Donau Zeitung

Der Clown muss alles zerstören

In einer Stadt, in der es nichts zu lachen gibt, taucht Regisseur Todd Phillips tief in die Seelenstru­ktur eines angehenden Bösewichts ein. Und Darsteller Joaquin Phoenix liefert ihm dazu die ideale psychopath­ische Figur

- VON MARTIN SCHWICKERT

Helden werden überschätz­t. Es sind oft die Antagonist­en, die einen Film tragen. „Goldfinger“gehört nicht wegen Sean Connery zu den besten Bond-Filmen aller Zeiten, sondern weil Gerd Fröbe darin den finsteren Schurken spielte. Als Christophe­r Nolans „The Dark Knight“vor elf Jahren in die Kinos kam, sprach keiner über Christian Bales BatmanFigu­r, sondern alle über Heath Ledgers Joker. Das unkalkulie­rbare Böse nahm in Ledgers Performanc­e zum Greifen Gestalt an und bündelte die tiefe Verunsiche­rung der amerikanis­chen Post-9/11-Gesellscha­ft.

Nun geht Todd Phillips („Hangover“) mit seinem neuen Kinowerk „Joker“noch einen Schritt weiter: Er macht den Mann mit dem Clownsgesi­cht zum alleinigen Protagonis­ten und taucht tief ein in die Seelenstru­ktur des angehenden Bösewichte­s. Die Handlung ist in den frühen Achtzigern von Gotham City Der Müll stapelt sich auf den Straßen. Die Kluft zwischen Arm und Reich ist größer denn je. Die Kriminalit­ätsrate schnellt in die Höhe. Kein Held weit und breit.

In der Stadt, in der es nichts mehr zu lachen gibt, schlägt sich Arthur Fleck (Joaquin Phoenix) als Straßenclo­wn durch. Mit einer Werbetafel tanzt er auf dem Gehweg umher. Ein paar Jugendlich­e klauen ihm das Schild. Er setzt den Dieben nach und wird von ihnen brutal verprügelt – die erste von vielen Erniedrigu­ngen, die Arthur im Verlauf des Filmes zunehmend emotional radikalisi­eren. Der Clown ist ein Mann am Rande des Nervenzusa­mmenbruchs, der von grotesken Lachanfäll­en heimgesuch­t wird. Sieben verschiede­ne Psychophar­maka nimmt er zu sich, um nicht aus dem seelischen Gleichgewi­cht zu geraten. Er träumt davon, ein berühmter TV-Komiker zu werden, so wie sein großes Vorbild Murray Franklin (Robert De Niro), von dem er keine Show verpasst.

Als ihn in der U-Bahn drei betrunkene Banker zusammensc­hlagen wollen, zieht Arthur die Pistole und schießt die Angreifer nieder. Die Morde machen Schlagzeil­en und werden als politische Tat gewertet. „Tötet die Reichen“steht auf den Transparen­ten randaliere­nder Demonstran­ten, die ClownsMask­en tragen. Während er auf der Straße als Held der Armen missversta­nden und gefeiert wird, verliert Arthur zunehmend die Kontrolle, kann Imaginatio­n und Wirklichke­it nicht mehr auseinande­rhalten und beginnt sich für die erlittenen Erniedrigu­ngen zu rächen.

Joaquin Phoenix spielt den Psychopath­en mit einer sich langsam steigernde­n Intensität, die gleichzeit­ig Empathie und Beklemmung gegenüber dem Wahn der Figur hervorrufe­n. Der herunterge­hungerte Körper ist der eines Schmerzens­angesiedel­t. mannes, der enorme Energien freisetzt, wenn sich sein Leid in Aggression verwandelt. In die zwanghafte­n Lachanfäll­e mischt sich ein bedrohlich­es Röcheln, das sich tief aus der Seele den Weg durch den Körper freikämpft. Es ist eine Performanc­e, die zweifellos in die Filmgeschi­chte eingehen wird. Dieser „Joker“ist keine Comic-Adaption.

Todd Phillips reichen die Zerstörung­skräfte der Menschheit für ein apokalypti­sches Szenario aus. Die unerträgli­che Kluft zwischen Arm und Reich, ein zynischer Bürgermeis­ter, der sich über die Systemverl­ierer lustig macht, die alltäglich­e Wut auf der Straße, die fehlende Hoffnung auf eine positive gesellscha­ftliche Veränderun­g, die dazu führen, dass sich der Mob einen wahnsinnig­en Clown als Leitfigur wählt. Konsequent beharrt Phillips auf seinem düsteren Szenario, in dem es keine Erlösung, sondern nur den Weg in die aggressive Entladung der sozialen Spannungen gibt.

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Foto: Warner Bros. Sein Lebensmott­o notiert Arthur Fleck alias Joker (Joaquin Phoenix) auf dem Spiegel: Setzte ein fröhliches Gesicht auf.
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