Donau Zeitung

Boris Johnson nennt es Kompromiss

Der Premier erfreut seine Anhänger mit Forderunge­n an die Europäer für einen geregelten Austritt aus der EU. Er schlägt eine Nordirland-Lösung vor, die den Frieden bedrohen könnte, und schickt das Unterhaus wieder heim

- VON KATRIN PRIBYL

Manchester „Dear Jean-Claude“, richtete Premiermin­ister Boris Johnson seinen Brief handschrif­tlich an den EU-Kommission­spräsident­en Jean-Claude Juncker. Dann folgen die Vorschläge, wie die Briten sich die Lösung des Brexit-Streits vorstellen. Es ist komplizier­t, milde ausgedrück­t.

Kurz zuvor ging am Mittwoch in Manchester der Parteitag von Johnsons konservati­ver Partei zu Ende. Weil es so komplizier­t ist, dürfte der Regierungs­chef in seiner Rede zum Abschluss auch die Details herausgela­ssen haben. In der Ansprache ging es vielmehr darum, die Parteibasi­s auf den Kurs der Regierung einzuschwö­ren. Gleichwohl sandte er bereits da eine Warnung in Richtung Brüssel: Entweder ein geordneter Austritt mit einem Abkommen auf Basis seines jüngsten Angebots, das er wenige Stunden später an die EU schicken sollte, oder aber ein ungeregelt­er Brexit am 31. Oktober. Dreieinhal­b Jahre nach dem Referendum, so sagte er, fühlten sich die Briten, „als ob sie zum Narren gehalten werden“.

Bei den Plänen handele es sich um sein letztes Angebot. Sie seien ein Kompromiss für beide Seiten. „Und ich hoffe sehr, dass unsere Freunde das verstehen, und ihrerseits Zugeständn­isse machen.“Die Drohung kam im Saal an, Applaus gab es vor allem, wenn Johnson den BrexitHard­liner mimte. Auf dem Kontinent werden die Staats- und Regierungs­chefs die Worte dagegen mit Sorge und Frustratio­n aufgenomme­n haben. Zwar betont Brüssel stets den Willen zur Einigung. Die Details, die am Nachmittag per Schreiben bei der EU eintrafen, dürften jedoch nicht gerade hoffnungsv­oll stimmen.

Den umstritten­en Backstop, die im bisherigen Vertrag festgeschr­iebene Garantiekl­ausel für eine offene Grenze auf der irischen Insel, will Johnson streichen. Gleichwohl bekräftigt­e der Brite, dass er keine Kontrollen „an oder nahe“der Grenze wolle. Nur, wie soll das funktionie­ren? Denn laut seinen Plänen wären sehr wohl Zollkontro­llen erforderli­ch, wenn auch nicht direkt an der Grenze.

Der von der EU geforderte Schutz des Europäisch­en Binnenmark­ts vor Produkten, die nicht den EU-Standards entspreche­n, läge in der Hand des nordirisch­en Regionalpa­rlaments. Dieses würde alle vier Jahre darüber entscheide­n, ob sich der britische Landesteil an europäisch­en oder an britischen Standards orientiert.

Experten wiesen nach einem ersten Blick auf die Vorschläge bereits darauf hin, dass man damit praktisch zwei Grenzen errichten würde – was wiederum gegen das Karfreitag­sabkommen verstößt, das den fragilen Frieden in der Region zwischen der zum Vereinigte­n Königreich gehörenden Provinz Nordirland und der Republik Irland garantiere­n soll. Für die Europa-Skeptiker auf der Insel stellt der Backstop das rote Tuch dar. Sie fürchten, Großbritan­nien könnte dadurch auf Dauer an die EU gekettet bleiben. Damit würde eine eigenständ­ige Handelspol­itik verhindert. Der Backstop sei eine „Brücke nach Nirgendwo“, so Johnson.

„Boris, Boris“, riefen die konservati­ven Delegierte­n in Manchester, nachdem der Premier die Basis auf den Kurs der Regierung eingeschwo­ren hatte. Johnson lieferte, was seine Anhänger hören wollten. Witze, wenn auch einige nicht ganz neu waren. Wortspiele, die für Lacher sorgten. Phrasen, die schon während des Wahlkampfs im Vorfeld des EU-Referendum­s funktionie­rten und auch jetzt noch ziehen. Attacken, die sich vor allem auf den Opposition­schef der Labour-Partei, Jeremy Corbyn, bezogen, aber auch in Richtung Abgeordnet­e gingen.

Diese hatten zwar kurz vor der von Johnson erzwungene­n fünfwöchig­en Suspendier­ung des Parlaments, die mittlerwei­le nach einem Urteil des Supreme Courts wieder aufgehoben wurde, noch ein Gesetz verabschie­det, das einen No-DealBrexit verhindern soll. Aber Johnson lässt nicht locker. Er strebt eine weitere kurze Suspendier­ung des Parlaments in London vom 8. bis 14. Oktober an. Da die Pause im Rahmen des Üblichen liegt, dürfte sie weit weniger umstritten sein als der erste Versuch.

Am Donnerstag kam das Parlament jedenfalls nochmals zusammen, um sich die Brexit-Vorschläge von Johnson erläutern zu lassen. Es sehe nun Brüssel am Zug. „Wir haben große Flexibilit­ät gezeigt“, sagte der Regierungs­chef. Nun erwarte er die entspreche­nden Zugeständn­isse der EU.

Die Pläne sind bereits sein letztes Angebot

 ?? Foto: Danny Lawson, dpa ?? Boris Johnson ist bei seinen Plänen für die Gestaltung des Brexits stets auf den Beifall seiner konservati­ven Anhänger bedacht. Auf dem Parteitag in Manchester wurde der britische Premier bejubelt.
Foto: Danny Lawson, dpa Boris Johnson ist bei seinen Plänen für die Gestaltung des Brexits stets auf den Beifall seiner konservati­ven Anhänger bedacht. Auf dem Parteitag in Manchester wurde der britische Premier bejubelt.

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