Angst vor aggressiven Rasern
Ein 38-jähriger Ostallgäuer wird von Auto-Rowdys verprügelt, eine Seniorin aus Lagerlechfeld berichtet von einem ähnlichen Vorfall. Was ist los auf unseren Autobahnen?
Lagerlechfeld Wenn sich Evi GeigerEsser dem Kohlbergtunnel nähert, wird ihr schlecht. „Ich bekomme richtige Beklemmungen, Herzrasen und kaum mehr Luft“, erzählt sie. Am liebsten meidet sie daher Fahrten durch das Bauwerk auf der A 96 westlich von Mindelheim und nimmt eher einen Umweg in Kauf. Doch manchmal geht es eben nicht anders – und dann muss es schnell gehen. „Du weißt doch, was mir damals passiert ist“, sagt sie ihrem Mann dann und bittet ihn, aufs Gas zu drücken.
Denn die 72-jährige Seniorenbeauftragte von Lagerlechfeld (Landkreis Augsburg) hat unschöne Erinnerungen an den Kohlbergtunnel. Erinnerungen, die vor einigen Tagen wieder in ihr hochkamen – bei der Lektüre unserer Zeitung. Wir berichteten über einen erschreckenden Fall von Raserei und Körperverletzung: Nach Angaben der Polizei rasten zwei Autos mit Schweizer Kennzeichen auf der A96 Richtung Lindau, drängelten und überholten mehrfach rechts. Ein 38-jähriger Ostallgäuer war ihnen dabei offenbar im Weg. Als dieser bei Buchloe die Autobahn verließ und auf die B12 abbog, nahm einer der SchweiAuch zer die Verfolgung auf, überholte ihn bei Kaufbeuren und bremste ihn aus. Zwei Männer stiegen aus und prügelten auf den Ostallgäuer ein. Dieser erlitt laut Polizei mehrere Prellungen und wurde ambulant im Krankenhaus behandelt. Wenige Tage später hat die Polizei einen 20-jährigen Deutschen mit Wohnsitz in der Schweiz als Halter des Autos ermittelt.
Als Evi Geiger-Esser die Geschichte las, kamen schlagartig Bilder aus der Vergangenheit in ihr hoch. Vor etwa drei Jahren sei sie in einen ähnlichen Vorfall verwickelt gewesen, erzählt sie. Auf einer Fahrt nach Kempten wurde sie von drei Autos mit Schweizer Kennzeichen kurz vor dem Kohlbergtunnel erst mehrfach „mit einem Affenzahn“überholt, dann eingekesselt und zum Anhalten auf dem rechten Fahrstreifen genötigt. Drei Männer stiegen aus und gingen auf ihr Auto zu. Sie schloss daraufhin Fenster und Türen. Die Männer versuchten, die Tür zu öffnen, um dann gegen das Auto zu schlagen und zu treten. „Ich weiß nicht, was sie von mir wollten – ich bin nur verängstigt sitzen geblieben und habe gewartet“. Nach etwa zehn Minuten hätten die Männer aufgehört und seien davon gefahren.
Geiger-Esser fuhr danach weiter. Bis zum nächsten Parkplatz. „Mir war hundeelend, ich habe am ganzen Körper gezittert und meinen Mann angerufen“, erinnert sie sich. Zur Polizei ging sie damals nicht. Sie habe sich selbst schuldig gefühlt, weil sie sich plötzlich nicht sicher war, ob sie sich vielleicht falsch verhalten, die drei Raser aus der Schweiz vielleicht provoziert habe. Zudem sei ihr ja nichts Schlimmeres passiert: „Ich hatte da wohl Glück, dass es mir nicht wie dem Fahrer aus dem Ostallgäu ergangen ist.“
Jetzt, mit dem Wissen, dass nicht nur ihr so etwas passiert ist, verstehe sie nicht, warum die Polizei nicht mehr gegen solche, mitunter offenbar gewaltbereite Raser unternehme. Dass Autos mit Schweizer Kennzeichen auf deutschen Autobahnen deutlich zu schnell unterwegs sind, sei schließlich bekannt. „Das weiß jeder, der regelmäßig auf der A 96 fährt. Die freuen sich, dass sie hier mal richtig Gas geben dürfen“, sagt Geiger-Esser. Sie wünscht sich härtere Strafen, mehr Kontrollen, vielleicht hätte auch eine Maut eine positive Wirkung, sagt sie.
Und tatsächlich ist das Phänomen der schnellen Eidgenossen auch bei der Polizei bekannt. „Es ist schon so, dass wir bei Kontrollen verhältnismäßig viele Raser aus der Schweiz erwischen, was aber auch schlichtweg daran liegt, dass die A 7 und die A 96 quasi die Ein- und Ausfallstraßen sind und daher grundsätzlich auch viele Schweizer unterwegs sind“, erklärt Rainer Fuhrmann, Leiter der Autobahnpolizei Memmingen. Zu sagen, dass Autofahrer aus dem Ausland generell aggressiver und schneller führen, wolle er sich dennoch „nicht anmaßen“. Dass manche sich und ihr schnelles Auto hierzulande ausprobieren würden, könne er aber nicht dementieren. Die Zahlen sprechen für sich: Nach Angaben des Polizeipräsidiums Schwaben Süd/West wurden an zwei Messstellen auf der A96 im Raum Memmingen dieses Jahr 2809 Geschwindigkeitsverstöße registriert – jeder siebte ging auf das Konto eines Autos mit Schweizer Kennzeichen. „Bei der Auswertung der Messergebnisse fiel zudem auf, dass Schweizer Fahrzeugführer insbesondere an Feiertagen überproportional häufig beanstandet werden“, heißt es aus dem Präsidium.
Auch das „Fahren in Wildwestmanier“mit Drängeln, Lichthupe, Rechtsüberholen sei keine Seltenheit, sagt Autobahnpolizei-Chef Fuhrmann – wenngleich kein länderspezifisches Phänomen, eher eines von Männern mit hochmotorisierten Autos. Gleichzeitig sei aber auch das gegenteilige Fahrverhalten ein echtes Problem: „Notorische Linksfahrer oder Fahrer, die meinen, andere mit ihrer vermeintlich korrekten Fahrweise belehren zu müssen, sind oftmals Ursachen für Aggressionen, die es eigentlich nicht bräuchte“, weiß Fuhrmann.
Er sagt, die Autobahnpolizei Memmingen tue im Rahmen ihrer Möglichkeiten ihr Bestes, um den Verkehr auf der A 96 und der A 7 zu kontrollieren. Allerdings stünden nur zwei Streifenbesatzungen zur Verfügung – für rund 110 Kilometer Autobahn, vier bis fünf Unfälle pro Tag, allerlei Gegenständen auf der Fahrbahn und was sonst noch so anfällt. „Mehr als einmal die Woche ist es kaum möglich, eine Zivilstreife loszuschicken“, sagt Fuhrmann. Dabei wäre gerade das gegen Raser besonders hilfreich. Doch dafür habe er zu wenig Personal: „Aktuell fehlen uns etwa 20 Prozent der Stellen, die laut Plan für uns vorgesehen sind.“