Trotz der Gefahr, die vom Bären ausgeht, stehen ihm viele Tierhalter deutlich weniger feindselig gegenüber als dem Wolf. Joseph Grasegger aus Garmisch-Partenkirchen etwa, der Vorsitzende des Landesverbandes der bayerischen Schafhalter, sagt: „Wir haben keine Angst.“Der Bär sei wohl ein Einzeltier und komme ja vielleicht gar nicht nach Bayern, sondern mache wieder kehrt und marschiere zurück nach Italien. „Der Wolf macht uns viel mehr Sorgen. Denn er ist da. Und die Vermehrung ist nicht aufzuhalten.“In Österreich indes sind die Tierhalter nicht so gelassen, sondern hochgradig beunruhigt. Einige Landwirte im Pitztal bringen ihr Vieh vorsorglich in den Stall, um es vor dem umherstreifenden Braunbären zu schützen.
Möglicherweise wird die Stimmung in einigen Jahren auch in Bayern eine andere sein. Denn Naturschützer rechnen fest damit, dass der Bär in Deutschland wieder heimisch werden könnte. Angesichts der Bärenpopulationen zum Beispiel in Norditalien oder Slowenien sei die Wahrscheinlichkeit hoch, dass irgendwann Braunbären auch wieder in Deutschland sesshaft werden, heißt es beim Bundesamt für Naturschutz. Bruno, so scheint es, war nicht der letzte Bär in Bayern.