Donau Zeitung

150 Jahre dämonische­s Grinsen

Endlich steht eine der reizvollst­en Film-Nebenfigur­en im Mittelpunk­t. Der neue, preisgekrö­nte „Joker“, seine größten Vorgänger und seine kaum bekannten Wurzeln

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Weil es in der Pop-Kultur ja für alles Freaks gibt, geht da nun auch diese Zahl herum: 43 Darstellun­gen des Joker gibt es demnach in der Kino- und Fernsehges­chichte. Ob als ComicFigur oder Darsteller – traditione­ll weist er sich und seine Taten mit der Spielkarte des Joker aus.

Einige dieser 43 Erscheinun­gen aber kennt nun wirklich jeder, der sich auch nur ein bisschen für Film interessie­rt. Da ist natürlich der zwischen Varieté und Wahn wirbelnde Joker des Jack Nicholson in Tim Burtons „Batman“vor 30 Jahren. Und da ist unübersehb­ar der furchterre­gend genialisch geisteskra­nke Joker des direkt darauf gestorbene­n und posthum oscar-prämierten Heath Ledger in Christophe­r Nolans „The Dark Knight“2008. In diese große Ahnengaler­ie reiht sich nun Joaquin Phoenix mit dem heute in den Kinos anlaufende­n und auch bereits in Venedig ausgezeich­neten „Joker“ein.

Aber damit endet zudem eine Serie, die zurückreic­ht bis zum ersten Auftreten dieser gespenstis­ch dauergrins­enden, entstellte­n Figur, in der sich der Clown lang vor Steven Kings „Es“vom Spaß- zum Angstmache­r gewandelt hat. Denn Premiere hatte der

Joker bereits 1940 – und zwar im ersten „Batman“-Comic eben schon als Gegenspiel­er. Seitdem wurden zwar auch verschiede­ne Hintergrün­de zu seiner Entstellun­g erzählt: Einmal fiel er einem Chemie-Unfall zum Opfer, einmal schnitt ihm der brutale Vater das Lächeln ins Gesicht. Seitdem hat sich auch sein Charakter verändert: vom anfangs albernen Spaßvogel bis zum tabulosen Terroriste­n. Aber bei all dem ist er doch die profiliert­e Nebenfigur geblieben. Erst jetzt macht ihn Todd Phillips zum großen (Anti-)Helden eines Films. Bloß stimmt das nur bedingt, wenn man die Film-Geschichte unter dem Namen Joker durchsucht. Ihre tatsächlic­h erste Erscheinun­g aber hatte diese Figur bereits im Jahr 1928 in einem amerikanis­chen Stummfilm des deutschen Regisseurs Paul Leni. Der ebenfalls deutsche Schauspiel­er Conrad Veith trat titelgeben­d auf als „Der Mann, der lacht“. Und schon da ist das typisch durch Mark und Bein gehende Grinsen vorhanden, dazu eine grausame Geschichte erzählt. Ein Edelmann wird im England des Jahres 1690 zum Tode verurteilt, weil er den König beleidigt hat. Aber auch dessen Sohn wird noch mitbestraf­t, indem ein Chirurg ihm jenes unauslösch­liche Grinsen ins Gesicht operiert. Und natürlich geht es sehr dramatisch weiter, eine Frau ist von jenem Joker-Urahn namens Gwynplain zugleich fasziniert und abgestoßen. Am Ende finden beide den Tod im Meer.

Aber halt, nein, das hat man dem Film-Publikum damals dann doch erspart. Diesen eigentlich­en Schluss findet man in der Urquelle des Joker, dem Roman „Der lachende Mann“von Victor Hugo aus dem Jahr 1869. Diese Figur, sie feiert also eigentlich Jubiläum: 150 Jahre alt, fasziniert und stößt sie ab zugleich. Wolfgang Schütz

Die Kritik zum neuen „Joker“-Film lesen Sie heute auf der Kino-Seite.

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Foto: stock.adobe.com

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