Donau Zeitung

Respekt will erarbeitet sein

Morgen gibt die Schwedisch­e Akademie zwei neue Literatur-Nobelpreis­träger bekannt. Nach Sex- und Betrugsska­ndal soll dies der Wendepunkt zur Erneuerung werden

- VON SARAH RITSCHEL

Stockholm Dieses Jahr gab es keine Austern. Stattdesse­n servierte kürzlich die Schwedisch­e Akademie ihren Gästen beim traditione­llen Empfang auf der Göteborger Buchmesse einen bodenständ­igen Västerbott­enpaj, eine Art Quiche mit viel würzigem, schwedisch­em Käse. Für manche Gäste – darunter auch eine Reihe Literaturk­ritiker aus der Hauptstadt Stockholm – war der Wechsel im Menü mehr als eine Laune des Küchenteam­s.

Sie deuteten ihn als Teil des Bildes, das die Schwedisch­e Akademie nach dem Sex- und Finanzskan­dal rund um den Literaturn­obelpreis im vergangene­n Jahr von sich vermitteln will: eine Institutio­n, die herunterge­stiegen ist von ihrem hohen Ross und jetzt fast demütig-bescheiden auftritt. Die sehr wohl weiß, dass vor einem Jahr noch ihre Existenz wankte. Über die Aussagekra­ft einer Speisekart­e kann man streiten, aber nicht darüber, dass das Nobelpreis­komitee im Fach Literatur seine Unantastba­rkeit dahingeben musste. Sex, Verrat, Lüge und Missgunst: Mehr Intrige als 2018 hat die Schwedisch­e Akademie in ihrer 233-jährigen Geschichte nicht erlebt. 2019 soll endlich wieder die Literatur im Mittelpunk­t stehen.

Wenn am morgigen Donnerstag gleich zwei Preisträge­r verkündet werden, dann hat eine Reihe von Personen der Literatur-Jury nicht mehr angehört: allen voran die Literatin Katarina Frostenson, die nach den #MeToo-Enthüllung­en um ihren Ehemann, den Franzosen JeanClaude Arnault, von sich aus zurückgetr­eten war. Arnault wurde 2018 von einem Berufungsg­ericht in Stockholm zu zweieinhal­b Jahren Haft wegen Vergewalti­gung verurteilt. Über zwei Jahrzehnte hinweg hat er Frauen zum Sex gezwungen und damit gedroht, ihre Karriere zu zerstören. Derweil lebte das Paar mit satter Unterstütz­ung der Schwedisch­en Akademie in einer edlen Stockholme­r Wohnung und ließ sich private Kultur-Aktivitäte­n fördern. Aus Protest gegen den Umgang mit dem Skandal waren drei weitere Mitglieder des 18-köpfigen Nobelpreis­gremiums zurückgetr­eten. Sara Danius, seit 2015 Ständige Sekretärin und so etwas wie das Gesicht der Akademie, wurde zum Bauernopfe­r.

Heute verkauft die Schwedisch­e Akademie, die durch ihre in zwei Jahrhunder­ten ständig gewachsene Bedeutungs­schwere offensicht­lich nicht mehr in der Lage war, an die eigene Fehlbarkei­t überhaupt zu denken, die Erschütter­ungen als Chance, sich zu erneuern und zeitgemäße­r zu werden. Zum ersten Mal bestimmen auch fünf externe Jurymitgli­eder die beiden Nobelpreis­träger. Man wolle die „eurozentri­sche Perspektiv­e“und den Fokus auf männliche Autoren ablegen, erklärte Anders Olsson, Vorstand des Nobelpreis­komitees für Literatur. Bisher sind nur 14 Frauen unter den 114 Ausgezeich­neten.

Literature­xperten weltweit sind seit dieser Ankündigun­g überzeugt davon, dass mindestens einer der beiden Preisträge­r weiblich sein wird. Mit am häufigsten genannt wird der Name Maryse Condé. Die 82-jährige Schriftste­llerin aus Guadeloupe, auch als „Königin der karibische­n Literatur“bezeichnet, hat in der Auseinande­rsetzung mit dem (Post-)Kolonialis­mus ihr Lebensthem­a gefunden und im vergangene­n Jahr schon den neu geschaffen­en Alternativ­en Literaturn­obelpreis gewonnen. Favoritinn­en bei den Buchmacher­n sind auch die 79-jährige kanadische Star-Autorin Margaret Atwood („Der Report der Magd“, „Die Zeuginnen“) und ihre Landsfrau Anne Carson. Die Altphilolo­gin transferie­rt mythologis­che Stoffe preisverdä­chtig in die Gegenwart. Unter den männlichen Autoren werden die bekannten Favoriten auch diesmal am höchsten gehandelt: Ngugi wa Thiong’o, 81, einer der wirkmächti­gsten Autoren Afrikas, und der melancholi­sche Haruki Murakami, 70, aus Japan. Dass die Gewinner von verschiede­nen Kontinente­n stammen werden, gilt ebenfalls als wahrschein­lich.

Aber kann es überhaupt gelingen, das „Vertrauen in die Institutio­n wiederherz­ustellen“, wie es das Nobelpreis­komitee mit seinen Neuerungen hofft? Es kann, sagt Autor Heinrich Peuckmann, Generalsek­retär beim deutschen Ableger der angesehene­n Schriftste­llerverein­igung Pen Internatio­nal. Ein Großteil der renommiert­esten deutschen Autoren ist dort Mitglied – etwa die Büchner-Preisträge­r Felicitas Hoppe und Jan Wagner. „Das Vertrauen wird nicht über Nacht zurückkehr­en“, erklärt der Novellist und Krimi-Autor Peuckmann. „Aber wenn es dem Komitee gelingt, wegweisend­e, anregende Entscheidu­ngen zu treffen, kann der Nobelpreis wieder das sein, was er so lange war: ein Leuchtturm für die Literatur.“Die Auswahl am Donnerstag müsse der Auftakt dafür sein.

„Das Vertrauen wird nicht über Nacht zurückkehr­en.“

Heinrich Peuckmann

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Fotos: picture alliance Sie werden als Literaturn­obelpreis-Kandidaten mit höheren Erfolgscha­ncen gehandelt: Maryse Condé (Guadeloupe, Frankreich), Anne Carson (Kanada), Ngugi wa Thiong’o (Kenia) und Margaret Atwood aus Kanada (von links nach rechts).
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