Das Popcorn aber bleibt
Wohin entwickeln sich Kino und Film? Spekulationen und Mahnungen aus der Branche selbst
Berlin/Potsdam Wer sich für einen Abend im Kino entscheidet, kann sich auf drei Dinge freuen: Popcorn, Film in Großformat, ein paar Stunden ohne Handy in der Hand. Was einst als Jahrmarktbude begann, heißt heute Programmkino oder Multiplex. Doch wie werden Kinos in Zukunft aussehen? Wird es noch überwiegend Schauspieler aus Fleisch und Blut geben? Oder werden virtuelle Avatare zu Filmstars?
Wer dazu eine Einschätzung haben will, kann bei Klaudia Wick von der Deutschen Kinemathek in Berlin anrufen. Sie geht davon aus, dass es auch in 30 Jahren noch eine Projektionsfläche in Kinosälen geben wird. „Aber sitzen wir alle in Reihen davor oder ist die Leinwand vielleicht rund um uns herum?“Vielleicht werde auch weiterhin mit Düften experimentiert – so, wie es in manchen Kinos bereits rumpelnde Sitze gebe, sagt Wick. Ihrer Meinung nach ergeben solche Neuerungen jedoch auf Dauer nur dann Sinn, wenn es dazu auch passende Erzählungen gibt. Im Moment stehe beim Besuch einer 360-Grad-Kuppel noch das Seherlebnis im Vordergrund – „das Staunen darüber, dass so etwas technisch möglich ist“. Es fehlten aber noch die überzeugenden erzählerischen Angebote, sodass man sagen könne: „Diese Geschichte muss ich unbedingt so sehen.“
Viele Menschen haben James Camerons Fantasyfilm „Avatar“vor zehn Jahren mit Spezialbrillen im Kino gesehen. Flächendeckend durchgesetzt hat sich das nicht. „Das wird heute nicht mehr so vom Publikum nachgefragt wie noch vor fünf, sechs Jahren“, sagt dazu Filmproduzent Uli Aselmann („Die Musterknaben“). „Technische Errungenschaften laufen sich schnell tot, wenn sie überstrapaziert werden“, so Aselmann, der zum Vorstand der Produzentenallianz in Deutschland gehört. Umso wichtiger seien gute Erzählungen. Schon heute aber steht das Kino unter Druck. Im Februar legte die Filmförderungsanstalt die schlechtesten Besucherzahlen seit Jahren vor; im ersten Halbjahr 2019 stiegen die Ticketverkäufe immerhin wieder im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Streamingdienste wie Netflix, Amazon oder Sky Ticket sind zur Konkurrenz geworden – sie bringen viele Filme und Serien bequem zum Zuschauer nach Hause. Nach Einschätzung von Aselmann wird das Kinoerlebnis in Zukunft wieder besonders werden müssen. „In den Großstädten hat man heute schon Edelkinos mit Sesseln, in denen man sich fast hinlegen kann“, sagt er. Das wiederum ist teuer – Kinoverbände forderten ja auch schon Fördergelder für die Erneuerung ihrer Häuser. Wick vom Berliner Filmmuseum sieht die Branche auch in einer Erprobungsphase. Geruch und rüttelnde Sitze, nur damit man um jeden Preis etwas Neues hat? „Das sind Irrwege.“
Aber es gebe sinnvolle Einsätze – bei Videogames sehe man das. „Wenn ich mit einer VR-Brille vor den Augen gefühlt über eine Schotterpiste fahre, macht es auch Sinn, dass der Controller rüttelt.“Nach Einschätzung von Wick werden die Grenzen zwischen Fernsehen, Kino und Videospielen verschwimmen. Die wichtigere Unterscheidung aber werde sein, ob man etwas alleine anschaue oder mit anderen zusammen. Dabei dürfte sich bis 2049 nicht nur das Kino verändern, sondern auch der Film an sich. Was optisch mittlerweile möglich ist, zeigt die Neuverfilmung von Disneys „Der König der Löwen“: Simba, Nala und Co. entstanden am PC. Für Filmemacher ist es nur eine Frage der Zeit, bis man auch Menschen lebensecht animieren kann. „Das wird noch zehn Jahre dauern. Aber wenn man das geschafft hat, dann sind natürlich der Fantasie des Geschichtenerzählens keine Grenzen mehr gesetzt“, sagt Aselmann. Gleichzeitig mahnt er: „Wir lieben doch auch das Menschliche im Kino.“Dass Avatare Schauspieler komplett ersetzen, hält Charlie Woebcken, Vorstandschef des Studios Babelsberg, für unwahrscheinlich. Er hofft aber darauf, irgendwann eine Bibliothek mit digitalen Komparsen zu haben. Denn der Einsatz echter Menschen sei aufwendig und teuer.