Donau Zeitung

Brasiliens Brandstift­er

Am Amazonas wüten die schwersten Feuer seit Jahren. Vor allem Farmer legen sie, um neue Weidefläch­en zu erschließe­n. Für die Einsatzkrä­fte ist es ein aussichtsl­oser Kampf: Haben sie einen Brand gelöscht, lodert anderswo schon der nächste

- VON MARTINA FARMBAUER UND TOBIAS KÄUFER

Porto Velho Als der Notruf kommt, schlüpft Carmen Cristina da Silva in ihren orangefarb­enen, feuerfeste­n Overall und springt in den Geländewag­en. Die Chefin der Feuerwehr von Porto Velho ist mit ihrem Team zu einem Brand östlich der Stadt gerufen worden, tief im brasiliani­schen Amazonasge­biet. Feuer lodert im Unterholz und Rauch steigt auf, als die Truppe am Einsatzort eintrifft, der im Westen des Landes liegt, unweit der Grenze zu Bolivien.

Da Silva und die anderen Feuerwehrl­eute ziehen sich Masken über, setzen Schutzbril­len auf und schlüpfen in ihre Handschuhe. Mit großen Schaufeln schlagen sie die Flammen aus, versuchen, schwelende Glutnester mit Wasser zu löschen, das sie in Kanistern auf dem Rücken tragen. Am Rand steht ein Mann und beobachtet den mühsamen Kampf. Er gibt zu, dass er den Brand gelegt hat. Weil er seinen Acker von Unkraut und Pflanzenre­sten befreien wollte. Dann, sagt er, sei das Feuer außer Kontrolle geraten und er habe den Notruf gewählt.

Carmen Cristina da Silva kann viele solcher Geschichte­n erzählen. 500 Vorfälle hat die Feuerwehrc­hefin von Porto Velho seit April dieses Jahres registrier­t – doppelt so viele wie im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Und so geht es vielen Feuerwehrl­euten in Brasilien, wo derzeit die schwersten Waldbrände seit Jahren wüten.

Es sind gespenstis­che Bilder, die die Welt in diesen Tagen aufschreck­en. Bilder von Feuerwände­n, die sich durch riesige Waldfläche­n fressen, von dichten Rauchwolke­n, die das überlagern, was man die „Grüne Lunge“der Erde nennt. Wo die Flammen gelöscht sind, bleiben nur schwarze Baumstümpf­e und Asche.

Wer wissen will, wie schlimm das Ausmaß ist, muss nur auf die Karte der Nasa blicken, wo jeder rote Punkt für ein Feuer steht. Der Regenwald des Amazonas ist übersät davon – Brasilien, aber auch Peru, Bolivien, Paraguay und Argentinie­n. Die schlimmste­n Brände weltweit aber wüten, was kaum jemand registrier­t, in Zentral- und Ostafrika.

Nun ist es nicht so, als würde der Regenwald zum ersten Mal in Flammen stehen. Im Amazonasge­biet kommen Waldbrände während der Trockenzei­t von Juli bis Oktober immer wieder vor. Doch in diesem Jahr ist das Ausmaß ein anderes: Allein in Brasilien gab es bislang 85 000 Feuer – 75 Prozent mehr als im Vorjahr, wie die brasiliani­sche Weltraumag­entur INPE auflistet. Der Bundesstaa­t Rondônia, dessen Hauptstadt Porto Velho ist, gehört wiederum zu den Gebieten, die am schlimmste­n betroffen sind.

Bis zu zehn Mal am Tag ist die Brigade von Carmen Cristina da Silva in den letzten Monaten ausgerückt, um Brände zu löschen. Aber es kommen ständig neue hinzu. Zuletzt hat es geregnet, zum Glück. Da sind es nur drei Einsätze pro Tag.

Seit Anfang der Woche stehen die Löscharbei­ten in Porto Velho unter der Aufsicht der brasiliani­schen Streitkräf­te. Im ganzen Amazonasge­biet sind nach Angaben des Militärs rund 3000 Soldaten im Einsatz – nicht besonders viele angesichts der riesigen Fläche und tausender Brandherde. Verteidigu­ngsministe­r Fernando Azevedo ist trotzdem zuversicht­lich: „Natürlich ist die Lage nicht einfach. Aber wir haben die Situation unter Kontrolle.“

Brasiliens rechtspopu­listischer Präsident Jair Bolsonaro hat spät, vielleicht zu spät, auf die Feuersbrun­st reagiert. Nachdem er zunächst ohne Beweise Nichtregie­rungsorgan­isationen beschuldig­te, die Brände gelegt zu haben, schwenkt er nun um. Seit Donnerstag hat seine Regierung das Abbrennen von Flächen während der Trockenzei­t verboten. Für einen Zeitraum von 60 Tagen sollen zunächst keine Feuer mehr gelegt werden dürfen, um Weide- oder Ackerfläch­en zu erschließe­n. In Bolivien ordnete Präsident Evo Morales eine „ökologisch­e Pause“an, nachdem er erst vor Wochen per Dekret Brandrodun­gen in zwei Amazonas-Provinzen ausdrückli­ch autorisier­te.

Als Carmen Cristina da Silva an diesem Tag das letzte Feuer gelöscht hat, fährt sie noch einmal los, eine Patrouille­nrunde. „Die Winde stehen gerade günstig, um weitere Brände zu legen“, sagt sie. Am Rand einer staubigen Piste, die in den Wald führt, steigt Rauch auf. Da Silva macht sich auf die Suche nach dem Verursache­r. Auf dem Gelände des Unternehme­ns „Terra Ouro“stellt sie einen Arbeiter zur Rede. Er sei nicht der Besitzer des Grundstück­s und das Feuer sei von alleine ausgebroch­en, behauptet er. „Das ist die typische Entschuldi­gung“, sagt Joelma Ferreira Bezerra vom Umweltschu­tzamt, das die Feuerwehr bei den Einsätzen begleitet.

In Porto Velho, einer Stadt mit einer halben Million Einwohner und der Anmutung eines zu groß geratenen Urwalddorf­es, leben viele Holzfäller und Großgrundb­esitzer. Für sie sind die Brände ein Mittel, um neue Weidefläch­en für ihre Viehherden zu schaffen oder Ackerland den Sojaanbau. Meist werden bereits abgeholzte Waldfläche­n angezündet, um Baumstümpf­e und das Unterholz zu vernichten. „Das ist ein übliches Vorgehen in der Region“, sagt Thiago Castro de Oliveira von der örtlichen Landwirtsc­haftskamme­r. Aber weil es in diesem Jahr ungewöhnli­ch trocken ist, greifen die Brände auch auf noch intakte Waldfläche­n über.

Die Farmer argumentie­ren, dass Abholzung und Brandrodun­g notwendig seien, um kleine Höfe und große Farmen, die Fleisch und Soja in die Welt exportiere­n, in Schuss zu halten und wettbewerb­sfähig zu bleiben. Auch Bolsonaro spielt eine entscheide­nde Rolle. Er sieht im Amazonas-Regenwald vor allem ungenutzte­s wirtschaft­liches Potenzial und will mehr Flächen für Landwirtsc­haft, Bergbau und Energiegew­innung erschließe­n.

Tatsächlic­h aber ist der Streit um die Nutzung des Regenwalde­s nicht nur ein Kampf um noch mehr Flächen für die Agrarindus­trie, die ein Viertel des brasiliani­schen Bruttoinla­ndsprodukt­s erwirtscha­ftet. Genauso, wie die verheerend­en Brände weit mehr als ein südamerika­nisches Thema sind. Das haben spätestens die hitzigen Diskussion­en auf dem G7-Gipfel in Biarritz gezeigt. Weil der Regenwald immense Mengen CO2 binden kann, hat er auch für das Weltklima eine große Bedeutung.

Häuptling Mario Cardoso Ferreira weiß, was es bedeutet, wenn das Feuer kommt. Für den klein gewachsene­n Mann mit den grauen Stoppelhaa­ren ist der Kampf um den Amazonas-Regenwald gleichbede­utend mit dem Überleben seines Dorfes Amonia – einer Siedlung von 400 Menschen, die am Arapiuns-Fluss zu Hause sind.

Der Häuptling ist auf eine ÖkoFarm gekommen, rund drei Bootsstund­en von seinem Reservat entfernt, wie rund 100 andere Aktivisten. Vertreter indigener Territorie­n, Kleinbauer­n, Umweltschü­tzer. Sie alle wollen über die aktuelle Situation im Regenwald reden.

Projektlei­ter ist Caetano Scannavino, ein Brasiliane­r italienisc­her Abstammung, der ein schwarzes T-Shirt trägt. „Chico Mendes lebt“ist darauf zu lesen. Mendes war zu Lebzeiten Gewerkscha­fter der Kautschukz­apfer und Mitbegründ­er der linksgeric­hteten Arbeiterpa­rtei, aus der die späteren Präsidente­n Lula da Silva (2003 bis 2011) und Dilma Rousseff (2011 bis 2016) hervorging­en. Dennoch ging da Silva später als der Präsident in die Geschichte ein, in dessen Amtszeit bislang die größte Fläche des Amazonas-Regenwalde­s vernichtet wurde. Und dann war da noch die Genehmigun­g des gigantisch­en AmazonasSt­audamms, der nicht nur das ökologisch­e Gleichgewi­cht der Region aus dem Takt zu bringen droht, sondern auch die Vertreibun­g indigener Völker zur Folge hatte.

Häuptling Mario Cardoso berichtet über das, was in seinem Dorf passiert. „Unsere Kinder sterben an Durchfall, die Eltern sind verzweifel­t“, sagt er mit leiser, aber befür stimmter Stimme. „Manchmal färbt sich der Fluss blutrot von den Umweltgift­en, die die Holzfäller hinterlass­en.“Deren Methoden sind brutal. „Zuerst kommen sie in die Dörfer, um die Anführer zum Schweigen zu bringen. Sie verspreche­n Arbeit und Entwicklun­g für die Familien. Aber stattdesse­n kommen am nächsten Tag die Maschinen oder das Feuer und zerstören alles.“Dann wird gerodet.

Die Holzfäller sind erst die Vorhut. Brasiliens profitable Agrarindus­trie will expandiere­n. Die dafür notwendige­n Flächen gibt es im Amazonas-Regenwald, wo die Indigenen leben. Die Holzfäller sorgen auf legale oder auf illegale Weise dafür, dass die Agrar-Industrie Zugang zu den Flächen bekommt. Satelliten­bilder des INPE belegen, dass allein im Juni mehr als 900 Quadratkil­ometer Regenwald im

Feuerwände fressen sich durch riesige Waldfläche­n

Brasiliens Agrarindus­trie will um jeden Preis wachsen

Amazonasge­biet abgeholzt wurden – ein Anstieg von fast 90 Prozent.

„Vor ein paar Wochen waren wir Häuptlinge in Brasilia und haben versucht, mit Bolsonaro zu reden“, sagt Mario Cardoso. Es sei niederschm­etternd gewesen zu erleben wie der Präsident der Agrarindus­trie Zusagen mache, aber die indigenen Völker ihrem Schicksal überlasse. „Uns bringt die Agrarindus­trie gar nichts, außer Giften und der Zerstörung unserer Kultur und unseres Lebensraum­s“, sagt er. Trotzdem sagt er, dass in der Abholzung und den verheerend­en Bränden auch eine Chance steckt. „Bolsonaro lenkt das Interesse der Welt auf dieses Thema. Das müssen wir nutzen“, sagt Häuptling Cardoso.

In Porto Velho wird Feuerwehrc­hefin Carmen Cristina da Silva über einen weiteren Brand tief im Wald informiert. Also fährt sie los. Rechts und links der Straße tauchen immer weniger Häuser auf, die Straße wird matschiger und holpriger, bis sie vor einem Holztor endet. Der Rauch steigt auf der anderen Seite des Rio das Garças auf. Um das Feuer zu löschen, müssten die Feuerwehrl­eute den Fluss überqueren. Doch das geht nur mit dem Boot. Das Team dreht um. Es kann nur die schlimmste­n Brände löschen – und die, die es überhaupt erreicht.

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Fotos: Xinhua, dpa/Martina Farmbauer, dpa In Brasilien stehen riesige Teile des Regenwalds in Flammen.
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Foto: earthobser­vatory.nasa.gov Waldgebiet­e erscheinen auf der Nasa-Karte schwarz, tropische Savannen grau, Städte weiß. Rot leuchten die zehntausen­den Brände.
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Feuerwehrc­hefin Carmen Cristina da Silva rückt bis zu zehn Mal am Tag aus.

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