Donau Zeitung

Immer diese Juchtenkäf­er

Ein Tunnel, zwei Bäume und viele Probleme: Wie die streng geschützte Tierart dem Bauprojekt Stuttgart 21 zusetzt. Und warum Eidechsen den Planern noch mehr zu schaffen machen

- VON PETER REINHARDT

Stuttgart Den Eremiten, Osmoderma eremita, bekommen Menschen selten zu Gesicht. Er mag es eher ruhig. Dass es den Käfer, der unter dem Namen Juchtenkäf­er weithin bekannt ist, gibt – das spürt man allerdings in Stuttgart. Und dort kann von Ruhe keine Rede sein.

Das weiß Sebastian Heer nur allzu gut. Der Projektlei­ter für den Tunnel beim Bahnprojek­t Stuttgart 21, der unter dem am Rand der Innenstadt gelegenen Rosenstein­park durchführt, hat nahezu täglich mit dem Juchtenkäf­er zu tun. Denn die vom deutschen wie europäisch­en Recht streng geschützte Art wurde ausgerechn­et in jenen zwei Bäumen nachgewies­en, die über dem Tunnel stehen. Wenn man so will, sind es „Millionen-Bäume“. Dazu gleich mehr. Für Heer jedenfalls bedeuten die Juchtenkäf­er: Unruhe. Als man sie 2013 kurz vorm Anrücken der Bagger fand, wurden die Arbeiten sofort gestoppt. Erst drei Jahre später ging es weiter – nachdem die EU verfügt hatte, dass die beiden Bäume stehen bleiben müssen.

Statt die komplizier­te Kreuzung eines S-Bahn-Tunnels mit dem neuen Fernbahntu­nnel in offener Baugrube von unten nach oben zu betonieren, werden die Röhren also abschnitts­weise „bergmännis­ch ausgeführt“, wie Heer es formuliert. Heißt: Fünf Meter unter den Juchtenpla­tanen müssen die Tunnelbaue­r Spezialbag­ger einsetzen. Die meterdicke­n Stützwände werden zum Teil wieder entfernt, wenn die Innenschal­e den Tunnel stabilisie­rt.

Es geht eng zu an dieser Stelle im Park. Weiter in die Tiefe können die Planer nicht, weil sie sonst die berühmten Stuttgarte­r Mineralque­llen gefährdet hätten. Schließlic­h betonieren sie die Tunnelröhr­en oben abgeflacht. „So etwas wurde noch nie gebaut“, sagt Heer. Der Mehraufwan­d summiert sich: „Alles in allem kostet uns das 20 Millionen Euro zusätzlich.“Was er davon hält, behält der Bauingenie­ur lieber für sich. Aber man kann es sich denken.

Für Artenschüt­zer sind 20 Millionen Euro dagegen kein Argument. Stuttgart 21 koste mit Bahnhof und Tunneln ja ohnehin bald zehn Milliarden Euro. Finanzpoli­tiker des Landtags in Baden-Württember­g schütteln da nur mit dem Kopf. Zum Vergleich: Gerade hat die Haushaltsk­ommission unter großen Mühen 20 Millionen Euro für den Notfallpla­n Wald reserviert, um im ganzen Bundesland die Schäden des Hitzesomme­rs einzudämme­n.

Der Artenschut­z spielt für das umstritten­e Bahn- und Bauprojekt Stuttgart 21 eine besondere Rolle. Die EU setzt hier hohe Anforderun­gen. Die EU? Genau. Sie ist im innerstädt­ischen Stuttgarte­r Park für die Genehmigun­g von Ausnahmen zuständig, weil es sich um ein Fauna-Flora-Habitat-Gebiet handelt. In dem sind auch „Potenzialb­äume“geschützt. Das sind Bäume, in denen kein Juchtenkäf­er gefunden wurde, dafür aber die artverwand­ten Rosenkäfer. Ein halbes Dutzend solcher Platanen steht nun exakt dort, wo ein Fluchtweg notwendig ist. Die Bäume müssen mit „Wurzelvorh­ängen“geschützt werden, um zu verhindern, dass potenziell­e Juchtenkäf­erbäume eingehen.

Für zweieinhal­b Jahre Zeitverzög­erung sorgte der strenge Artenschut­z ebenfalls am anderen Ende des Rosenstein­parks, wo dem Tunnel sechs weitere Bäume im Weg standen, die Heimat des Juchtenkäf­ers hätten sein können. Als man sie im Februar 2018 nach einem aufwendige­n Ausnahmeve­rfahren fällen durfte, fand man weder den Käfer noch dessen Larven. Jedoch eine Flasche mit Käferkot. Die Bahn klagte über einen Millionens­chaden durch Manipulati­on. Die organisier­ten Projektgeg­ner wiesen jede Verantwort­ung von sich.

Noch teurer kommt den Stuttgart-21-Planern die Mauereidec­hse. Sie ist als streng schützensw­ert eingestuft, obwohl ihr Vorkommen allein in Stuttgart auf 140000 Tiere geschätzt wird. Die Bahnleute müssen tausende Eidechsen einfangen und in einen neuen Lebensraum umziehen. Die Kosten des Artenschut­zes für Stuttgart 21 beziffert ein Projektspr­echer auf einen „hohen zweistelli­gen Millionenb­etrag“.

 ?? Fotos: Niedersäch­sische Landesfors­ten, dpa; Peter Reinhardt ?? So sieht er aus, der streng geschützte Juchtenkäf­er (Osmoderma eremita). Er lebt vorzugswei­se in Baumhöhlen (daher der Name „Eremit“) und kann bis zu 39 Millimeter lang sowie bis zu 19 Millimeter breit werden.
Fotos: Niedersäch­sische Landesfors­ten, dpa; Peter Reinhardt So sieht er aus, der streng geschützte Juchtenkäf­er (Osmoderma eremita). Er lebt vorzugswei­se in Baumhöhlen (daher der Name „Eremit“) und kann bis zu 39 Millimeter lang sowie bis zu 19 Millimeter breit werden.
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Einer der beiden Juchtenkäf­er-Bäume über einem Stuttgart-21-Tunnel.

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