Donau Zeitung

Das Dilemma des Grünten ist das Dilemma des Tourismus

Das Ringen um die Liftmodern­isierung im Allgäu zeigt, wie unversöhnl­ich sich Naturschüt­zer und Wirtschaft gegenübers­tehen. Warum sich beide bewegen müssen

- VON MARKUS RAFFLER raf@augsburger-allgemeine.de

Wieder sorgt ein Berggipfel im Oberallgäu für Schlagzeil­en: Die geplante Liftmodern­isierung am Grünten, dem 1738 Meter hohen Wächter des Allgäus, polarisier­t die Menschen – und sie weckt Erinnerung­en an den erbitterte­n Streit um die Liftverbin­dung am Riedberger Horn. Die bis 2018 vorgesehen­e Skischauke­l wurde vor Ort herbeigese­hnt, von Naturschüt­zern und überwiegen­d auswärtige­n Kritikern dagegen erbittert bekämpft. Am Ende standen das klägliche Ende eines ambitionie­rten Millionen-Projektes und ein Ministerpr­äsident Markus Söder, der mit seiner geplanten Rochade bestehende­r Schutzgebi­etsgrenzen krachend an die Wand gefahren war.

Auch am Grünten stehen sich Befürworte­r und Gegner eines touristisc­hen Leuchtturm­projektes unversöhnl­ich gegenüber. Das Skigebiet unterhalb des Gipfels soll für etwa 30 Millionen Euro modernisie­rt werden. Eine Oberallgäu­er Unternehme­rfamilie will sieben bestehende Lifte durch drei neue Anlagen ersetzen – unter anderem durch eine Zehner-Kabinenbah­n für den Sommer und einen Sessellift für den Skibetrieb. Auch eine moderne Gastronomi­e ist geplant. Und eine Walderlebn­isbahn soll den Sommerbetr­ieb anheizen.

Eines ist klar: Wird die Planung so verwirklic­ht, ist der Grünten zumindest bis auf 1400 Meter Höhe ein anderer. Bislang müssen Wanderer den beliebten Aussichtsb­erg mühsam erklimmen. Schon jetzt steigen sich dort an schönen Tagen Urlauber und Einheimisc­he auf die Füße. Künftig würde es auch im Sommer bequem nach oben und zurück ins Tal gehen. Die neuen Attraktion­en schaffen deutlich mehr Frequenz. Und die schafft ein Vielfaches an Reibung.

Das Ringen um die geplante „Bergwelt“, gegen die im Internet fast 70 000 Menschen mobil machten und gegen die gestern 1100 Kritiker eine Menschenke­tte bildeten, ist aber nicht nur ein örtliches Dilemma. Es steht zugleich für den verbissene­n Schlagabta­usch zwischen Naturbewah­rern und Tourismusw­irtschaft. Doch welche Nutzung verträgt ein Berg? Welche Nutzung vertragen Flora und Fauna? Vor allem aber: Welche Nutzung vertragen die Menschen am Gipfel und im Tal? Objektive Antworten auf diese Fragen gibt es nicht. Stattdesse­n bietet es sich an, mit anderen Fragen zu entgegnen: Muss dieser martialisc­he Schlagabta­usch mit massiven persönlich­en Angriffen überhaupt sein? Kann man das Problem nicht mit Vernunft und klaren Leitplanke­n lösen?

Man sollte es meinen. Dafür allerdings muss es einen offenen Dialog geben – und Verständni­s für die jeweils andere Seite. Das heißt: Investoren und Tourismusf­örderer sollten sich noch stärker als bisher vor Augen halten, dass für viele Menschen eine unberührte Landschaft, ein Gipfel ohne Eingriffe höchsten Genuss bedeuten. Naturschüt­zer und Bergliebha­ber wiederum sollten akzeptiere­n, dass eine neue Kabinenbah­n, eine moderne Gastronomi­e oder eine Seilrutsch­e sehr wohl ihre Berechtigu­ng haben – an ausgewählt­en Stellen und in eng abgesteckt­em Rahmen. Denn nur mit einem Ganzjahres­angebot ist heute ein wirtschaft­licher Betrieb am Berg machbar.

Das alles funktionie­rt aber nur mit einer klaren regionalen Strategie und einer konsequent­en Besucherle­nkung vor Ort, wie sie für Mountainbi­ker und Skitoureng­eher bereits punktuell praktizier­t wird. Den meisten Tourismusc­hefs im Allgäu ist längst klar: Wir müssen Urlaubern Qualität bieten. Und wir brauchen einen Tourismus, der Einheimisc­he noch atmen lässt. Beides am Grünten zu verwirklic­hen, ist eine echte Herausford­erung. Aber es kann gelingen, wenn Gegner und Befürworte­r nicht auf Maximalfor­derungen beharren.

Muss dieser martialisc­he Schlagabta­usch sein?

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