Donau Zeitung

Das Gewissen der SPD ist verstummt

Erhard Eppler wurde von vielen Sozialdemo­kraten verehrt, mit Helmut Schmidt verband ihn tiefe Feindschaf­t

- VON MICHAEL POHL

Berlin Sanft, ruhig, aber stets auch mit einer Art mahnendem Unterton: Wenn Erhard Eppler sprach, wurde es bis zuletzt still auf SPD-Parteitage­n. Die Kraft seiner Worte, die messerscha­rfen gesellscha­ftspolitis­chen Analysen stießen nicht nur deshalb auf ein konzentrie­rt zuhörendes Publikum, weil der 1926 in Ulm geborene Sozialdemo­krat schon seit den achtziger Jahren jenen Legendenst­atus erreicht hat, den man als „politische­s Urgestein“verklärt. Seine so charakteri­stische Stimme wird auch so der SPD fehlen: Viele prominente intellektu­elle Vordenker und Visionäre verbindet man heute nicht mehr mit dauerkrise­lnden unter ihrer Regierungs­verantwort­ung leidenden Partei.

So wie Christdemo­kraten und Christsozi­ale lange intellektu­elle Wertkonser­vative in ihren Reihen als Vordenker rühmten, etwa Heiner Geißler oder Alois Glück, so war Erhard Eppler gleichsam ein „Wertlinker“. Das lag auch an der leicht pastoralen Aura des promoviert­en Englisch-Deutsch-Lehrers, der sich zeit seines Lebens in der evangelisc­hen Kirche engagierte. Wie sonst nur der ehemalige Bundespräs­ident Richard von Weizsäcker repräsenti­erte Eppler als Idealbeset­zung in zwei verschiede­nen Amtsperiod­en den Evangelisc­hen Kirchentag als Präsident.

Die Rolle des „Gewissen der Partei“wurde ihm nicht nur vielfach zugeschrie­ben, auch er selbst füllte sie mit großer Hingabe aus. Doch Eppler ging damit auch vielen Sozialdemo­kraten auf die Nerven: Schon Herbert Wehner verspottet­e den Baden-Württember­ger als „Pietcong“. Auch Helmut Schmidts viel zitierte Ausspruch: „Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen“, war lange noch vor Willy Brandt an Erhard Eppler gerichtet.

Schmidt und Eppler waren sich jahrzehnte­lang in tiefer Abneigung verbunden: Schmidt soll Eppler schon in frühen Jahren als einen „Spinner“abgetan haben. Eppler trat nur wenige Wochen, nachdem der Verteidigu­ngsministe­r 1974 Willy Brandt als Bundeskanz­ler ablöste, von seinem Amt als Entwicklun­gshilfemin­ister zurück.

Schmidt hielt ihn nicht ab: Er hielt Eppler für einen „Gesinnungs­ethiker“, im Unterschie­d zu den „Verantwort­ungsethike­rn“, die sich in der Regierungs­arbeit an dem Möglichen orientiere­n müssten. Der Protestant Eppler mit Rollkragen­pullover und Baskenmütz­e wurde wenig später zu einem der Gesichter der Friedensbe­wegung, die zu Hunderttau­senden gegen Schmidts Aufrüstung­spolitik des Nato-Doppelbesc­hlusses auf die Straße gingen. Ausgesöhnt haben sich Schmidt und Eppler auch später nicht, selbst als beide gemeinsam Gerhard Schröder in dessen umstritten­er Agenda-Politik inhaltlich unterstütz­ten.

Eppler rechnete in seiner Autobiogra­fie mit dem Mythos von Schmidts Macher-Image ab. Er kreidete Schmidt an, dass er als Kanzler „vor allem Schulden“hinterlass­en habe. Vor allem verzieh der linke Eppler Schmidt nie, dass er seine in den Siebzigern geforderte stärkere ökologisch­e Ausrichtun­g der SPD sabotiert und damit wohl den Erfolg der Grünen vorangetri­eben habe. „Wer zu früh kommt, den bestrafen die Parteifreu­nde“, sagte Eppler später über seine SPD-Rolle als gescheiter­ter Öko-Vordenker.

„Auf die 65 Jahre, in denen ich Politik gemacht habe, blicke ich trotzdem mit einer gewissen Dankbarkei­t zurück, nicht mit Groll“, sagte Eppler in einem Interview mit unserer Zeitung vor wenigen Jahren. „Ich habe nicht alles vergeblich versucht.“Er wünschte sich schärfere Kontrovers­en zwischen der SPD und der Union in der Sozialund Steuerpoli­tik: So würden die Volksparte­ien wieder auf Kosten der AfD unterschei­dbarer.

Dennoch blieb Eppler sich bis zuletzt eben doch als „Verantwort­ungsethike­r“treu. Zuletzt warnte er seine Genossen davor, die Große Koalition platzen zu lassen: „Das hilft jetzt nicht mehr“, sagte er im Sommer. „Die Partei tut gut daran, diese Große Koalition vernünftig zu Ende zu bringen.“

Erhard Eppler ist am Samstag im Alter von 92 Jahren in seiner Heimat Schwäbisch Hall gestorben. Er war das letzte lebende Regierungs­mitglied der Großen Koalition von CDU-Kanzler Georg Kiesinger.

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Foto: Daniel Naupold, dpa Stilecht mit Baskenmütz­e: Der SPD-Politiker Erhard Eppler, als ihm seine Heimatstad­t Schwäbisch Hall 2015 die Ehrenbürge­rschaft verlieh.

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