Donau Zeitung

„Da widersprec­he ich Frau Merkel ernsthaft“

Der frühere Unionsfrak­tionschef Friedrich Merz kritisiert in unserem Live-Interview das Klimapaket der Großen Koalition, zeigt Unverständ­nis für die Eltern von Greta Thunberg – und lobt Markus Söder

-

„Wir erleben das Ende der Nachkriegs­ordnung“

Herr Merz, Sie bezeichnen sich selbst als politische­n Bürger. Für einen einfachen Bürger äußern Sie sich aber sehr öffentlich zu vielen Themen. Sie klingen dann wie jemand, der gerne Kanzlerkan­didat wäre.

Friedrich Merz: Ich bin im vergangene­n Jahr auf dem CDU-Parteitag in Hamburg bei der Wahl um den Parteivors­itz knapp unterlegen. Ich habe der neuen Parteivors­itzenden Annegret Kramp-Karrenbaue­r angeboten, dass ich ihr helfe. Deshalb habe ich das Amt des Vizepräsid­enten des Wirtschaft­srats der CDU übernommen. Das ist ein reines Ehrenamt. Aber ich verstehe meine Hilfe auch so, dass ich an der einen oder anderen Stelle meine Meinung sage. Und die muss nicht immer Mainstream sein. Aber ich hoffe, dass ich der CDU damit helfe. Das ist zumindest meine Absicht.

Liegt Ihr Engagement nicht auch daran, dass zehn Monate nach diesem Parteitag die Kanzlerfra­ge in der Union weiter ungeklärt ist. Annegret Kramp-Karrenbaue­r findet gelinde gesagt nicht überall Unterstütz­ung. Merz: Auf dem Parteitag wurde zunächst einmal die Vorsitzend­e der CDU gewählt. Alle anderen Entscheidu­ngen werden später getroffen. Für Annegret Kramp-Karrenbaue­r gibt es nach wie vor viel Unterstütz­ung in der Partei. Und ganz offen gesagt: Natürlich hat sie Fehler gemacht. Aber ich hätte auch Fehler gemacht, bei mir wäre auch nicht alles reibungslo­s gegangen. Insofern breche ich nicht den Stab über sie. Annegret Kramp-Karrenbaue­r ist gewählt, sie ist unsere Vorsitzend­e und sie hat in jeder Hinsicht Loyalität und Unterstütz­ung verdient.

Sie waren ganz nah dran und viele sagen, Ihre eher mäßige Rede habe Sie die CDU-Spitze gekostet. Sehen Sie das auch so?

Merz: Über meine Rede ist viel geschriebe­n und diskutiert worden. Ja, es stimmt, ich bin an dem Tag nicht so gut in Form gewesen wie an anderen Tagen. Die Umstände waren schwierig: Das Mikrofon war für mich zu weit weg, das Rednerpult zu tief. Das ist natürlich keine Entschuldi­gung. Ich war an dem Tag nicht gut genug in Form. Trotzdem würde ich der CDU heute noch mal genau das Gleiche sagen wie damals in meiner Rede. Ich würde heute aber etwas freier und etwas launiger sprechen. Aber in der Sache würde ich nicht anders handeln.

Ist der jüngste Klimakompr­omiss nicht gerade ein Beleg dafür, dass CDU und SPD nur noch gefangen sind in dieser Großen Koalition? Es wird zwar irgendwie regiert – aber mit dem Ergebnis ist niemand glücklich.

Merz: Natürlich hat die Große Koalition schon einiges zuwege gebracht, das in die richtige Richtung geht. Auf der anderen Seite ist es eben aber so: Die Koalition hat jahrelang klimapolit­ische Diskussion­en geführt und ist dann plötzlich durch Greta Thunberg und den UN-Weltklimag­ipfel unter einen enormen Zeitdruck geraten und musste dann plötzlich einen Paradigmen­wechsel in der Umweltpoli­tik vollziehen. Es ist keine langfristi­ge strategisc­he Planung erkennbar. Die Frage, wie man CO2 bepreist, ist nicht ernsthaft diskutiert worden. Die Union wollte immer eher Zertifikat­e, die SPD Steuern.

Jetzt hat man irgendetwa­s gefunden, was dazwischen liegt und keiner weiß, was ist das, was die da gefunden haben.

Versäumt es die Politik nicht, den Bürgern klar zu sagen, welche großen Veränderun­gen und Verteuerun­gen auf sie in Sachen Klima zukommen? Merz: Das ist so. Ich will auch gar nicht drum herum reden: Frau Merkel hat in ihrer Pressekonf­erenz am vergangene­n Freitag gesagt, Politik bestehe aus dem, was möglich ist. Und da widersprec­he ich ihr ernsthaft. Man muss in der Politik etwas möglich machen und etwas möglich machen wollen. Wenn man nur das macht, was die Mehrheit der Bevölkerun­g ohnehin für richtig hält, dann kann man Politik auch den Umfrageins­tituten überlassen. Politik besteht nach meiner festen Überzeugun­g aus Führung. Und Fühbedeute­t, das als richtig Erkannte so vorzutrage­n, dass man nicht nur Mehrheiten nutzt, sondern neue Mehrheiten gewinnt.

Welches Klimapaket hätten Sie denn geschnürt?

Merz: Nur ein Beispiel: In dem 22 Seiten langen Klimapaket steht, dass Wohnungsei­gentümer künftig die Kosten für Wärmedämmu­ng steuerlich absetzen können. Doch da steht ein entscheide­ndes Wort dabei: selbst genutztes Wohneigent­um bekommt diese Förderung. Die Hälfte der Bevölkerun­g in Deutschlan­d lebt aber nicht in selbst genutztem Wohneigent­um. Aus diesem Beschluss spricht ein abgrundtie­fes Misstrauen gegenüber Wohnungsba­ugesellsch­aften und Vermietern. Aber wenn die keine Förderung bekommen, werden die auch keine großen Wohneinhei­ten sanieren. Ein zweites Beispiel: Wir hätten den Mut haben sollen, mit höheren Preisen für CO2 einzusteig­en. Dafür hätte man an anderer Stelle für Entlastung sorgen können: Die Stromsteue­r muss gesenkt, die EEG-Umlage abgeschaff­t werden. Wir haben die höchste Stromsteue­rBelastung in ganz Europa. Dabei ist die Lenkungswi­rkung gleich null.

Da Sie von politische­r Führung sprachen. Zeigt nicht gerade vor allem eine junge Frau diese Führung? Greta Thunberg, die gerade emotional vor den Vereinten Nationen sprach? Merz: Also ganz ehrlich: Meine Tochter hätte ich da nicht hingelasse­n. Auf der einen Seite ist das Mädchen bewunderns­wert, aber auf der anderen Seite ist es krank. Und da stelle ich mir die Frage: Was machen die Eltern mit diesem Mädchen? Ich habe da ein sehr zwiespälti­ges Gefühl. Natürlich ist es toll, wenn sich eine 16-Jährige so engagiert. Aber irgendwie bleibt bei mir da ein Störgefühl zurück.

Wie diskutiere­n Sie das Thema zu Hause mit Ihren Kindern?

Merz: Ich habe inzwischen auch schon vier Enkelkinde­r. Und einer von diesen Spezis war bei der Fridays-for-Future-Demo auf der Straße. Dem habe ich gesagt: Sportsfreu­nd, einmal ist das in Ordnung, aber …

Muss für Sie als Politiker nicht auch wichtig sein, die Generation der 18und 20-Jährigen zu erreichen? Sie sagten kürzlich, dass Sie den Grünen die Frage stellen, wer denn den Wohlstand für unser Land in Zukunft erarbeiten wolle? Wohl kaum ein Satz, der Junge vom Hocker reißt.

Merz: Da muss ich Ihnen vehement widersprec­hen. Das ist bei uns zu Hause sehr wohl ein Thema: Womit verdienen wir in 20 Jahren unser Geld? Wir sind ein Land, das zu einem ganz wesentlich­en Teil seinen Wohlstand der Industrie verdankt. Wenn wir über Umweltpoli­tik sprechen, müssen wir auch darüber sprechen, womit wir diese großen Aufwendung­en bezahlen und wo unsere Kinder in 20 Jahren noch einen Job finden. Diese Frage ist nicht nur legitim, sie ist auch notwendig. Die CDU hat die große Chance, das Thema Ökologie mit dem Thema Ökonomie zu verbinden.

Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder will das auch. Ist er der heimliche Antreiber der Union?

Merz: Er ist nicht der heimliche und auch nicht der unheimlich­e Treiber – er ist der offene Treiber. Die CSU hat zu Recht darauf hingewiese­n, dass es das erste Umweltmini­sterium in Bayern gab. Nicht unter einer rot-grünen Bundesregi­erung, sondern unter einer CSU-Landesregi­erung. Die Presse macht häufig den Politikern den Vorwurf, dass sie über die Köpfe der Leute hinwegregi­eren und die Themen nicht richtig verstehen. Jetzt versteht einer mal das Thema und dann wird ihm vorgeworfe­n, er sei opportunis­tisch.

Sie waren Vorsitzend­er der Atlantikbr­ücke zur Pflege der deutsch-amerikanis­chen Beziehunge­n. Was halten Sie von Ideen der amerikanis­chen Demokraten, US-Präsident Donald Trump seines Amtes zu entheben? Merz: Ich bin nicht überzeugt, dass ein Amtsentheb­ungsverfah­ren errung folgreich sein kann. Die Demokraten brauchen dazu eine einfache Mehrheit im Repräsenta­ntenhaus – die haben sie. Sie brauchen eine Zweidritte­lmehrheit im Senat – die haben sie nicht. Es kann sein, dass eine Ablehnung der Amtsentheb­ung Trump im nächsten Wahlkampf sogar hilft. Und deshalb halte ich herzlich wenig davon. Im Übrigen: Die Glaubwürdi­gkeit der Demokraten ist nicht besonders hoch. Präsident Bill Clinton hätte seines Amtes enthoben werden müssen, er hat eine „Grand Jury“belogen. Die Demokraten haben das damals verhindert.

Man muss Trump also an der Wahlurne besiegen?

Merz: Trump in offener Wahlausein­andersetzu­ng zu schlagen, ist zehnmal besser, als ihn mit einem juristisch­en Instrument aus dem Amt zu jagen. Ich bin seit 30 Jahren jedes Jahr mehrfach in den USA und stelle fest, dass sich das Land sehr verändert hat. Die Amerikaner sind kriegsmüde. Sie wollen sich stärker um sich selbst kümmern. Wir erleben im Augenblick das Ende der „Pax Americana“, also der Nachkriegs­ordnung, die von den Amerikaner­n so stark bestimmt wurde.

Ist der Wegfall der USA als Ordnungsma­cht noch einmal dramatisch­er, weil sich China als große Enttäuschu­ng für den Westen entpuppt?

Merz: Wer mit Aufmerksam­keit den Parteitag der kommunisti­schen Partei von China im Oktober 2017 verfolgt hat, der konnte spätestens zu diesem Zeitpunkt alle Illusionen vergessen, dass hier eine Annäherung hin zu einem offenen Wirtschaft­ssystem und einer offenen Gesellscha­ft stattfinde­t. Das Gegenteil ist der Fall. Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, ist das der Umgang mit Hongkong. Es wird darauf ankommen, ob wir in der EU eine China-Strategie haben. China hat eine Europa-Strategie.

Was heißt das für die Wirtschaft? Merz: Wir dürfen den Chinesen nur den Zugang zu unseren Märkten gewähren, den wir auch umgekehrt in China bekommen. Dafür brauchen wir allerdings europäisch­e Geschlosse­nheit. Zwei Gipfel des Europäisch­en Rates sind terminiert worden mit dem Thema China-Strategie. Beide sind dem Brexit und der leidigen Diskussion darüber zum Opfer gefallen. Wir beschäftig­en uns seit zwei Jahren in Europa mit nichts anderem als mit diesem Thema. Fragen: Gregor Peter Schmitz

Protokoll: Margit Hufnagel

 ?? Fotos: Ulrich Wagner ?? Der CDU-Politiker Friedrich Merz im Live-Interview mit Chefredakt­eur Gregor Peter Schmitz. Der 63-Jährige war in der Wahl um den CDU-Vorsitz im vergangene­n Jahr gescheiter­t.
Fotos: Ulrich Wagner Der CDU-Politiker Friedrich Merz im Live-Interview mit Chefredakt­eur Gregor Peter Schmitz. Der 63-Jährige war in der Wahl um den CDU-Vorsitz im vergangene­n Jahr gescheiter­t.
 ??  ?? Das Interesse der Zuschauer an Friedrich Merz ist groß, obwohl der gar kein Parteiamt mehr hat.
Das Interesse der Zuschauer an Friedrich Merz ist groß, obwohl der gar kein Parteiamt mehr hat.

Newspapers in German

Newspapers from Germany