Flüchtlinge und die Frage des Alters
Immer wieder schummeln Asylbewerber bei der Angabe ihres Geburtsdatums. Ein Prozess in Augsburg zeigt, wie schwer sich Behörden bei der Aufklärung tun
Augsburg Nur kurz huschte ihr ein Lächeln über das Gesicht, als der Richter das Urteil verkündete. Wenige Sekunden später schossen ihr wieder die Tränen in die Augen. Wie schon ein paar Mal zuvor. Waren es zunächst Tränen der Anspannung, der Angst um ihre Zukunft, der Erinnerung an ihre Familie in Äthiopien, waren es nun Tränen der Erleichterung. Nach einem Prozess, der deutlich machte, wo deutsche Asylverfahren an Grenzen gelangen und welche Folgen das haben kann.
Denn am Augsburger Amtsgericht ging es am Mittwoch im Wesentlichen um eine Frage, die so einfach scheint, doch gerade bei Flüchtlingen ohne Pass oftmals schwierig zu beantworten ist: Wie alt sind Sie? Einer Auswertung von Rechtsmedizinern der Universität Münster zufolge waren von 600 untersuchten Asylbewerbern, die sich bei ihrer Einreise als minderjährig ausgegeben hatten, rund 40 Prozent in Wahrheit schon volljährig.
Der Grund für die „Verjüngung“liegt auf der Hand: Wer als minderjähriger, unbegleiteter Flüchtling nach Deutschland kommt, wird hier anders behandelt als ein erwachsener. Die Betreuung ist besser, die Unterkunft in der Regel komfortabler und eine Abschiebung deutlich unwahrscheinlicher. Und so soll sich auch die Äthiopierin bei ihrer Ankunft in Deutschland jünger gemacht haben, behauptete die Staatsanwaltschaft.
Die Frau hatte sich vor sieben Jahren in München als 15-Jährige vorgestellt und war daraufhin als minderjähriges Flüchtlingskind behandelt worden. Sie wurde in einem Kinderheim in Nördlingen untergebracht und betreut, sie bekam Taschengeld, Zuschüsse für die Ausbildung, Fahrtkosten, Geld für Lebensmittel. Laut einer Auflistung der Behörden erhielt sie über die Jahre hinweg Sozialleistungen im Wert von rund 145 000 Euro, die ihr nach anfänglicher Ansicht der Staatsanwaltschaft nicht zugestanden hätten. Denn deren Meinung nach sei die Frau bei ihrer Ankunft in München bereits 26 Jahre alt gewesen. Dieses Alter habe jedenfalls in einem Pass gestanden, der bei ihrer Einreise vorgelegt worden war.
Vor Gericht bestritt die Afrikanerin die Vorwürfe. Wie tausende Mädchen und junge Frauen aus Äthiopien sei auch sie aufgrund politischer Unruhen in ihrem Heimatland von ihrer Familie nach Dubai geschickt worden, um dort als Hausmädchen zu arbeiten. Dort sei sie jedoch misshandelt und vergewaltigt worden. Als ihre Gastfamilie schließlich wegen einer Operation eines Familienmitgliedes nach München gezogen sei, habe sie die Flucht ergriffen und sich an die Behörden in München gewandt. Mittlerweile arbeite sie im Landkreis DonauRies als Verkäuferin und habe einen 15 Monate alten Sohn.
Vor Gericht ging es am Mittwoch nun um die entscheidende Frage: Wie alt ist die Frau aus Äthiopien? So alt wie sie sagt und es eine von der deutschen Botschaft in Addis Abeba als echt bescheinigten Geburtsurkunde aussagt, also 22? Oder so alt, wie es die Staatsanwaltschaft angesichts eines Passes glaubt, mit dem die Frau damals von Dubai nach Deutschland gebracht worden war, heute also 33? Eine schwierige Frage, wie Rechtsmediziner Professor Randolph Penning von der LudwigMaximilian-Universität München erklärte. Und eine Frage, die immer häufiger gestellt werde. Etwa die Hälfte aller Altersgutachten am Institut für Rechtsmedizin befasse sich mittlerweile mit Asylbewerbern, so Penning. Zur Aufklärung im aktuellen Fall konnte allerdings auch er nur bedingt beitragen. Trotz diverser Untersuchungen – allgemeine körperliche Verfassung, Zustand und Entwicklung der Zähne, Computertomografie des Schlüsselbeins, Analyse alter Fotos – könne das Alter der Frau nicht eindeutig bestimmt werden. Er gehe angesichts empirischer, wissenschaftlicher Erkenntnisse zwar davon aus, dass das Geburtsdatum auf der Geburtsurkunde falsch sei – ebenso sei jedoch das Alter auf dem Pass aus Dubai „nicht besonders wahrscheinlich“. Das tatsächliche Alter der Frau liege seiner Meinung irgendwo dazwischen.
Am Ende sprach das Gericht die Frau frei. Weil es keinen Beweis dafür gebe, dass sie bei ihrer Einreise nicht 15 Jahre alt gewesen sei. Das hatte zuvor selbst die Staatsanwaltschaft eingesehen und ebenfalls für einen Freispruch plädiert.
Sozialleistungen im Wert von 145000 Euro