Das Gewissen der SPD ist verstummt
Erhard Eppler wurde von vielen Sozialdemokraten verehrt, mit Helmut Schmidt verband ihn tiefe Feindschaft
Berlin Sanft, ruhig, aber stets auch mit einer Art mahnendem Unterton: Wenn Erhard Eppler sprach, wurde es bis zuletzt still auf SPD-Parteitagen. Die Kraft seiner Worte, die messerscharfen gesellschaftspolitischen Analysen stießen nicht nur deshalb auf ein konzentriert zuhörendes Publikum, weil der 1926 in Ulm geborene Sozialdemokrat schon seit den achtziger Jahren jenen Legendenstatus erreicht hat, den man als „politisches Urgestein“verklärt. Seine so charakteristische Stimme wird auch so der SPD fehlen: Viele prominente intellektuelle Vordenker und Visionäre verbindet man heute nicht mehr mit dauerkriselnden unter ihrer Regierungsverantwortung leidenden Partei.
So wie Christdemokraten und Christsoziale lange intellektuelle Wertkonservative in ihren Reihen als Vordenker rühmten, etwa Heiner Geißler oder Alois Glück, so war Erhard Eppler gleichsam ein „Wertlinker“. Das lag auch an der leicht pastoralen Aura des promovierten Englisch-Deutsch-Lehrers, der sich zeit seines Lebens in der evangelischen Kirche engagierte. Wie sonst nur der ehemalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker repräsentierte Eppler als Idealbesetzung in zwei verschiedenen Amtsperioden den Evangelischen Kirchentag als Präsident.
Die Rolle des „Gewissen der Partei“wurde ihm nicht nur vielfach zugeschrieben, auch er selbst füllte sie mit großer Hingabe aus. Doch Eppler ging damit auch vielen Sozialdemokraten auf die Nerven: Schon Herbert Wehner verspottete den Baden-Württemberger als „Pietcong“. Auch Helmut Schmidts viel zitierte Ausspruch: „Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen“, war lange noch vor Willy Brandt an Erhard Eppler gerichtet.
Schmidt und Eppler waren sich jahrzehntelang in tiefer Abneigung verbunden: Schmidt soll Eppler schon in frühen Jahren als einen „Spinner“abgetan haben. Eppler trat nur wenige Wochen, nachdem der Verteidigungsminister 1974 Willy Brandt als Bundeskanzler ablöste, von seinem Amt als Entwicklungshilfeminister zurück.
Schmidt hielt ihn nicht ab: Er hielt Eppler für einen „Gesinnungsethiker“, im Unterschied zu den „Verantwortungsethikern“, die sich in der Regierungsarbeit an dem Möglichen orientieren müssten. Der Protestant Eppler mit Rollkragenpullover und Baskenmütze wurde wenig später zu einem der Gesichter der Friedensbewegung, die zu Hunderttausenden gegen Schmidts Aufrüstungspolitik des Nato-Doppelbeschlusses auf die Straße gingen. Ausgesöhnt haben sich Schmidt und Eppler auch später nicht, selbst als beide gemeinsam Gerhard Schröder in dessen umstrittener Agenda-Politik inhaltlich unterstützten.
Eppler rechnete in seiner Autobiografie mit dem Mythos von Schmidts Macher-Image ab. Er kreidete Schmidt an, dass er als Kanzler „vor allem Schulden“hinterlassen habe. Vor allem verzieh der linke Eppler Schmidt nie, dass er seine in den Siebzigern geforderte stärkere ökologische Ausrichtung der SPD sabotiert und damit wohl den Erfolg der Grünen vorangetrieben habe. „Wer zu früh kommt, den bestrafen die Parteifreunde“, sagte Eppler später über seine SPD-Rolle als gescheiterter Öko-Vordenker.
„Auf die 65 Jahre, in denen ich Politik gemacht habe, blicke ich trotzdem mit einer gewissen Dankbarkeit zurück, nicht mit Groll“, sagte Eppler in einem Interview mit unserer Zeitung vor wenigen Jahren. „Ich habe nicht alles vergeblich versucht.“Er wünschte sich schärfere Kontroversen zwischen der SPD und der Union in der Sozialund Steuerpolitik: So würden die Volksparteien wieder auf Kosten der AfD unterscheidbarer.
Dennoch blieb Eppler sich bis zuletzt eben doch als „Verantwortungsethiker“treu. Zuletzt warnte er seine Genossen davor, die Große Koalition platzen zu lassen: „Das hilft jetzt nicht mehr“, sagte er im Sommer. „Die Partei tut gut daran, diese Große Koalition vernünftig zu Ende zu bringen.“
Erhard Eppler ist am Samstag im Alter von 92 Jahren in seiner Heimat Schwäbisch Hall gestorben. Er war das letzte lebende Regierungsmitglied der Großen Koalition von CDU-Kanzler Georg Kiesinger.