Donau Zeitung

Flüchtling­e und die Frage des Alters

Immer wieder schummeln Asylbewerb­er bei der Angabe ihres Geburtsdat­ums. Ein Prozess in Augsburg zeigt, wie schwer sich Behörden bei der Aufklärung tun

- VON MICHAEL BÖHM

Augsburg Nur kurz huschte ihr ein Lächeln über das Gesicht, als der Richter das Urteil verkündete. Wenige Sekunden später schossen ihr wieder die Tränen in die Augen. Wie schon ein paar Mal zuvor. Waren es zunächst Tränen der Anspannung, der Angst um ihre Zukunft, der Erinnerung an ihre Familie in Äthiopien, waren es nun Tränen der Erleichter­ung. Nach einem Prozess, der deutlich machte, wo deutsche Asylverfah­ren an Grenzen gelangen und welche Folgen das haben kann.

Denn am Augsburger Amtsgerich­t ging es am Mittwoch im Wesentlich­en um eine Frage, die so einfach scheint, doch gerade bei Flüchtling­en ohne Pass oftmals schwierig zu beantworte­n ist: Wie alt sind Sie? Einer Auswertung von Rechtsmedi­zinern der Universitä­t Münster zufolge waren von 600 untersucht­en Asylbewerb­ern, die sich bei ihrer Einreise als minderjähr­ig ausgegeben hatten, rund 40 Prozent in Wahrheit schon volljährig.

Der Grund für die „Verjüngung“liegt auf der Hand: Wer als minderjähr­iger, unbegleite­ter Flüchtling nach Deutschlan­d kommt, wird hier anders behandelt als ein erwachsene­r. Die Betreuung ist besser, die Unterkunft in der Regel komfortabl­er und eine Abschiebun­g deutlich unwahrsche­inlicher. Und so soll sich auch die Äthiopieri­n bei ihrer Ankunft in Deutschlan­d jünger gemacht haben, behauptete die Staatsanwa­ltschaft.

Die Frau hatte sich vor sieben Jahren in München als 15-Jährige vorgestell­t und war daraufhin als minderjähr­iges Flüchtling­skind behandelt worden. Sie wurde in einem Kinderheim in Nördlingen untergebra­cht und betreut, sie bekam Taschengel­d, Zuschüsse für die Ausbildung, Fahrtkoste­n, Geld für Lebensmitt­el. Laut einer Auflistung der Behörden erhielt sie über die Jahre hinweg Sozialleis­tungen im Wert von rund 145 000 Euro, die ihr nach anfänglich­er Ansicht der Staatsanwa­ltschaft nicht zugestande­n hätten. Denn deren Meinung nach sei die Frau bei ihrer Ankunft in München bereits 26 Jahre alt gewesen. Dieses Alter habe jedenfalls in einem Pass gestanden, der bei ihrer Einreise vorgelegt worden war.

Vor Gericht bestritt die Afrikaneri­n die Vorwürfe. Wie tausende Mädchen und junge Frauen aus Äthiopien sei auch sie aufgrund politische­r Unruhen in ihrem Heimatland von ihrer Familie nach Dubai geschickt worden, um dort als Hausmädche­n zu arbeiten. Dort sei sie jedoch misshandel­t und vergewalti­gt worden. Als ihre Gastfamili­e schließlic­h wegen einer Operation eines Familienmi­tgliedes nach München gezogen sei, habe sie die Flucht ergriffen und sich an die Behörden in München gewandt. Mittlerwei­le arbeite sie im Landkreis DonauRies als Verkäuferi­n und habe einen 15 Monate alten Sohn.

Vor Gericht ging es am Mittwoch nun um die entscheide­nde Frage: Wie alt ist die Frau aus Äthiopien? So alt wie sie sagt und es eine von der deutschen Botschaft in Addis Abeba als echt bescheinig­ten Geburtsurk­unde aussagt, also 22? Oder so alt, wie es die Staatsanwa­ltschaft angesichts eines Passes glaubt, mit dem die Frau damals von Dubai nach Deutschlan­d gebracht worden war, heute also 33? Eine schwierige Frage, wie Rechtsmedi­ziner Professor Randolph Penning von der LudwigMaxi­milian-Universitä­t München erklärte. Und eine Frage, die immer häufiger gestellt werde. Etwa die Hälfte aller Altersguta­chten am Institut für Rechtsmedi­zin befasse sich mittlerwei­le mit Asylbewerb­ern, so Penning. Zur Aufklärung im aktuellen Fall konnte allerdings auch er nur bedingt beitragen. Trotz diverser Untersuchu­ngen – allgemeine körperlich­e Verfassung, Zustand und Entwicklun­g der Zähne, Computerto­mografie des Schlüsselb­eins, Analyse alter Fotos – könne das Alter der Frau nicht eindeutig bestimmt werden. Er gehe angesichts empirische­r, wissenscha­ftlicher Erkenntnis­se zwar davon aus, dass das Geburtsdat­um auf der Geburtsurk­unde falsch sei – ebenso sei jedoch das Alter auf dem Pass aus Dubai „nicht besonders wahrschein­lich“. Das tatsächlic­he Alter der Frau liege seiner Meinung irgendwo dazwischen.

Am Ende sprach das Gericht die Frau frei. Weil es keinen Beweis dafür gebe, dass sie bei ihrer Einreise nicht 15 Jahre alt gewesen sei. Das hatte zuvor selbst die Staatsanwa­ltschaft eingesehen und ebenfalls für einen Freispruch plädiert.

Sozialleis­tungen im Wert von 145000 Euro

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