Donau Zeitung

Wo ist die Aufbruchst­immung der Wendezeit geblieben?

Mutige Bürger zwangen die SED-Diktatur vor 30 Jahren in die Knie. Danach lief manches schief. Doch das Wunder der deutschen Einheit sollte uns heute Inspiratio­n sein

- VON BERNHARD JUNGINGER bju@augsburger-allgemeine.de

Was war das nur für ein unglaublic­her, atemberaub­ender Herbst vor 30 Jahren, als entschloss­ene Bürger die autoritär-sozialisti­sche DDR-Diktatur in die Knie zwangen. Als Demonstran­ten friedlich den Weg zum historisch­en Wunder der deutschen Einheit bahnten. Und eine Mauer niederriss­en, die quälend lange Jahre als unüberwind­bar galt, Familien, Liebende und einen ganzen Kontinent trennte. Eine friedliche Revolution, getrieben von einem unbändigen Hunger nach Freiheit – über den viele im satten, wohlstands­verwöhnten, selbstzufr­iedenen Westteil Deutschlan­ds nur staunen konnten.

Welchen Mutes es bedurfte, sich einem der effektivst­en, brutalsten Sicherheit­sapparate, die es je gegeben hat, entgegenzu­stellen, ist bis heute kaum vorstellba­r. Die Stasi hatte nicht nur überall ihre Spitzel. Sondern auch Mittel und Macht, Systemgegn­er in ihren Gefängniss­en verschwind­en zu lassen. Trotzdem forderten Zigtausend­e diese unheimlich­e Staatsmach­t heraus.

In immer mehr Städten der DDR schlossen sich immer mehr Menschen der Bürgerrech­tsbewegung an, trugen ihren Protest auf die Straßen. Niemand konnte ausschließ­en, dass das Regime mit blutiger Gewalt gegen die friedliche­n Demonstran­ten vorgehen würde. In den Kasernen wartete die bis an die Zähne bewaffnete Nationale Volksarmee auf Befehle. Monatelang stand zu befürchten, dass das SED-Regime zur „chinesisch­en Lösung“greifen würde. Im April 1989 war das Militär in Peking mit Panzern gegen protestier­ende Studenten vorgegange­n und hatte ein Massaker angerichte­t.

Den Druck auf das DDR-Regime erhöhten zudem all die Menschen, die bereit waren, alles zurückzula­ssen, um in Freiheit leben zu können. Über Ungarn und die Tschechosl­owakei gelang immer mehr DDR-Bürgern die Flucht nach Westen. Am Ende dieses unglaublic­hen Herbstes fiel die Mauer. Der Grundstein für die Wiedervere­inigung am 3. Oktober des Folgejahre­s war gelegt.

Zur Wahrheit gehört: Ja, es ist dann auch vieles schiefgega­ngen nach der Wende vor 30 Jahren. Das anschließe­nde Zusammenwa­chsen dessen, was zusammenge­hört, war nicht frei von Verletzung­en und Rückschläg­en. Da muss noch über einiges gesprochen werden. Über das nach wie vor bestehende Wohlstands­gefälle, über das sich in vielen Teilen der neuen Bundesländ­er ausbreiten­de Gefühl des Abgehängts­eins. Darüber, dass eben längst nicht überall blühende Landschaft­en entstanden sind, die Helmut Kohl einst versprach. Darüber, dass Lebensträu­me in der harten Realität der Marktwirts­chaft platzten wie Seifenblas­en. Dass Freiheit für viele erst einmal Arbeitslos­igkeit bedeutete.

Es ist wichtig, genau nach den Gründen für den tief sitzenden Frust vieler Ostdeutsch­er zu fragen. Nicht nur, aber eben auch, weil er sich in den Wahlerfolg­en der rechtspopu­listischen AfD äußert. Es ist gut, dass jetzt eine Art Aufarbeitu­ng der Nachwendez­eit begonnen hat. Aber es muss eben auch Zeit sein, das Positive, das alles, was nicht so gut gelaufen ist, weit überstrahl­t, zu würdigen. Ohne nationales Triumphgeh­eul und stets im Bewusstsei­n, dass die deutsche Teilung direkte Folge des vom Nazi-Regime begonnenen Zweiten Weltkriegs war. Gerade mit Blick auf die dunklen Seiten deutscher Geschichte sind 30 Jahre Wende ein Anlass zum Feiern. Im Osten wie im Westen der Republik. Und wer sich dabei die Fernsehbil­der aus dem Herbst 1989 wieder ansieht, dem kommt unweigerli­ch ein Gedanke: Nur ein Bruchteil dieses Muts, dieser Unerschroc­kenheit, dieser unglaublic­hen Aufbruchst­immung würde heute, in unseren so verzagten Zeiten, verdammt guttun.

Das Positive überwiegt eindeutig

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