Brüssel zeigt Härte
Auch mit Boris Johnson gibt es keine neuen Brexit-Verhandlungen
Brüssel Die Tonlage hat sich verändert. Monatelang hielt sich die EU vornehm zurück, während Boris Johnson den Brexit in immer schärferen Worten ankündigte und der Union drohte. Jetzt ist der britische Tory-Vorsitzende auch Premierminister, und Europa keilt zurück.
Am Mittwoch, dem Tag von Johnsons Kür, wurde EU-Chefunterhändler Michel Barnier deutlich, als er in der BBC feststellte, dass die EU-Staaten „nie von den britischen Drohungen beeindruckt gewesen“seien. Kommissions-Vize Frans Timmermans beschrieb die Atmosphäre der vergangenen Monate drastisch: Die Verhandler aus London seien „wie Idioten umhergelaufen“und er habe gedacht: „Oh mein Gott, sie haben keinen Plan. Sie haben keinen Plan.“
Kommissionschef Jean-Claude Juncker rundete das ab: „Das Austrittsabkommen werden wir nicht noch einmal aufmachen“, ließ er durch seine Sprecherin erklären. Der mit Johnson-Vorgängerin Theresa May ausgehandelte Vertrag sei der „bestmögliche Deal“. All das zusammen soll den Eindruck eines harten EU-Gegners verstärken, sollte Johnson bald nach Brüssel kommen und dort seinen Wunsch nach Neuverhandlungen vorlegen.
Doch im Hintergrund hat die Europäische Union begonnen, Spielräume zu schaffen, die man dem Premier anbieten könnte. Der könnte damit zu Hause eine Art Sieg verkünden, obwohl er klein beigeben musste. Gleichzeitig soll deutlich werden, dass die EU hart geblieben ist. Da wäre vor allem die Schlussrechnung für London, mit der das Königreich für langfristige Verpflichtungen zahlen soll. Ausgehend von einem Brexit am 29. März 2019 belief sich die Schuld auf 44 Milliarden Euro. Der Termin ist verstrichen, Großbritannien gehört der EU weiterhin an und ist somit auch zahlendes Mitglied, was die Endabrechnung deutlich schmälert.
Schwieriger dürfte das Ringen um den Backstop werden, jene Notregelung für den Fall, dass es nicht zu einer gütlichen Einigung für die Grenze zwischen Nordirland und Irland kommt. Brüssel wird zwar an den vertraglichen Regeln nichts verändern, ist aber durchaus bereit, in einer politischen Zusatzerklärung über die künftigen Beziehungen zu unterschreiben, dass der Backstop nur befristet sein darf.
Man möchte Johnson also eine Brücke bauen, um den Brexit ohne Deal auszuschließen. Selbst die künftige Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat schon ihre Bereitschaft signalisiert, London eine Brexit-Verschiebung über den 31. Oktober hinaus zu erlauben. Dazu bräuchte Johnson aber eine gute Begründung, etwa den Hinweis auf ein erneutes Referendum, auf Neuwahlen oder auf eine absehbare Mehrheit für den ausgehandelten Austrittsvertrag samt Anhang. Ob der neue Premier darauf eingeht, erscheint zumindest fraglich.