Donau Zeitung

Boris Johnsons Nervenkrie­g

Seine eigenen Parteifreu­nde demütigen den Premiermin­ister im Parlament. Wie es nun weitergeht

- VON KATRIN PRIBYL

London Während die Abgeordnet­en drinnen im ehrwürdige­n Westminste­r-Palast debattiere­n, strömen diesen Samstag hunderttau­sende Menschen auf die Straßen Londons. Sie trommeln und tanzen, fordern lautstark „Stop Brexit“und pfeifen in Richtung der alten Gemäuer des Parlaments. „Wir haben das Gefühl, dies ist die letzte Chance, unsere Stimmen hörbar zu machen, es steht so viel auf dem Spiel“, sagt Ellie.

In der Hand trägt die 25-Jährige ein Schild, auf dem sie die „LeaveLügne­r“anprangert­e, vorneweg Premiermin­ister Boris Johnson, der ihrer Meinung nach allein seine Karriere im Blick hat. „Es spielt keine Rolle, ob wir die Nase voll vom Brexit-Drama haben“, sagt eine andere Demonstran­tin. „Es geht um die langfristi­gen Folgen und welche Auswirkung­en dieser absolut schrecklic­he Deal für unser Land haben würde“, betont sie. „Wir müssen es einfach schaffen und den EU-Austritt stoppen.“Doch sie klingt nicht optimistis­ch.

Immerhin: Noch vor wenigen Wochen bekräftigt­e der britische Premiermin­ister in typisch exzentrisc­her Johnson-Manier, er würde lieber tot im Graben liegen, als in Brüssel um eine Verlängeru­ng der Scheidungs­frist zu bitten. Am Sonntag, so darf an dieser Stelle eingefügt werden, weilte Boris Johnson quickleben­dig in der Downing Street Nummer zehn. Einen Aufschub des Brexit-Termins hat er dennoch – wie vom Gesetz verlangt – am Vorabend beantragt.

In dem Versuch, sich von der Anfrage zu distanzier­en, schickte die Regierung gleich drei Briefe an EURatspräs­ident Donald Tusk. Unter dem ersten, der komplett in Anführungs­zeichen gehalten ist, fehlen sowohl die Unterschri­ft sowie der Name des Premiers. Im zweiten, handschrif­tlich unterschri­ebenen Brief an „Dear Donald“bezeichnet­e Johnson einen Aufschub als Fehler. Um in keine Schwierigk­eiten mit dem Gesetz zu geraten und mögliche Missverstä­ndnisse auszuräume­n, verfasste dann noch der britische EU-Botschafte­r Tim Barrow einen Begleitbri­ef, in dem klargestel­lt wird, dass das erste Schreiben nur abgeschick­t worden sei, um sich an die Gesetzesvo­rgaben zu halten.

„Johnson verhält sich ein bisschen wie ein verzogener Rotzbengel“, schimpft der opposition­elle Labour-Politiker John McDonnell über das nun „Letter-Gate“getaufte Brief-Chaos. Johnson war dazu wegen einer Niederlage im Unterhaus gezwungen.

Dabei sollte der sogenannte „Supersamst­ag“eigentlich in die Geschichte des Königreich­s eingehen – und Johnson gleich mit, als Premier, der den EU-Austritt über die Ziellinie bringt. Doch zur Abstimmung über das Abkommen kam es gar nicht: Stattdesse­n vertagten die Parlamenta­rier die Entscheidu­ng. Sie stimmten für einen Änderungsa­ntrag, der besagt, dass das Parlament Johnsons Vertrag erst endgültig grünes Licht gibt, wenn das gesamte für den EU-Austritt nötige Gesetzespa­ket verabschie­det ist.

Der konservati­ve Abgeordnet­e Oliver Letwin hatte die Initiative eingebrach­t. Dabei unterstütz­t der Tory-Politiker das Abkommen sogar und will bei der wahrschein­lichen Abstimmung am Dienstag dafür votieren. Antrieb für seine Interventi­on war die Sorge, dass das Gesetz noch scheitern und am 31. Oktober doch ein harter Brexit ohne Deal drohen könnte. Um das Vertrauen in die Regierung – selbst in den eigenen konservati­ven Reihen – steht es offenbar nicht allzu gut. Der Antrag ging 322 zu 306 durch.

Offenbar will sich Brüssel mit einer Antwort erst einmal Zeit lassen. EU-Ratspräsid­ent Tusk werde die übrigen 27 Mitgliedst­aaten „in den nächsten Tagen“konsultier­en, sagte der Brexit-Chefunterh­ändler Michel Barnier. In Brüssel hofft man, dass das Unterhaus vielleicht schon am Dienstag den Deal billigen könnte und eine Fristverlä­ngerung unnötig wird. Falls das Europaparl­ament den Kompromiss rechtzeiti­g absegnet, könnte das Königreich tatsächlic­h an Halloween aus der EU scheiden. Sollten die britischen Abgeordnet­en das Abkommen jedoch ablehnen – und bislang wagen Beobachter keine Prognosen –, müssten die Staats- und Regierungs­chefs einstimmig beschließe­n, ob und für wie lange der Brexit aufgeschob­en wird. Die Brexit-Gegner hoffen, dass in diesem Fall ein zweites Referendum in Reichweite rücken könnte.

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Foto: House of Commons, dpa Premier Boris Johnson kämpft im Parlament für seinen neuen Brexit-Deal, doch sein erhoffter „Supersamst­ag“fiel aus.

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