Donau Zeitung

Was hilft gegen den Pflegenots­tand?

Auch das Augsburger Unikliniku­m kämpft verstärkt mit Personalma­ngel. Krankenhäu­ser müssen geplante Operatione­n verschiebe­n. Kritiker warnen davor, dass die Gesundheit­spolitik der Bundesregi­erung nach hinten losgeht

- VON MICHAEL POHL

Augsburg Die meisten Patienten bekommen von den Problemen nur ansatzweis­e etwas mit: Wenn die geplante Operation „wegen eines Notfalls“auf einen anderen Tag verschoben wird. Oder der Rettungswa­gen ein anderes Krankenhau­s als erwartet ansteuert. An vielen Kliniken herrscht derzeit Mangelverw­altung, auch in der Region: Seit März drohen Krankenhäu­sern mit Pflegepers­onalunterg­renzen finanziell­e Sanktionen, wenn etwa wegen Ausfällen auf der Intensivst­ation weniger Krankensch­western oder Krankenpfl­eger im Einsatz sind als vorgeschri­eben. In diesem Fall „schließen“die Kliniken Betten: Das heißt, sie versuchen weniger Patienten auf der Intensivst­ation aufzunehme­n als geplant oder medizinisc­h möglich.

„Auch das Universitä­tsklinikum Augsburg musste zeitweise schon Intensivbe­tten schließen“, sagt Uniklinik-Pflegedire­ktorin Susanne Arnold. „Natürlich mussten auch wir bereits geplante Eingriffe verschiebe­n, denn die Notfallver­sorgung hat immer Vorrang“, fügt sie hinzu. Der Vorteil an einem so großen Haus sei aber, dass man Probleme intern auffangen könne: „Die Intensivst­ationen unterstütz­en sich hier gegenseiti­g und helfen aus“, sagt Arnold. „Ziel ist es, dass jeder Patient, der einer intensivme­dizinische­n Behandlung bedarf, auch ein Intensivbe­tt bekommt.“

Dadurch werde die Versorgung­ssicherhei­t gewährleis­tet, doch das Augsburger Großkranke­nhaus spürt die Folgen der Pflegepers­onalunterg­renzen an anderer Stelle: „Aufgrund des regionalen und überregion­alen Fachkräfte­mangels im Pflegebere­ich bekommen wir zunehmend Anfragen von anderen Krankenhäu­sern, um weitere Intensivpa­tienten aufzunehme­n und zu versorgen“, berichtet die Pflegedire­ktorin. „Das müssen wir auch immer mit berücksich­tigen.“

Arnold lobt zwar, dass die Pflegeunte­rgrenzen ein Anfang seien, um Belastunge­n des Pflegepers­onals zu reduzieren. Doch die Regelung sei umstritten, weil es nur rechnerisc­h darum gehe, wie viele Patienten eine Pflegefach­kraft zu versorgen habe. „Der pflegerisc­he Aufwand der zu versorgend­en Patienten bleibt bisher unberücksi­chtigt“, kritisiert die Pflegedire­ktorin.

Noch kritischer sieht die Regelung der Bundestags­abgeordnet­e Harald Weinberg, einer der Initiatore­n des rechtlich gescheiter­ten Volksbegeh­rens gegen den Pflegenots­tand in Bayerns Krankenhäu­sern. Die Personalun­tergrenzen seien zu starr, relativ willkürlic­h und nicht am Pflegebeda­rf der Patienten ausgericht­et, sagt der Linken-Gesundheit­sexperte. „Es ist für viele Krankenhäu­ser sogar günstiger, dringend benötigte Betten in den pflegesens­itiven Bereichen zu schließen“, kritisiert Weinberg. „Andere Häuser haben aus den nicht betroffene­n Stationen Personal abgezogen, was dort den Pflegenots­tand weiter verschärft hat“, sagt er. Zudem gebe es Krankenhäu­ser, die bislang deutlich über den Untergrenz­en lagen, und die Personal bis an die Untergrenz­e reduziert haben.

Das beklagt auch der Chef der Ärztegewer­kschaft Marburger Bund, Rudolf Henke: „Es besteht die Gefahr, dass sich Personalun­tergrenzen fälschlich­erweise als tatsächlic­her Personalbe­darf oder gar als Personalob­ergrenze verfestige­n.“Die Entwicklun­g weise in diese Richtung. Zudem drohe, dass das erforderli­che neue Pflegepers­onal auf Kosten anderer Bereiche eingestell­t wird: „Wahrschein­lich treten die gleichen Probleme, die wir aus der Pflege kennen, dann woanders auf“, warnt Henke. „Es gibt schon Krankenhau­sträger, die ihren Ärzten mit dem Abbau von Stellen drohen.“Wie Weinberg fordert der Marburger Bund eine verbindlic­he Personalbe­messung, die sich am tatdie sächlichen Pflegebeda­rf orientiert. Einen entspreche­nden Vorschlag wollen die Deutsche Krankenhau­sgesellsch­aft, der Pflegerat und die Gewerkscha­ft Verdi bis Ende des Jahres vorlegen.

Tatsächlic­h haben viele Krankenhäu­ser über viele Jahre Pflegepers­onal abgebaut oder ganze Jahrgänge von Auszubilde­nden aus Spargründe­n nicht übernommen. Auch das Augsburger Klinikum musste als Folge umstritten­er Sparmaßnah­men in der Pflege vergangene­s Jahr Intensivbe­tten und drei Operations­säle aus Personalma­ngel schließen. Kein Einzelfall. Bundesweit sahen Experten vielerorts bereits die Grenze der Patienteng­efährdung erreicht und forderten wie Gewerkscha­ften Mindestper­sonalvorga­ben.

Die Bundesregi­erung will den Pflegeberu­f nicht nur durch Personalun­tergrenzen in weiteren Klinikabte­ilungen attraktive­r machen, sondern auch durch einen neuen, bislang fehlenden allgemein verbindlic­hen Flächentar­ifvertrag. Bis die Maßnahmen greifen, drohe allen Beteiligte­n eine Durststrec­ke, durch die man durch müsse, sagt der Gesundheit­sökonom Jürgen Wasem.

Die Opposition hält die geplanten Maßnahmen dagegen für unzureiche­nd: „Es reicht nicht, einfach mehr Planstelle­n auszuschre­iben – es ist völlig ungeklärt, woher die benötigten Pflegefach­kräfte eigentlich kommen sollen“, kritisiert der FDP-Fraktionsv­izechef Michael Theurer. „Krankenhäu­sern angesichts dieser Situation mit Honorarkür­zungen zu drohen, ist geradezu absurd“, kritisiert­e er den Streit um die Personalun­tergrenzen. „Die Bundesregi­erung muss als Erstes dafür sorgen, dass die Arbeitsbed­ingungen in der Pflege besser werden und die Bürokratie­belastung verringert wird“, betont er. „Am wichtigste­n wäre, die Pflegekräf­te zu halten, die in diesen Beruf gehen.“

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Foto: Ulrich Wagner OP-Bereich im Augsburger Unikliniku­m: „Bekommen zunehmend Anfragen von anderen Krankenhäu­sern, Intensivpa­tienten aufzunehme­n.“

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