Donau Zeitung

Ein Jahr, ein Ziel: Alle finden ihren Weg

In Dillingen werden Jugendlich­e ohne Ausbildung und ohne Plan wieder motiviert. Und wie!

- VON CORDULA HOMANN

Dillingen Am Anfang, da waren sich alle etwas fremd. Aber alle hatten etwas gemeinsam: keinen Plan. Die Ausbildung abgebroche­n, keine Lehrstelle gefunden, ausgemuste­rt, abgelehnt, verschulde­t. Jetzt ist alles anders: Aus einem wilden Haufen ist ein Jahr später eine Familie geworden. Und nicht nur das: Die jungen Leute haben eine Perspektiv­e.

„Ihr wart ein Experiment“, sagt Gabriele Reglin, Geschäftsf­ührerin der Gesellscha­ft für Bildung, Integratio­n und Beruf (Bib) in Augsburg. Dazu gehört das Bib in Dillingen, angesiedel­t im Christa-Hochhaus in der Großen Allee. Und dort, auf der großen Dachterras­se, wird jetzt gefeiert. Reglin fragt: „Wir wollten uns auf jeden von Euch einstellen. Hat das geklappt?“Einer der jungen Leute ruft: „Definitiv. Es war mega.“

Menschen zwischen 16 und 23 Jahren ohne Schule, ohne Ausbildung, ohne Perspektiv­e, sie werden im Rahmen des Projekts „Finde deinen Weg“ein Jahr lang betreut. Die Teilnahme ist kostenlos. Nun ist der erste Jahrgang fertig. Jonathan Peck will jetzt im Cap-Markt in Lauingen arbeiten. Noch ein Praktikum, dann soll es losgehen. Der 20-Jährige wollte immer in den Einzelhand­el. Aber von Villenbach, seinem Wohnort, nach Welden, zu seiner Ausbildung­sstelle, das ging mit den öffentlich­en Verkehrsmi­tteln nur zur Frühschich­t. Die war Peck zu einseitig. Er schmiss die Ausbildung. „Naja, und jetzt muss ich erst mal meinen Führersche­in zurückhole­n, und mein Auto und meine Schulden bezahlen“, sagt er und senkt den Blick. All das soll mit dem neuen Job klappen. Er habe sich den Beruf des Einzelhänd­lers nicht umsonst ausgesucht. Das sei abwechslun­gsreich und macht ihm Spaß. „Ich hoffe einfach, dass das Leben mir jetzt etwas Glück gönnt.“

Karina Gruber will Zahnarzthe­lferin werden, unbedingt. Plan B ist die Kinderpfle­geschule in Höchstädt. Drei Monate hing die 18-Jährige nach der Schule zuhause herum. Wusste nicht, was aus ihr werden soll. Dann nahm eine Freundin sie mit zu „Finde Deinen Weg“im Bib. „Hier hab ich mich selbst gefunden. Jetzt weiß ich, was ich will. Ich konnte verschiede­ne Sachen ausprobier­en, wurde motiviert.“Die beiden Betreuer, Jolanda Palanga und Philip Kraß, seien wie beste Freunde geworden. „Wir sind wie eine Familie, jeder versteht sich mit jedem.“Zum Bib gehört auch „Kette und Kureine Maßnahme, wo gebrauchte Fahrräder auf Vordermann gebracht werden und die „Werkstatt der schönen Dinge“. Dort lernten die Jugendlich­en, handwerkli­ch zu arbeiten. „Wir dachten, wir können nichts, aber wir haben das Projekt in der Werkstatt voll schön hingekrieg­t“, erzählt Karina Gruber stolz. Solche Erfolgserl­ebnisse hätten ihr Selbstvert­rauen gegeben. Jetzt sagt sie mit fester Stimme: „Ich will die Ausbildung. Ich kann das, das passt auch. Und wenn ich die Stelle kriege, dann ziehe ich das durch.“

Von einer Ausbildung als Anlagenmec­hatroniker träumt Miguel Moschner. Er macht noch ein Praktikum und hofft, dass er dann übernommen wird.

Silvio Schuhmann hatte ein Ziel: Die Bundeswehr. Doch aus gesundheit­lichen Gründen wurde der junge Mann ausgemuste­rt. Zuvor hatte er eine Ausbildung als Hauswirtsc­hafter begonnen. Das gefiel ihm nicht. Jetzt will der 20-Jährige Lackierer werden. Die Zusage ist da. Im September geht es in einem Betrieb in Lauingen los. Auch das Folieren eines Autos interessie­rt den jungen Mann. „Die Folie konservier­t den Lack und den Wert eines Wagens mit“, erklärt er. In der Berufsschu­le wird Silvio Schuhmann vermutlich zu den Älteren gehören. Aber das macht ihm nichts. „Ich weiß jetzt, wo ich stehe, ich habe mich hier weiterentw­ickelt. Und wenn einem etwas Spaß macht, dann sollte man es tun. Egal, wie alt man ist.“

Jessica Grisman ist 19. „Ich hätte viel früher anfangen müssen zu suchen. Dass ich das nicht gemacht habe, bereue ich.“Die junge Frau mit der blonden Lockenmähn­e will bei der Lebenshilf­e arbeiten und eine Ausbildung zur Heilerzieh­ungspflege­helferin machen. Derzeit macht sie dort ein Praktikum, betreut ältere, pflegebedü­rftige Menschen. Vor einem Jahr wusste sie nur, dass sie gerne etwas Soziales machen will. Doch nach dem Abschluss an der Mittelschu­le besuchte sie verschiede­ne Schulen. „Eigentlich habe ich damals gar nichts gemacht.“

Asena Elmas wollte auf die Kinderpfle­geschule, unbedingt. „Ich hab’ mich so oft beworben, die wisbel“, sen das auch.“Nur hatte die 19-Jährige bis vor einem Jahr gar keinen Schulabsch­luss. Wäre es an der Mittelschu­le besser gelaufen, sagt die zierliche junge Frau nachdenkli­ch, sie wäre längst mitten in der Ausbildung. Die meisten Freundinne­n hätten längst entweder eine Lehre oder einen anderen Job.

Das Programm „Finde Deinen Weg“zeichne sich dadurch aus, dass man sehr individuel­l auf die jungen Leute eingehen kann, erklärt Philip Kraß. Das Projekt wird vom Europäisch­en Sozialfond­s unterstütz­t. So eine Erfolgsquo­te wie in diesem ersten Kurs habe er noch in keinem Projekt gehabt. „Die Jugendlich­en haben sich gegenseiti­g hochgescha­ukelt, gerade bei der Vorbereitu­ng auf den Qualifizie­renden Abschluss. Sie sind sogar freiwillig am Wochenende zum Lernen gekommen.“Die Euphorie sei mal größer, mal kleiner gewesen. Aber wenn die jungen Leute motiviert waren, dann unterricht­ete sie ihre Lehrerin Julia Zengerle auch am Wochenende. Der Einsatz der Betreuer ist hoch. Einen aus der Gruppe riefen sie in der Ausbildung jeden einzelnen Tag an, kontrollie­rten, ob er wirklich aufgestand­en und angetreten ist. Auf der Dachterras­se halten Kraß und Palanga jedem ihrer Teilnehmer eine kurze Rede, betonen, wie sich jeder einzelne verbessert habe. So sind die beiden den jungen Leuten sehr wichtig geworden. Karina Gruber und Jessica Grisman halten so eine schöne Rede: „Wir sagen euch ein fettes Danke. Und wir hoffen, dass Euch die Neuen auch so lieben wie wir.“Erste Tränchen blitzen auf.

Der Stillste in der Truppe ist Kayimi Ali. Er hat noch nichts gefunden. „Das Projekt hier am Bib hat mir Spaß gemacht, am liebsten würde ich noch bleiben“, sagt er leise. Im September beginnt der nächste Kurs. Der Bedarf sei da. Das Netzwerk aus Jobcenter, Agentur für Arbeit, Jugendamt und ESF habe gut funktionie­rt, sagt Palanga, die das Projekt leitet. Begeistert schaut sie auf die jungen Leute, die sich alle schick gemacht haben und hebt das Glas: „Wir sind so stolz auf Euch, Ihr habt Euch den Erfolg verdient. Das ist Euer Tag. Hoch die Tassen!“

 ?? Foto: Homann ?? Das war ein Fest: Die Teilnehmer von „Finde deinen Weg“haben in einem Jahr am Bib in Dillingen an ihrem Schulabsch­luss und einer Ausbildung­sstelle gearbeitet. Für die meisten von ihnen war das Jahr ein voller Erfolg. Sie haben einen Plan und manch einer hat sogar eine Lehrstelle gefunden.
Foto: Homann Das war ein Fest: Die Teilnehmer von „Finde deinen Weg“haben in einem Jahr am Bib in Dillingen an ihrem Schulabsch­luss und einer Ausbildung­sstelle gearbeitet. Für die meisten von ihnen war das Jahr ein voller Erfolg. Sie haben einen Plan und manch einer hat sogar eine Lehrstelle gefunden.

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