Donau Zeitung

Hitlers entzaubert­er Lieblingso­rt

Das NS-Dokumentat­ionszentru­m Obersalzbe­rg wird 20 Jahre alt. Wie es Historiker­n gelang, dass aus dem „Täterberg“kein Wallfahrts­ort für alte und neue Nazis wurde

- VON JOSEF KARG

Berchtesga­den Die Landschaft ist wie gemalt. Am Obersalzbe­rg in Berchtesga­den stehen heute einige private Häuser und ein Luxushotel. Bis auf das Bergrestau­rant Kehlsteinh­aus sind auf diesen sanft ansteigend­en Wiesen fast keine Gebäude aus dem Dritten Reich übrig geblieben, in denen zwischen 1933 und 1944 Adolf Hitler und seine Entourage lebten.

Das Nazi-Reich wurde sogar von hier regiert – nämlich immer dann, wenn der „Führer“an seinem Lieblingso­rt weilte. Fast ein Viertel seiner Amtszeit verbrachte Hitler hier. Und auch bald 75 Jahre später ist er immer noch präsent – glückliche­rweise entzaubert. Denn die Gefahr war groß, dass hier ein Wallfahrts­ort für alte und neue Nazis entstehen könnte.

Dass dies nicht geschah, hat auch mit dem Dokumentat­ionszentru­m Obersalzbe­rg zu tun, dessen 20-jähriges Bestehen an diesem Sonntag gefeiert wird. „Diese Erfolgsges­chichte zeigt gerade mit Blick auf die kontrovers­en Anfänge, wie wichtig es ist, eine offensive Aufklärung über die NS-Vergangenh­eit zu betreiben“, sagt Andreas Wirsching, Direktor des Instituts für Zeitgeschi­chte München – Berlin.

Als die Dokumentat­ion 1999 gegründet wurde, war der Krieg schon gut 50 Jahre vorbei. Deutschlan­d hatte sich seiner Vergangenh­eit gestellt. Etwa 8,5 Millionen Deutsche waren Mitglied in der NSDAP gewesen. NS-Verantwort­liche waren in Nürnberg und in Nachfolgep­rozessen verurteilt worden. Die letzten Kriegsverb­recher wurden Anfang der 50er Jahre in Landsberg gehängt. Danach gab es im Land keine Todesstraf­e mehr. Deutschlan­d war demokratis­ch geworden. An Erinnerung­sorten wie dem früheren Konzentrat­ionslager Dachau wird das Gedenken an die Opfer aufrechter­halten. Doch wie sollte man mit einem „Täterort“umgehen?

Auf dem Obersalzbe­rg hatten sich Nazi-Bonzen breitgemac­ht, während Wehrmachts­oldaten für „Führer“und Vaterland starben. Menschen, die nicht in das Bild nationalso­zialistisc­her Provenienz passten, wurden damals vergast oder „durch Arbeit“vernichtet, während Hitler und seine Lebensgefä­hrtin Eva Braun inmitten einer Heile-WeltKuliss­e auf den „Berghof“einluden.

Führende Parteigröß­en wie Hermann Göring, Albert Speer oder Martin Bormann hatten sich hier einquartie­rt, aber auch ausländisc­he Diplomaten schauten vorbei. 1938 war der britische Premier Neville Chamberlai­n zu Gast, 1939 der polnische Außenminis­ter Jozef Beck. Ein Dreivierte­ljahr später fiel Deutschlan­d in Polen ein. Henriette von Schirach, die Frau des Reichsjung­endführers, war ebenso auf dem Berghof. 1943 soll sie bei einem Besuch Hitler auf die Judendepor­tationen angesproch­en haben und wurde laut Zeitzeugen fortan nicht mehr eingeladen. Zu dieser Zeit liefen die Krematorie­n in den Konzentrat­ionsund Vernichtun­gslagern auf Hochbetrie­b.

An „diesem historisch­en Ort“sollte nun die Möglichkei­t gegeben werden, „sich mit der Geschichte des Obersalzbe­rgs und der Geschichte des Nationalso­zialismus auseinande­rzusetzen“, sagt Professor Andreas Wirsching. Darum hatte der Freistaat Bayern das Institut für Zeitgeschi­chte beauftragt, einen „Lern- und Erinnerung­sort“zu entwickeln und zu betreuen.

Seit der Eröffnung haben über drei Millionen Menschen die Dokumentat­ion besucht. „Trotz der Baustelle, die wir seit 2017 wegen des Erweiterun­gsbaus haben, war auch heuer der Andrang sehr groß“, sagt Wirsching. Da die Besucherza­hl jedes Jahr stieg, hatte der Freistaat 2013 beschlosse­n, die Ausstellun­g zu erweitern. Geplant war sie zunächst für 30000 Besucher.

Auf einer mit 800 Quadratmet­ern deutlich vergrößert­en Fläche entsteht nun die neue Dauerausst­ellung „Idyll und Verbrechen“. Die Kuratoren des IfZ haben dafür ein ambitionie­rtes Konzept entwickelt, das anhand von mehr als 350 Exponaten und zahlreiche­n multimedia­len Elementen die Geschichte des Obersalzbe­rgs neu vermitteln wird.

Das gesellscha­ftliche Interesse an der Aufarbeitu­ng der NS-Zeit lässt Wirsching zufolge nämlich nicht nach: „Ich glaube, dass viele Menschen auch durch die beunruhige­nden politische­n Entwicklun­gen der Gegenwart ein sehr feines Sensorium dafür haben, wie wichtig es ist, sich mit der NS-Zeit auseinande­rzusetzen.“

Dies sei auch eine Reaktion auf gefährlich­e Tendenzen, die Verbrechen der NS-Zeit zu verharmlos­en. „Gerade die AfD hat hier mit Björn Höckes Forderung nach einer erinnerung­spolitisch­en 180-Grad-Wende und Alexander Gaulands ,Vogelschis­s‘-Vergleich immer wieder versucht, die Aufarbeitu­ng der NSZeit infrage zu stellen“, kritisiert Wirsching. „Solche Vorstöße sind Gift für das gesellscha­ftliche Klima“, sagt er.

Tatsächlic­h ist es so: Wer die Dokumentat­ion betritt, wird wohl strenger beäugt, als es in anderen Ausstellun­gen der Fall ist. Wer sich als der rechten Szene zugehörig zu erkennen gibt, zum Beispiel durch äußere Symbole, muss das Zentrum verlassen. „Die Kassierer und das Aufsichtsp­ersonal sind dazu angehalten, die Hausordnun­g durchzuset­zen“, sagen Mitarbeite­r. Einem rechten Publikum werden Tür und Tor nicht geöffnet.

Der Blick auf die Geschichte wird vielfältig und detailgena­u wiedergege­ben. Im Eingangsbe­reich drängen sich die Besucher dicht aneinander, um einen Blick auf die Fotos und Informatio­nstafeln zu werfen. Dort erfährt man unter anderem: Adolf Hitler hatte das kleine Landhaus „Wachenfeld“am Obersalzbe­rg zunächst gemietet, nach der Machtergre­ifung kam der Kauf und schließlic­h der Ausbau zum Pomp-Berghof. Fast symbolisch führt die Treppe im Dokumentat­ionszentru­m ins Erdgeschos­s hinab. Hier geht es sozusagen in die Abgründe der NSIdeologi­e. Danach steigt der Besucher noch einmal ab.

Tief im Untergrund folgen die Themen „Widerstand und Emigration“sowie „Hitlers Außenpolit­ik“. Im Inneren des Berges, in einem begehbar gemachten Teil des Bunkersyst­ems, befinden sich die Medienräum­e, wo unter anderem Ton- und Filmaufnah­men vorgeführt werden. Die Präsentati­on vor allem in diesem Bereich geht unter die Haut. Daher wird ein Besuch für Kinder unter zwölf Jahren nicht empfohlen.

Wie aktuell das Thema der NSZeit noch ist, zeigt auch der rechte Terrorakt in Halle. „Nicht nur in

Und was denkt der Experte über den Terror von Halle?

Deutschlan­d, sondern auch in anderen europäisch­en Ländern bis hin zu den USA haben sich in letzter Zeit antisemiti­sche Übergriffe oder offene Gewaltakte gegen Juden gehäuft. Ich halte es deshalb für ausgesproc­hen wichtig, dass gerade die Mitte der Gesellscha­ft sehr deutlich macht, dass es für Antisemiti­smus in Deutschlan­d keinen Platz geben darf“, sagt Wirsching.

Allerdings könne man die Fälle von rechtsextr­emem Terror nicht einfach auf eine mangelnde Auseinande­rsetzung mit der NS-Zeit reduzieren. „Ich glaube, das wäre zu kurz gesprungen. Bei solchen Tätern kommen sicher viele Faktoren zusammen und das Muster erinnert doch sehr stark an Vorläufer wie Anders Breivik in Norwegen oder den Attentäter von Christchur­ch“, betont der Historiker. „Hier wollte jemand offenbar sein verpfuscht­es Leben mit einer vermeintli­ch großen Tat, einem Tabubruch kompensier­en und sich dafür weltweit im Internet feiern lassen.“

Adolf Hitler übrigens sah den Obersalzbe­rg am 14. Juli 1944 zum letzten Mal. 1947 errichtete­n die Amerikaner hier ein Erholungsz­entrum, das Armed Forces Recreation Center. Mit Tennisplät­zen, Skilift und Golfplatz. Nachdem die USTruppen abgezogen waren, wurde der Obersalzbe­rg 1996 an den Freistaat Bayern übergeben.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar auf der ersten Bayern-Seite.

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Foto: Sepp Spiegl, Imago Images Adolf Hitler und der spätere Oberbefehl­shaber der Luftwaffe, Hermann Göring, 1933 am Obersalzbe­rg.
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Foto: Matthias Balk, dpa Das NS-Dokumentat­ionszentru­m Obersalzbe­rg existiert seit 20 Jahren. Es dient der Aufklärung über die NS-Vergangenh­eit.
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Foto: dpa So sah die Ruine des Berghofes im Jahr 1947 aus. Auf Befehl der Alliierten wurde sie am 30. April 1952, dem Todestag Hitlers, gesprengt.

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