Trump eröffnet eine neue Front
Der Syrien-Krieg ist ein Pulverfass, das weit über die Landesgrenzen hinaus große Gefahren birgt. Vier Lehren aus dem Konflikt
● 1. Lehre Amerika ist kriegsmüde. Präsident Donald Trump hat seinen Wählern immer wieder versprochen, aus den „lächerlichen endlosen Kriegen“in Afghanistan, Irak und Syrien herauszuwollen. Er betrachte die Lage in Syrien nicht mehr als US-Angelegenheit. Einen klaren Kurs hat das Weiße Haus allerdings nicht. Schon mit Blick auf Afghanistan hatte Trump angekündigt, die Truppenpräsenz deutlich zu reduzieren – und musste seine Pläne wenig später wieder auf Eis legen. Auch jetzt ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Denn seine republikanischen Parteifreunde reagieren mit ungewohnt heftiger öffentlicher Kritik. Der einflussreiche republikanische Senator und Trump-Vertraute Lindsey Graham sprach in einer Serie aufgebrachter Tweets von einer impulsiven, traurigen und höchst gefährlichen Entscheidung Trumps. Er kündigte eine parteiübergreifende Resolution an, um Sanktionen gegen die Türkei durchzusetzen im Fall einer türkischen „Invasion“Nordsyriens. Sollten türkische Truppen kurdische Kräfte dort angreifen, werde man auch die Aussetzung der Nato-Mitgliedschaft der Türkei fordern.
● 2. Lehre Ein Abzug der USA gilt als Verrat an den Kurden. Denn die besiedeln die Gebiete entlang der türkischen Grenze und konnten sich bislang der Unterstützung aus Washington relativ sicher sein. Und das nicht ohne Grund: Die kurdisch dominierten Streitkräfte Syriens (SDF) waren im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) ein enger Verbündeter des Westens, sie sind ein wesentlicher Faktor bei der Zerschlagung des Kalifats. Die SDF-Soldaten waren quasi die Bodentruppen, die weder die USA noch Europa je stellen wollten. Für die Kurden ist dies nicht die erste als Verrat empfundene Volte der USA. Schon 1991 bestärkten die Amerikaner die irakischen Kurden zum Aufstand gegen Saddam Hussein – und ließen sie dann im Stich. Die Kurden zahlten einen hohen Blutzoll.
● 3. Lehre Der türkischen Einmarsch in Syrien könnte ein Verstoß gegen das Völkerrecht sein. Die Rechtslage ist eindeutig: Ein Staat darf niemals mit Gewalt in das Gebiet eines anderen Staates eindringen. Wenn also Erdogan militärisch in Syrien aktiv wird, bedarf das einer besonderen Rechtfertigung – es sei denn, die Regierung in Damaskus willigt in den Einsatz ein. Danach sieht es nicht aus: Syrien warnte seinen Nachbarn gestern ausdrücklich vor einem Einmarsch. Syrien werde sein Territorium verteidigen und keine Besetzung der „syrischen Erde“akzeptieren, zitierte die regierungsnahe Zeitung „AlWatan“den stellvertretenden Außenminister Faisal al-Makdad. Er rief die Kurden zudem auf, zurück an die Seite der Regierung in Damaskus zu kommen und sich nicht „selbst in die Hölle zu stürzen“, nachdem die Kurden von den USA im Stich gelassen worden seien.
● 4. Lehre Der Einmarsch der Türkei in Syrien könnte den Islamischen Staat stärken. Nicht nur, dass die kurdischen Truppen wichtiger Partner im Kampf gegen den IS sind. Nach Schätzungen des US-Militärs befinden sich rund 10000 ISKämpfer in teils improvisierten Gefängnissen der von den Kurden angeführten SDF-Truppen. Darunter sind nach Angaben der Bundesregierung auch etwa 40 deutsche Kämpfer und rund 70 Frauen mit 120 Kindern. Mehrere Gefängnisse befinden sich in unmittelbarer Nähe zur Grenze zur Türkei, etwa in Ain Issa, Kobane, Kamischli und Malihija. Werden die Kurden allerdings vertrieben, ist unklar, was mit den Gefangenen geschieht. Der IS jedenfalls ist in Syrien zwar geschwächt, aber eben noch längst nicht besiegt. Das „Kalifat“verlor im März zwar seine letzten Herrschaftsgebiete. Doch „Kalif“Baghdadi und andere Top-Dschihadisten sind nach wie vor auf freiem Fuß und arbeiten an einem Comeback. Baghdadi forderte seine Gefolgsleute auf, die IS-Gefangenen in Syrien und im Irak zu befreien. Das US-Militär warnte kürzlich in einem Bericht an den US-Kongress, dass sich IS-Kämpfer in Syrien und im Irak neu gruppieren konnten. Zwischen 14 000 und 18 000 Mann hielten sich noch in den beiden Ländern auf. Margit Hufnagel