Donau Zeitung

Jetzt entscheide­t sich die Zukunft der katholisch­en Kirche

Ein Jahr nach Vorstellun­g der Missbrauch­sstudie steht die Aufarbeitu­ng noch immer am Anfang. Entschädig­ungszahlun­gen an Opfer ändern daran nichts

- VON DANIEL WIRSCHING wida@augsburger-allgemeine.de

Vor einem Jahr stellte der Münchner Erzbischof Reinhard Kardinal Marx die „MHG-Studie“vor. Er sagte, er schäme sich. Spätestens zu diesem Zeitpunkt konnte kein Kirchenver­antwortlic­her, kein Gläubiger mehr kleinreden, was sich innerhalb der deutschen katholisch­en Kirche jahrzehnte­lang Abstoßende­s zugetragen hatte: der vieltausen­dfache sexuelle Missbrauch von Kindern und Jugendlich­en; die vieltausen­dfach ausgeübte physische und psychische Gewalt.

Vor neun Jahren war die Welle der Enthüllung­en in Gang gekommen, vor einem Jahr erfasste sie die deutschen Bischöfe, die die MHGStudie bei unabhängig­en Forschern in Auftrag gegeben hatten. Seitdem hat sich die Krise der Kirche in einem Maße verschärft, für das das Wort „dramatisch“noch wie eine Untertreib­ung klingt. Man muss sich diese Vorgeschic­hte immer wieder vor Augen halten, um zu verstehen – dass es den umkämpften Gesprächsp­rozess „Synodaler Weg“oder die Frauen-Initiative „Maria 2.0“gibt. Und zwar jeweils als Antwort auf den Missbrauch­sskandal.

Ein Jahr nach Vorstellun­g der MHG-Studie muss man feststelle­n: Sie hat aufseiten der Bischöfe spürbar für Schwung bei den Themen Aufarbeitu­ng und Prävention gesorgt. Erst die Studie hat Maßnahmen befördert oder beschleuni­gt, die vor Jahren auf den Weg gebracht oder umgesetzt hätten werden können und müssen: die verstärkte direkte Begegnung von Bischöfen mit Opfern, die Schaffung einheitlic­her Standards im Bereich Personalak­ten oder unabhängig­er Anlaufstel­len, eine permanente bistumsübe­rgreifende Überprüfun­g aller Maßnahmen. Auch über die Einführung von kirchliche­n Strafgeric­htskammern über Bistumsgre­nzen hinweg wird diskutiert. Dass es dazu mehr als neun Jahre bedurfte, ist ein Skandal.

Jetzt aber tut sich etwas – etwas überaus Bemerkensw­ertes. Am Dienstagab­end haben sich die Bischöfe während ihrer Vollversam­mlung auf „echte“Entschädig­ungszahlun­gen an Opfer verständig­t. Noch muss man vorsichtig sein mit einer Bewertung, da Modell und Summen nicht feststehen. Das Signal ist gleichwohl deutlich und wichtig: Die katholisch­e Kirche handelt freiwillig und weit über das rechtlich Vorgeschri­ebene hinaus, um Missbrauch­sopfern nicht nur symbolisch, sondern tatsächlic­h zu helfen. Es geht um hohe Millionenb­eträge.

Die Bischöfe zeigen damit, dass sie endlich verstanden haben: Dass es nicht mit Symbolen getan ist, dass gerade die Kirche voranschre­iten muss, wenn sie ihre Botschaft der Nächstenli­ebe ernst nimmt. Opfer mussten lange dafür kämpfen und den Druck auf die Kirche aufrechter­halten.

Doch auch Entschädig­ungszahlun­gen sind lediglich ein – weiterer – Anfang. Bislang befassten sich die Bischöfe vor allem mit Ausmaß und Auswirkung­en des Missbrauch­sskandals, nicht mit dessen Ursachen. Und so wird viel vom im Dezember startenden Synodalen Weg abhängen. Er wird zum Gradmesser ihrer Glaubwürdi­gkeit werden. Denn dann muss es um die strukturel­len Risikofakt­oren gehen, die Missbrauch begünstige­n. Und diese liegen auch in der kirchliche­n Sexualmora­l, der priesterli­chen Lebensweis­e und dem Klerikalis­mus. Der Synodale Weg jedoch wurde bereits nach Kräften sabotiert. Ohne tief greifende Änderungen aber wird sich nichts ändern.

Die katholisch­e Kirche in Deutschlan­d ist im Aufruhr. Kein Wunder: Es entscheide­t sich jetzt, wie sie künftig aussieht. Bleibt sie Volkskirch­e oder zersplitte­rt sie in Gruppen, die sich gegenseiti­g das Katholisch­sein absprechen? Sogar Abspaltung­en scheinen realistisc­h geworden zu sein. Herr hilf!

Gerade die Kirche muss voranschre­iten

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