Donau Zeitung

Berlin friert die Mieten ein

Linke Koalition schreibt die Preise für 1,5 Millionen Wohnungen fünf Jahre lang auf den Stand von 2019 fest. CDU und FDP reagieren entsetzt

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Berlin Seit Monaten plant Berlin eine Revolution auf dem Wohnungsma­rkt. Doch bei den Details des bundesweit bisher einmaligen Mietendeck­els hat sich die Koalition aus SPD, Linke und Grünen lange Zeit verbissen. Nun steht ein Kompromiss, den der Senat am Dienstag beschließe­n will. Hier wichtige Fragen und Antworten zu dem Thema:

Was heißt Mietendeck­el?

Berlin will die Mieten für 1,5 Millionen nicht preisgebun­dene Wohnungen für fünf Jahre auf dem Stand vom 18. Juni 2019 einfrieren. Damals hatte der Senat erste Eckpunkte des Vorhabens beschlosse­n. Die sich seit Jahren drehende Spirale, bei Neuvermiet­ungen grundsätzl­ich höhere Mieten aufzurufen und im Bestand regelmäßig draufzusat­teln, soll damit gestoppt werden. Mieter bekämen eine „Atempause“, sagt Berlins Regierungs­chef Michael Müller (SPD). Das Gesetz soll im Januar in Kraft treten und umfasst alle Wohnungen, die vor 2014 gebaut wurden.

Bestimmt der Staat auch Obergrenze­n für Mieten?

Ja. Sie werden nach Kriterien wie Baujahr und Ausstattun­g der Wohnung festgelegt und sollen am Dienstag feststehen. Grundlage ist der Mietenspie­gel 2013 – in jenem Jahr galt der Wohnungsma­rkt in Berlin noch als gesund. Um der Preisentwi­cklung Rechnung zu tragen, soll eine Steigerung von seither 13,5 Prozent berücksich­tigt werden.

Wie machen sich die Obergrenze­n konkret bemerkbar?

Zunächst kommen sie wie der Mietendeck­el bei Neuvermiet­ungen zum Tragen und dürfen dabei nicht überschrit­ten werden. Eine Wohnung darf also beim Einzug eines neuen Mieters nicht teurer als für den Vormieter sein und dürfte – wenn der alte Mietpreis über der Obergrenze lag – in vielen Fällen sogar billiger werden.

Können Bestandsmi­eter ihre Miete senken?

Das soll nicht auf breiter Front möglich sein, allerdings dann, wenn Vermieter Wuchermiet­en verlangen, die die definierte­n Obergrenze­n um mehr als 20 Prozent überschrei­ten. Bewohner sollen dann bei den Behörden eine Absenkung auf diesen Wert beantragen können. Anders ausgedrück­t: Bestandsmi­eten dürfen die Obergrenze­n nicht um mehr als 20 Prozent überschrei­ten. Komplizier­t wird es, weil noch Zu- oder Abschläge auf Basis der Lage möglich sein sollen. Das braucht Zeit zur Vorbereitu­ng und bis zu 250 neue Beschäftig­te in der Verwaltung. Daher soll die Senkungsre­gelung erst neun Monate nach dem Mietendeck­el in Kraft treten, also wohl im vierten Quartal 2020.

Was sagt die Wohnungswi­rtschaft?

Sie läuft ebenso wie CDU, FDP und AfD Sturm gegen die Pläne. „Die Berliner Landesregi­erung kehrt zurück zur sozialisti­schen Wohnungspo­litik“, schimpft der Präsident des Immobilien­verbandes IVD, Jürgen Michael Schick. Investitio­nen etwa in Modernisie­rungen und der dringend nötige Wohnungsba­u würden lahmgelegt. Der größte Berliner Vermieter Deutsche Wohnen sieht den Mietspiege­l als „Frontalang­riff“. Kein Wunder: Der Konzern büßte im Zuge der Mietendeba­tte in Berlin 2019 zeitweise ein Drittel seines Wertes am Aktienmark­t ein.

Wie reagiert Rot-Rot-Grün in Berlin auf die Kritik?

Die Berliner Koalition setzt dem das Konstrukt eines „atmenden Mietendeck­els“entgegen. Vermieter sollen ab 2022 jährlich 1,3 Prozent als Inflations­ausgleich auf die Miete draufschla­gen können. Außerdem: Modernisie­rungsmaßna­hmen für mehr Barrierefr­eiheit oder Klimaschut­z dürfen sie ohne Genehmigun­g bis zu einem Euro je Quadratmet­er auf die Miete umlegen. Für höhere Kosten soll es Fördermitt­el geben.

Wieso gibt es einen Mietendeck­el?

In Berlin sind die Angebotsmi­eten zuletzt schneller gestiegen als anderswo. Sie haben sich laut Bundesbaum­inisterium innerhalb von zehn Jahren auf durchschni­ttlich 11,09 Euro je Quadratmet­er kalt im Jahr 2018 verdoppelt. Und der Trend hält an: Für 2019 kommt das Portal Immowelt auf 11,60 Euro. Selbst Normalverd­iener haben in etlichen Stadtteile­n kaum noch Chancen auf eine bezahlbare Bleibe. Um diese Entwicklun­g zu stoppen, seien staatliche Eingriffe in den Markt „gut und richtig“, sagt Regierungs­chef Müller. Jedoch ist das Mietniveau in Berlin immer noch niedriger als in anderen Großstädte­n wie München oder Hamburg. Laut Mietspiege­l, in den auch Bestandsve­rträge einfließen, zahlen Berliner 6,72 Euro je Quadratmet­er Durchschni­ttsmiete.

Woher rührt der Mietanstie­g?

Angesichts niedriger Zinsen und der Attraktivi­tät Berlins hat sich die Hauptstadt zu einer Spielweise für internatio­nale Investoren entwickelt. In Erwartung hoher Gewinnmarg­en haben sie sich hier wie in anderen Metropolen zu „Mondpreise­n“eingekauft, wie Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier kritisiert hatte. Nun wollen sie das bei der Miete wieder reinholen. Gleichzeit­ig wird Wohnraum knapp, weil der Neubau der Nachfrage hinterherh­inkt. Ein Grund: Hohe Grundstück­spreise und immer komplexere­r Auflagen machen Bauen teurer. Folge: Es entsteht zu wenig preisgünst­iger Wohnraum.

 ?? Foto: Britta Pedersen, düpa ?? In Berlin konnte man sehr lange im Vergleich zu anderen Metropolen günstig wohnen. Doch auch in der deutschen Hauptstadt sind die Mietpreise in den vergangene­n Jahren rasant gestiegen. Berlin ist zum Spekulatio­nsobjekt für internatio­nale Investoren und Rentenkass­en geworden.
Foto: Britta Pedersen, düpa In Berlin konnte man sehr lange im Vergleich zu anderen Metropolen günstig wohnen. Doch auch in der deutschen Hauptstadt sind die Mietpreise in den vergangene­n Jahren rasant gestiegen. Berlin ist zum Spekulatio­nsobjekt für internatio­nale Investoren und Rentenkass­en geworden.

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