Was hilft gegen den Pflegenotstand?
Auch das Augsburger Uniklinikum kämpft verstärkt mit Personalmangel. Krankenhäuser müssen geplante Operationen verschieben. Kritiker warnen davor, dass die Gesundheitspolitik der Bundesregierung nach hinten losgeht
Augsburg Die meisten Patienten bekommen von den Problemen nur ansatzweise etwas mit: Wenn die geplante Operation „wegen eines Notfalls“auf einen anderen Tag verschoben wird. Oder der Rettungswagen ein anderes Krankenhaus als erwartet ansteuert. An vielen Kliniken herrscht derzeit Mangelverwaltung, auch in der Region: Seit März drohen Krankenhäusern mit Pflegepersonaluntergrenzen finanzielle Sanktionen, wenn etwa wegen Ausfällen auf der Intensivstation weniger Krankenschwestern oder Krankenpfleger im Einsatz sind als vorgeschrieben. In diesem Fall „schließen“die Kliniken Betten: Das heißt, sie versuchen weniger Patienten auf der Intensivstation aufzunehmen als geplant oder medizinisch möglich.
„Auch das Universitätsklinikum Augsburg musste zeitweise schon Intensivbetten schließen“, sagt Uniklinik-Pflegedirektorin Susanne Arnold. „Natürlich mussten auch wir bereits geplante Eingriffe verschieben, denn die Notfallversorgung hat immer Vorrang“, fügt sie hinzu. Der Vorteil an einem so großen Haus sei aber, dass man Probleme intern auffangen könne: „Die Intensivstationen unterstützen sich hier gegenseitig und helfen aus“, sagt Arnold. „Ziel ist es, dass jeder Patient, der einer intensivmedizinischen Behandlung bedarf, auch ein Intensivbett bekommt.“
Dadurch werde die Versorgungssicherheit gewährleistet, doch das Augsburger Großkrankenhaus spürt die Folgen der Pflegepersonaluntergrenzen an anderer Stelle: „Aufgrund des regionalen und überregionalen Fachkräftemangels im Pflegebereich bekommen wir zunehmend Anfragen von anderen Krankenhäusern, um weitere Intensivpatienten aufzunehmen und zu versorgen“, berichtet die Pflegedirektorin. „Das müssen wir auch immer mit berücksichtigen.“
Arnold lobt zwar, dass die Pflegeuntergrenzen ein Anfang seien, um Belastungen des Pflegepersonals zu reduzieren. Doch die Regelung sei umstritten, weil es nur rechnerisch darum gehe, wie viele Patienten eine Pflegefachkraft zu versorgen habe. „Der pflegerische Aufwand der zu versorgenden Patienten bleibt bisher unberücksichtigt“, kritisiert die Pflegedirektorin.
Noch kritischer sieht die Regelung der Bundestagsabgeordnete Harald Weinberg, einer der Initiatoren des rechtlich gescheiterten Volksbegehrens gegen den Pflegenotstand in Bayerns Krankenhäusern. Die Personaluntergrenzen seien zu starr, relativ willkürlich und nicht am Pflegebedarf der Patienten ausgerichtet, sagt der Linken-Gesundheitsexperte. „Es ist für viele Krankenhäuser sogar günstiger, dringend benötigte Betten in den pflegesensitiven Bereichen zu schließen“, kritisiert Weinberg. „Andere Häuser haben aus den nicht betroffenen Stationen Personal abgezogen, was dort den Pflegenotstand weiter verschärft hat“, sagt er. Zudem gebe es Krankenhäuser, die bislang deutlich über den Untergrenzen lagen, und die Personal bis an die Untergrenze reduziert haben.
Das beklagt auch der Chef der Ärztegewerkschaft Marburger Bund, Rudolf Henke: „Es besteht die Gefahr, dass sich Personaluntergrenzen fälschlicherweise als tatsächlicher Personalbedarf oder gar als Personalobergrenze verfestigen.“Die Entwicklung weise in diese Richtung. Zudem drohe, dass das erforderliche neue Pflegepersonal auf Kosten anderer Bereiche eingestellt wird: „Wahrscheinlich treten die gleichen Probleme, die wir aus der Pflege kennen, dann woanders auf“, warnt Henke. „Es gibt schon Krankenhausträger, die ihren Ärzten mit dem Abbau von Stellen drohen.“Wie Weinberg fordert der Marburger Bund eine verbindliche Personalbemessung, die sich am tatdie sächlichen Pflegebedarf orientiert. Einen entsprechenden Vorschlag wollen die Deutsche Krankenhausgesellschaft, der Pflegerat und die Gewerkschaft Verdi bis Ende des Jahres vorlegen.
Tatsächlich haben viele Krankenhäuser über viele Jahre Pflegepersonal abgebaut oder ganze Jahrgänge von Auszubildenden aus Spargründen nicht übernommen. Auch das Augsburger Klinikum musste als Folge umstrittener Sparmaßnahmen in der Pflege vergangenes Jahr Intensivbetten und drei Operationssäle aus Personalmangel schließen. Kein Einzelfall. Bundesweit sahen Experten vielerorts bereits die Grenze der Patientengefährdung erreicht und forderten wie Gewerkschaften Mindestpersonalvorgaben.
Die Bundesregierung will den Pflegeberuf nicht nur durch Personaluntergrenzen in weiteren Klinikabteilungen attraktiver machen, sondern auch durch einen neuen, bislang fehlenden allgemein verbindlichen Flächentarifvertrag. Bis die Maßnahmen greifen, drohe allen Beteiligten eine Durststrecke, durch die man durch müsse, sagt der Gesundheitsökonom Jürgen Wasem.
Die Opposition hält die geplanten Maßnahmen dagegen für unzureichend: „Es reicht nicht, einfach mehr Planstellen auszuschreiben – es ist völlig ungeklärt, woher die benötigten Pflegefachkräfte eigentlich kommen sollen“, kritisiert der FDP-Fraktionsvizechef Michael Theurer. „Krankenhäusern angesichts dieser Situation mit Honorarkürzungen zu drohen, ist geradezu absurd“, kritisierte er den Streit um die Personaluntergrenzen. „Die Bundesregierung muss als Erstes dafür sorgen, dass die Arbeitsbedingungen in der Pflege besser werden und die Bürokratiebelastung verringert wird“, betont er. „Am wichtigsten wäre, die Pflegekräfte zu halten, die in diesen Beruf gehen.“