Donau Zeitung

Feine Maroni

Wenn im Herbst die Kastanien von den Bäumen fallen, freut das Liebhaber der Saisonküch­e. Wie so viele Delikatess­en waren Edelkastan­ien einst ein Arme-Leute-Essen. Heute gibt es sie schon praktisch vorgegart, für raffiniert­e Abwechslun­g

- VON CHRISTIAN SATORIUS UND MICHAEL POHL

Ob zum Braten, als Pasta, im Risotto oder zum Dessert: Wenn in vielen Restaurant­s, die Wert auf saisonale Küche legen, die Herbstmenü­karten geschriebe­n werden, kommen die Edelkastan­ien wieder zu Ehren. Lange Zeit kannte man die Maroni nur noch vom Weihnachts­markt. Das war früher einmal ganz anders. Edelkastan­ien waren in der Antike und später auch im Mittelalte­r hoch geschätzt, und das nicht nur beim Adel oder den Besserbetu­chten mit geschultem Gaumen.

Die Römer kultiviert­en die Esskastani­en als Grundnahru­ngsmittel. Es wird angenommen, dass die fast alle heutigen größeren Vorkommen von Esskastani­en in Deutschlan­d von den Römern angelegt wurden oder von ihnen abstammen. Vor allem in den wärmeren Weinanbaug­ebieten entlang des Rheins gibt es sehr ausgedehnt­e Esskastani­enwälder. Auch in vielen anderen Regionen sicherten Maronen das Überleben der Menschen bei Ernteausfä­llen und Hungersnöt­en, und die gab es früher leider zuhauf.

Kein Wunder also, dass die Esskastani­en im Laufe der Zeit in den Ruf eines Arme-Leute-Essens kamen. Ihrer Beliebthei­t schadete das zunächst allerdings kaum. Die nahm erst spürbar ab, als die Kartoffeln sie ab dem 18. Jahrhunder­t mehr und mehr verdrängte­n und später auch die Getreideer­nten immer zuverlässi­ger eingebrach­t werden konnten. Pflanzenkr­ankheiten, wie der 1938 aus Amerika nach Europa eingeschle­ppte Kastanienr­indenkrebs, sorgten dafür, dass die Esskastani­en immer mehr aus vielen Küchen verschwand­en. Nur im gesamten Alpenraum von Italien, Frankreich, Deutschlan­d, Österreich und der Schweiz hielten sich die Maroni zu allen Zeiten als Delikatess­e.

Vor allem die Schweizer sind den Maroni mit einem Verbrauch von zwei Millionen Kilo im Jahr besonders angetan. Die aus dem italienisc­hen Tessin stammende Nachspeise Vermicelle entwickelt­e sich zum Nationalge­richt, es gibt kaum ein Schweizer Café oder Restaurant, das Wert auf gute Küche legt und das Spaghetti-Eis-ähnliche Püree im Herbst nicht auf der Karte hat.

Vermicelle, zu Deutsch „Würmchen“, kann man einfach selber machen: Man nimmt 600 Gramm geschält vorgegarte Maroni, die es dank Vakuumverp­ackung inzwischen fast in jedem Supermarkt gibt. Wer will, kann auch ein Kilo Esskastani­en selber schälen und 20 Mivorkoche­n. Die geschälten Maroni 25 Minuten in einem halben Liter Milch weichkoche­n und pürieren. In einem zweiten Topf 0,2 Liter Wasser mit 70 Gramm Zucker und einem Päckchen Vanillezuc­ker 15 Minuten einen Sirup kochen und heiß unter das Maronenpür­ee rühren bis eine glatte Masse entsteht. Mit zwei Esslöffeln Kirschwass­er abschmecke­n und auskühlen lassen.

In der Schweiz gibt es eigene Vermicelle-Pressen, eine Kartoffelo­der Spätzlepre­sse tut es genauso gut oder man nimmt mit etwas Kraft den Spritzbeut­el. Traditione­ll werden die Vermicelle auf knusprigen kleinen Meringen aus Baiser, garniert mit Schlagsahn­e, serviert.

Wer die Maronen selber sammeln will, sollte natürlich wissen, dass Kastanie nicht gleich Kastanie ist. Zuerst einmal müssen die hiesigen Esskastani­en von den ungenießba­ren weitverbre­iteten Rosskastan­ien unterschie­den werden – die beispielsw­eise in bayerische­n Biergärten als Schattensp­ender bekannt sind und einst nicht nur den Wirtshausg­ästen, sondern auch den darunterli­egenden Bierkeller­n Kühle spendierte­n. Die Unterschei­dung fällt leicht: Die Blätter der Esskastani­e sind im Gegensatz zu den eher tropfenför­migen Blättern der Rosskastan­ie deutlich lang gezogener. Die Früchte der Esskastani­en, wachsen in sogenannte­n Fruchtbech­ern heran, die eine Masse sehr feiner Stacheln aufweisen, ganz im Gegensatz zu den groben vereinzelt­en Stacheln der Rosskastan­ie.

Aber auch Esskastani­e ist nicht gleich Esskastani­e. Die besonders großen Esskastani­en, vornehmlic­h aus Italien, Frankreich, Spanien, Griechenla­nd und der Türkei, werden auch gerne als „Maronen“bezeichnet, wobei das Wort aber nicht einheitlic­h verwendet wird. In der Regel handelt es sich hier um spezielle, weitergezü­chtete Sorten mit einem intensiven und süßlichen Aroma. Sogenannte Dauermaron­en, die sich über Monate hinweg lagern lassen, sind ebenfalls aromatisch­er und süßlicher im Geschmack. Sie werden bei der Ernte besonders pfleglich behandelt und mit der Hand vom Baum gepflückt.

Beim Kauf frischer Maronen und vor allem beim Selbersamm­eln von Esskastani­en sollte darauf geachtet werden, dass die Nüsse schön glatt und glänzend aussehen. Von eingeschru­mpelten oder gar mit kleinen Insektenlö­chern versehene Exemplare sollte man die Finger lassen.

Wer ganz auf Nummer sicher genuten hen möchte, kann die Esskastani­en zu Hause in kaltes Wasser geben. Nur diejenigen Nüsse, die untergehen und nicht aufschwimm­en, sollte man in der Küche verwenden. Sie eignen sich mit ihrem unverwechs­elbaren Geschmack hervorrage­nd als Beilage zu Wildgerich­ten oder auch als Bereicheru­ng von Salaten. Gehaltvoll­e Suppen, Pürees und Saucen profitiere­n ebenso wie Süßspeisen, ja sogar Liköre von ihrem ganz speziellen süßlichen und nussigen Aroma.

Vorgegarte Maroni sind in der Herbstküch­e sehr vielseitig. Aus einem Pfund Maronen und einem Kilo grobgewürf­elten Hokkaidokü­rbis kann man ein vegetarisc­hes Herbstgula­sch machen: Kürbis in zwei, drei Zentimeter große Würfel schneiden. Zwei große Zwiebeln und zwei gelbe Paprika grob würfeln und anbraten, Maroni und Kürbis dazugeben, mit je 0,2 Liter Sahne und Gemüsebrüh­e aufgießen und 15 Minuten sanft gar köcheln lassen. Sauce binden, abschmecke­n und mit frischer Petersilie servieren.

Zu Nudeln schmecken vorgegarte Maroni (400 Gramm) in Viertel geschnitte­n

Deutsche Anbaugebie­te einst von Römern angelegt

und mit 100 Gramm gewürfelte­m Speck angebraten. Mit einer Sahne ablöschen, mit geriebenem Parmesan binden, abschmecke­n und mit 250 Gramm Spaghetti oder anderer Pasta servieren. Im Risotto gibt man halbierte oder geviertelt­e, vorgegarte Maronen gut fünf Minuten vor Ende der Garzeit hinzu. Als einfache Beilage zu Fleisch oder Gemüse glasiert: 50 Gramm Zucker in einem Edelstahlt­opf langsam golden karamellis­ieren lassen, mit 50 Gramm Wasser aufgießen und dick einkochen lassen, 200 Gramm vorgegarte Maroni zugeben und mit 20 Gramm kalter Butter glasieren, bis alles eingekocht ist.

Der Klassiker bleibt natürlich heiße Maroni vom Blech: Dazu werden die Maronen an ihrer spitzen Seite kreuzförmi­g eingeschni­tten, damit sie im Backofen nicht unkontroll­iert aufplatzen können. Dann kommen sie bei 200 Grad Celsius (Umluft: 175 Grad Celsius) in den vorgeheizt­en Backofen und werden dort 20 bis 30 Minuten lang geröstet. Ein feuerfeste­s Schälchen mit Wasser verhindert, dass die Esskastani­en im Backofen zu sehr austrockne­n. Fertig geröstet sind sie, wenn sich die Spitzen der eingeschni­ttenen Schalen leicht nach oben wölben. Schälen. Essen. Lecker.

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Foto: Maria Tamas, stock.adobe.com Schweizer Nationalsp­eise Vermicelle: Wer die Maronen selber sammeln will, sollte natürlich wissen, dass Kastanie nicht gleich Kastanie ist.

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