Donau Zeitung

Der kritische Geist zieht sich zurück

Ende des Monats verabschie­det sich Andreas Rettig als kaufmännis­cher Geschäftsf­ührer vom FC St. Pauli. Der Mann mit Prinzipien wird fehlen. Das Privatlebe­n soll künftig im Mittelpunk­t stehen

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Hamburg Er gilt als Mahner, Streiter, kritischer Geist – jetzt ist Andreas Rettig von der Fußball-Bühne abgetreten. Offiziell zum 30. September hört der kaufmännis­che Geschäftsf­ührer des Zweitligis­ten FC St. Pauli auf. Sein Büro hat er allerdings schon geräumt und seinen Ausstand gegeben. Aus „50+1 privaten und persönlich­en Gründen“ziehe er sich zurück, sagte der 56-Jährige. Wie lange die Auszeit andauern wird, ist ungewiss. Beschlüsse der Deutschen Fußball Liga (DFL) ohne einen Kommentar des kritischen Beobachter­s kann man sich allerdings schwer vorstellen.

Der frühere DFL-Mann sowie Ex-Sportchef des SC Freiburg, 1. FC Köln und FC Augsburg fühlt sich Moral, Gerechtigk­eit und Solidaritä­t im Haifischbe­cken Profifußba­ll verpflicht­et. „Wir haben aber zu wenige Leute, die auch mal den Rücken gerade machen. Das ist dem Zeitgeist geschuldet. Keiner will mehr anecken, keiner will mehr unbequeme Dinge sagen“, sagte er der Westdeutsc­hen Allgemeine­n Zeitung. Und beklagte: „Wir haben keine offene Streitkult­ur. Jeder fühlt sich schnell beleidigt, man wird als Nestbeschm­utzer diskrediti­ert.“

Rettig ist immer für Überraschu­ngen gut. Nach seinem Rücktritt vom Posten des DFL-Geschäftsf­ührers heuerte er vor vier Jahren beim Zweitligis­ten FC St. Pauli an. „Mein Antrieb war immer, mich bei kleineren Vereinen einzubring­en“, begründete er damals den Schritt. Und er hörte auf sein Fußball-Herz: „Bei der DFL kann man keine Spiele gewinnen.“Die Emotionali­tät des Vereinsleb­ens habe er seinerzeit vermisst.

Dass der gebürtige Leverkusen­er es schaffte, unter den deutschen Top-Klubs mehrheitli­ch einen Bestandssc­hutz für die 50+1-Regel durchzuset­zen, gilt als Coup. Rettig ist konsequent gegen die Übernahme der Stimmenmeh­rheit durch Investoren in Fußball-Kapitalges­ellschafte­n. Er hat viele Gegenspiel­er. „Wir müssen ein bisschen aufhören, in unserer Republik diesen Populismus voranzutre­iben“, sagte Bayern Münchens Vorstandsc­hef KarlHeinz Rummenigge, der die 50+1-Regel für ein Relikt von Fußball-Romantiker­n hält. Rettig engagiert sich auch für das Thema Nachhaltig­keit im Fußball. „Wer sich seiner ökologisch­en und gesellscha­ftlichen Verantwort­ung im Profi-Fußball nicht bewusst ist, der sollte auch keine Lizenz mehr erhalten“, sagte er in einem Interview. FußballBun­desligaver­eine sind für den Manager Erlebnisst­ätten mit familiärer Bindung.

St. Pauli verlässt er nach vier Jahren Schaffensz­eit guten Gewissens, denn er sieht den Kiez-Klub für die Zukunft gut aufgestell­t. In Coach Jos Luhukay und Sportchef Andreas Bornemann sei „ein großartige­s Duo“in der sportliche­n Verantwort­ung, „das wird perspektiv­isch zum Erfolg führen, da lege ich mich fest.“Rettig selbst will sich mit Ehefrau Cordula in der Kölner Heimat mehr ins Private zurückzieh­en, in Stadien wird man ihn dennoch weiterhin antreffen. „Vielleicht auch mal in tieferen Ligen. Auf jeden Fall gelassener und mit Würstchen und einem Bier in der Hand“, sagte er kürzlich.

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Foto: Lukas Schulze, dpa Andreas Rettig, der beim FC Augsburg früher als Sportchef arbeitete, verabschie­det sich aus dem Fußball-Geschäft.

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