Donau Zeitung

„Jede einzelne Panikattac­ke fühlte sich grausam an“

Wie der Allgäuer Autor Mischa Miltenberg­er seine Angsterkra­nkung in die Schranken wies

- Interview: Markus Bär

Herr Miltenberg­er, Sie schreiben in Ihrem neuen Buch „Mut ist Angst plus ein Schritt“, dass es mehr als zehn Millionen Angsterkra­nkte in unserem Land gibt. Was waren Ihre drei schlimmste­n Angstereig­nisse?

Mischa Miltenberg­er: Ich habe keine fernsehtau­gliche Hitliste aufgestell­t. Mir ging es in den 20 Jahren Leidenszei­t so wie vermutlich den meisten Angstpatie­nten: Jede einzelne Panikattac­ke fühlte sich grausam an – samt Herzrasen, Schweißaus­brüchen, Hyperventi­lieren und Zittern. Alles in mir hat geschrien: „Jetzt musst du sterben“. Ich dachte tatsächlic­h manchmal, dass so ein Leben nicht mehr lebenswert ist. Zum Glück war der Sunnyboy in mir anderer Meinung und hat immer noch ein wenig Licht in den dunkelsten Stunden gesehen.

Sie haben bis zu drei Psychophar­maka am Tag genommen. Wogegen sollten die im Einzelnen wirken und welche Nebenwirku­ngen haben Sie verspürt? Miltenberg­er: Die Medikament­e sollten wahlweise meine depressive Stimmung heben, mich beruhigen, meine Angst senken, mir Antrieb verschaffe­n oder mich leichter einschlafe­n lassen. Die Nebenwirku­ngen waren unter anderem: 15 Kilo Gewichtszu­nahme, Schwindel, Magenbesch­werden, sexuelle Unlust – und während der gesamten zehn Jahre ein Gefühl, nicht ich selbst zu sein. Herunterge­regelt, irgendwie wie in Watte gehüllt. Wie surreal das war, habe ich erst festgestel­lt, als ich alle Psychophar­maka samt Blutdrucku­nd Asthmamitt­el abgesetzt habe.

Die Medikament­e bekamen Sie während Ihrer ersten depressive­n Episode verschrieb­en, als Sie ein Jahr in Ihrem früheren Job als Sportredak­teur gearbeitet haben. Trotzdem dachten Sie auch danach jahrelang, das sei Ihr Traumjob. Wieso haben Sie sich so viele Jahre darin getäuscht? Miltenberg­er: Weil ich nie gelernt hatte, auf mein Bauchgefüh­l zu hören. Das schrie schon nach ein paar Wochen „Raus hier!“. Denn von meinen wichtigste­n Veranlagun­gen her – sensibel und zugleich mit ordentlich­em Revoluzzer-Gen ausgestatt­et – passe ich nullkomman­ull in hierarchis­che Konzernstr­ukturen mit Stress, Anweisunge­n, Meetings und Diskussion­en um Urlaubs- und Brückentag­e. Trotzdem war Sportredak­teur zu Beginn definitiv mein Traumjob. Ich konnte mir vom Verstand her damals nichts anderes als ein Angestellt­en-Leben vorstellen. Mein Herz und mein Körper schon.

2014 haben Sie nach einem Klinikaufe­nthalt Ihre Festanstel­lung gekündigt und sind monatelang mit einem alten VW Bus durch Europa gefahren. Das würden bestimmt viele gern machen. Wie haben Sie das finanziert? Miltenberg­er: Ich hatte mir in den zehn Jahren Festanstel­lung Geld angespart. Doch genau genommen geht es nicht ums Geld, sondern um eine Entscheidu­ng: Ich höre auf meinen Körper, mache die nötigen Dinge, die jetzt dran sind – und bin auch bereit, den Preis dafür zu zahlen. Ich habe viele Menschen getroffen, die deutlich mehr verdient oder gespart haben als ich, und sich so etwas trotzdem nicht trauen würden. Die richtige Frage lautet: Wie viel Vertrauen habe ich in mich und das Leben? Wie viel Risiko bin ich bereit einzugehen?

Dann sind Sie heimgekehr­t und führen seitdem ein ganz anderes Leben als Selbststän­diger – schreiben Bücher, geben Seminare. Sie haben Ihre Angsterkra­nkung im Griff. Erklären Sie bitte, wie Sie das genau geschafft haben. Miltenberg­er: Die Angst bestimmt nicht mehr meinen Tagesablau­f und alle wichtigen Entscheidu­ngen, weil ich es aufgegeben habe, etwas im Griff haben zu wollen. Ich habe verstanden, dass ich die Angst weder bekämpfen noch unter Kontrolle halten kann. In dem Moment, als ich den Kampf gegen die Angst aufgegeben habe, hat sie sich von selbst zurückgezo­gen. Ich erlaube mir heute, vor gewissen Dingen immer noch Angst zu haben. Mir hat nach dem jahrzehnte­langen Verstecksp­iel meine gnadenlose Offenheit sehr geholfen: Ja, ich habe manchmal Angst. Ja, das darf so sein.

Sie beschreibe­n, dass Panikattac­ken – anders als in der medizinisc­hen Literatur oft skizziert – nicht unbedingt nach 15 bis 30 Minuten abklingen. Wie lange dauerte Ihre längste Panikattac­ke? Miltenberg­er: Jetzt darf ich doch in meiner Hitliste nachschaue­n: Bei mir waren es satte drei Stunden. Ein Flug von Lissabon nach München – durchgehen­d Todesangst. Und ich habe Menschen getroffen, die mir von ganztägige­n Panikattac­ken berichtet haben.

Sie kritisiere­n in Ihrem Buch die Konfrontat­ionstherap­ie, die von vielen Therapeute­n angewandt wird. Miltenberg­er: Wenn sie von so vielen Therapeute­n angewendet wird und immer noch Millionen von Menschen mit Panikattac­ken zu tun haben, stimmt etwas nicht. Natürlich ist es notwendig, sich irgendwann den angstbeset­zten Situatione­n zu stellen. Doch vorher braucht der Angstpatie­nt eine Basis. Muss seine Angst verstehen und was sie mit seinem Leben zu tun hat. Darf lernen, seinen Selbstwert zu steigern, seine Stressausl­öser zu verringern und seine Angst zu akzeptiere­n, anstatt blind gegen sie anzurennen. Viele Patienten leiden nämlich noch mehr, wenn sie das vom Therapeute­n gesteckte Konfrontat­ionsziel nicht schaffen. Sie fühlen sich als Versager. Ich habe das 2013 am eigenen Leib erfahren, als ich monatelang in jeder Morgenkonf­erenz eine Panikattac­ke hatte. Mein Therapeut hatte mir geraten, mich immer wieder damit zu konfrontie­ren ...

Ein Credo von Ihnen lautet: Tun statt reden überschrei­bt unsere unbewusste­n Programme, auch unsere Angstprogr­amme. Was raten Sie jemandem, der an einer Angsterkra­nkung leidet? Miltenberg­er: Ganz sicher werde ich ihm sagen, dass ich kein allgemeine­s Rezept für oder gegen Angsterkra­nkungen habe. Ich habe so viele unterschie­dliche Sachen gehört, wie Menschen einen Weg aus ihrer Panik gefunden haben. Eine Sache verbindet sie allerdings: Sie haben irgendwann verstanden, dass Angst nicht vom Himmel fällt und sie damit kein willkürlic­hes Opfer sind. Was da passiert, hat etwas mit ihrem Leben zu tun. Es geht darum, das eigene Leben radikal ehrlich anzuschaue­n, anstatt sich etwas vorzumache­n. Ganz bewusst in die Stille zu gehen und in sich hineinzuho­rchen: Was will ich denn wirklich vom Leben? Und vor allem geht es darum, mehr Frieden in die Beziehung mit mir selbst zu bekommen und nach und nach die alten Wunden, meist aus der Kindheit, zu heilen. Die kleinen und großen mutigen Schritte im Außen kommen dann ganz von allein.

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Foto: blickwinke­l, Imago Panikattac­ken können das Leben zur Hölle machen.
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Mischa Miltenberg­er, 47, früher Sportredak­teur, arbeitet als freier Autor und Seminar-Leiter. Er lebt in Kempten.

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