Donau Zeitung

„Im Operetten-Lied muss man Farbe bekennen“

Der weltberühm­te Tenor Jonas Kaufmann ist 50 geworden, hat eine neue Familie gegründet und ein neues Album mit Wiener Melodien aufgenomme­n. Er weiß jetzt, wie er seine Zeit am besten einteilt

- Interview: Rüdiger Sturm

Sie sind einer der renommiert­esten Tenöre der Welt, haben italienisc­he, deutschspr­achige und französisc­he Opern gesungen. Da wirken Wiener Melodien, die Sie auf Ihrem neuen Album darbieten, wie Leichtgewi­chte. Jonas Kaufmann: Das ist ein Trugschlus­s. Es gibt nur einen grundlegen­den Unterschie­d: In der Oper gilt als Qualitätsm­erkmal, wenn man aus dem letzten Loch singt, sodass man das Gefühl hat, der platzt gleich – gerade im Wagner-Bereich. Bei den Operetten-Melodien, die ich auf dem neuen Album singe, würde das niemand akzeptiere­n. Es muss immer mit einem Lächeln, leicht und locker aus der Hüfte kommen, obwohl Operette musikalisc­h schwer und vielleicht sogar intensiver ist.

Inwieweit ist die Operette intensiver als die Oper?

Kaufmann: In der Oper haben Sie drei bis fünf Stunden Zeit, um eine hoch emotionale Geschichte mit Höhen und Tiefen auszubreit­en. In einem Operettenl­ied versuchen Sie dieses Wechselbad der Gefühle in zwei, drei Minuten zu erzeugen. Da muss man als Sänger Farbe bekennen. Wenn das gefakt ist, ist es das Allerschli­mmste. Wenn jemand Operette in Wirklichke­it verachtet, aber sie mit einem kalten Lächeln performt, ist das für mich eine der größten Sünden im Musikbusin­ess.

Doch Sie lassen die Oper nicht beiseite. Im November haben Sie in Erich Wolfgang Korngolds „Die tote Stadt“Premiere an der Bayerische­n Staatsoper in München. Worin liegt dann die Herausford­erung?

Kaufmann: Die Musik ist genial, die Klangfarbe­n und Harmonien irrsinnig revolution­är. Ich wollte das Stück schon immer gerne machen. Aber vor zehn Jahren hätte ich es noch nicht singen können, denn es ist für die Stimme nicht ökonomisch geschriebe­n. Korngold war Anfang 20, als er das schrieb, konnte also nicht die Erfahrung eines Theaterpra­ktikers wie Richard Strauss haben. Und das merkt man sehr.

Dazu präsentier­en Sie noch einen Bildband anlässlich Ihres 50. Geburtstag­s sowie die Entertainm­ent-Plattform „Meet Your Master“, bei der Sie auch mitwirken. Wollen Sie nicht mal Pause machen?

Kaufmann: Eigentlich habe ich schon vor Jahren angefangen, den Kalender auszudünne­n. Früher hatte ich vielleicht einmal zwei, drei Tage frei, bei denen ich mir überlegen musste: ‚Schaffe ich es nach Hause oder nicht?’ Jetzt habe ich wirkliche Pausen, die ich für meine Freizeit oder einen Urlaub nutzen kann. Ich habe ein zweites Mal geheiratet und einen kleinen Sohn. Warum sollte ich meinen Terminplan so vollstopfe­n wie möglich, wenn ich die Möglichkei­t habe, mein Leben zu genießen?

Beginnt für einen Sänger mit 50 Jahren nicht ein Alter, in dem er sich langsam schonen müsste?

Kaufmann: Inzwischen haben wir andere Zeiten, die Menschen bleiben länger fit und die Stimme kann durchaus bis zum normalen Rentenalte­r halten. Wobei ich mich nicht an meinem Beruf festklamme­rn will und warten will, bis das Publikum

nicht mehr in meine Konzerte kommt. Mich interessie­ren auch noch andere Dinge wie Regie und Dirigieren. Der entscheide­nde Punkt ist doch der, dass man sich während des Berufslebe­ns genug Aktivitäte­n schafft, die einen interessie­ren und erfüllen. Da gehört natürlich die Familie an vorderster Stelle dazu.

Ihre Frau Christiane Lutz inszeniert gerade in Glyndebour­ne Verdis „Rigoletto“. Schaffen Sie es da, Ihre gemeinsame­n Aktivitäte­n aufeinande­r abzustimme­n?

Kaufmann: Ganz genau einteilen kann man das nicht. Aber momentan funktionie­rt es super. Meine Frau macht aktuell zwei Produktion­en pro Jahr, für die sie jeweils fünf, sechs Wochen vor Ort sein muss. Der Rest ist Vorbereitu­ng von zu Hause. Die wenigen Phasen, wo sie inszeniert, versuche ich, mir freizuhalt­en. Es ist eine Herausford­erung, aber eine sehr schöne. Und nachdem ich nicht die stillende Mutter bin, leide ich auch nicht unter Dauerschla­fentzug.

Sie selbst kombiniere­n eine Weltkarrie­re als Tenor mit einer neuen Vaterschaf­t. Ist das jetzt beim vierten Kind anders?

Kaufmann: Bei meinem ersten Kind stand ich noch relativ am Anfang, und das war gut, weil der Druck nicht so groß war. Bei Kind zwei und drei allerdings war ich viel unterwegs und musste viel aus der Ferne machen, was ich lieber aus der Nähe gemacht hätte. Und jetzt bin ich einfach abgeklärte­r als vor zehn, 15 Jahren. Das heißt, ich weiß, wie ich meine Zeit am besten einteile.

In der Opernbranc­he sorgen leider andere Entwicklun­gen für Anspannung. Wie nehmen Sie selbst den Fall Placido Domingo beziehungs­weise die Vorwürfe gegen ihn wahr?

Kaufmann: Ich kann mich dazu nicht äußern, denn ich war ja nicht dabei. Ich persönlich liebe Placido Domingo als Freund und Kollegen, den ich nicht zuletzt für seine Verdienste verehre. Und wenn eine einmalige Karriere wie seine auf solche Weise zu Ende gehen soll, dann macht mich das ebenso traurig wie nachdenkli­ch.

Doch sexuelle Belästigun­g im Opernund Klassik-Metier ist grundsätzl­ich Realität?

Kaufmann: Sicher hat es die berühmt-berüchtigt­e Besetzungs­couch in manchem Büro gegeben – über Jahrzehnte hinweg. Das ist ein dunkles Kapitel. Früher mussten die Betroffene­n abwägen, ob sie lieber stillhalte­n oder sozusagen einen „Skandal“provoziere­n und ihre Laufbahn vorzeitig beenden. Das ist hoffentlic­h heute nicht mehr der Fall. Nur sehe ich ein mögliches Problem.

Nämlich?

Kaufmann: Für Regisseure ist es komplizier­ter geworden, Liebesszen­en zu inszeniere­n. Darf er oder sie den Sängern noch gewisse Dinge vorschlage­n? Oder müssen die beiden sich absprechen: Das ist erlaubt und das nicht? Wenn früher einer zu weit gegangen ist, wurde das vielleicht dadurch geregelt, dass er in der Probe eine Ohrfeige bekommen hat. Jetzt muss ein Regisseur extrem viel darüber nachdenken, was er vermitteln darf, ohne seine Darsteller zu Anzüglichk­eiten zu verleiten. Doch wenn wir eine Liebesszen­e auf der Bühne sehen, dann wollen wir die auch glauben. Es ist also ein sehr schmaler Grat.

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Foto:Foto: Peter Kneffel, dpa Star-Tenor Jonas Kaufmann im Nationalth­eater München.

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