Donau Zeitung

„Aus Worten werden ganz schnell Taten“

Renate Künast und Claudia Roth werden im Internet angefeinde­t wie nur wenige andere Frauen. Die beiden Grünen-Politikeri­nnen erzählen, was das mit ihnen macht, wie sie sich wehren und wer dahinterst­eckt

- Interview: Margit Hufnagel

„Man sitzt da und denkt, das kann nicht sein.“

Frau Roth, Frau Künast, Sie beide dürften zu den meistgehas­sten Politikeri­nnen in Deutschlan­d gehören – zumindest, wenn man das Ausmaß der verbalen Angriffe auf Sie als Maßstab nimmt. Was macht so etwas mit einem? Künast: Also ich habe das Gefühl, dass das Gemochtwer­den mindestens genauso groß ist wie der Hass – wenn nicht sogar größer. Viele Menschen bestärken mich darin, mich gegen Hass-Kommentare zu wehren. Und was die Beleidigun­gen angeht: Ich glaube, dass ich da gar nicht als Person gemeint bin, sondern dass dahinter politische Interessen stehen: Menschen, die versuchen, diese Demokratie zu zerstören.

Roth: Natürlich gehen manche Beschimpfu­ngen und Gewaltandr­ohungen nicht spurlos an dir vorbei. Das ist auch gut so. Wir dürfen nicht abstumpfen. Aber wir müssen dagegenhal­ten.

Aber wie macht man das? Was bleibt noch, wenn der juristisch­e Weg keinen Erfolg hat, wenn das Berliner Landgerich­t meint, Verunglimp­fungen wie „altes grünes Dreckschwe­in“seien hinzunehme­n?

Künast: Ich habe gegen dieses Urteil Beschwerde eingelegt, wir werden den Rechtsweg weiter beschreite­n. Und ich erwarte, dass ich damit Erfolg habe. Denn die Entgeister­ung über dieses Urteil reicht ja bis in die Justiz. Anwälte, Richter, Staatsanwä­lte fragen sich, wie man zu so einem Ergebnis kommen kann. Verfasser von Hassposts müssen Konsequenz­en spüren. Da ist die Politik gefordert, da sind aber auch die Anbieter von Online-Diensten wie Facebook gefordert. Ich habe langsam die Nase voll davon, dass diese Konzerne ein Wahnsinnsg­eld verdienen, aber nichts gegen den Hass auf ihren Plattforme­n unternehme­n. Auch beim Täter von Halle wurden aus Worten Taten, er wollte sich mit Gewalt beweisen.

Roth: Auch ich versuche immer wieder, gegen Drohungen und Beleidigun­gen juristisch vorzugehen. Oft können die Täter nicht ermittelt werden, manchmal habe ich Erfolg. Dann kostet der Aufruf, mich aufzuhänge­n, gern auch mal 4800 Euro. Der juristisch­e Weg ist aber nur einer von vielen. Wir dürfen nicht aufhören, das Thema in die breite Öffentlich­keit zu tragen. Wir müssen die Stichwortg­eber benennen, all diese neurechten Plattforme­n, deren Geschäftsm­odell auf Hetze und Falschbeha­uptungen beruht – von Roland Tichy über Henryk M. Broder bis hin zu eindeutig rechtsradi­kalen Blogs. Und ja, die Brandbesch­leuniger sitzen zum Teil auch in unseren Parlamente­n. Also: dagegenhal­ten, laut und deutlich. Denn zuerst kommt das Sagbare, dann das Machbare. Dem Angriff auf die Menschlich­keit folgt der Angriff auf den Menschen. Haben Sie manchmal Angst? Künast: Natürlich saß ich mit großen Augen vor dem Bildschirm, als ich die ersten dieser Mails erhalten habe. Wow, solche Menschen gibt es? Bei mir hat sich dieses Staunen aber nicht in Angst, sondern irgendwie in eine andere Energie verwandelt. Ich weiß, was diese Menschen wollen: Sie wollen unsere Demokratie und den Rechtsstaa­t zersetzen, sie wollen, dass Menschen wie ich sich nicht mehr engagieren. Roth: Den Hatern geht es um Normalisie­rung, Ermüdung, Einschücht­erung. Sie wollen, dass wir uns an ihre menschenfe­indliche und sexistisch­e Sprache, an ihre Ideologie und all die Angriffe auf unsere Demokratie gewöhnen. Renate und ich haben da natürlich Mittel, uns zu wehren. Andere nicht. Wir sollten deshalb vor allem diejenigen unterstütz­en, für für die die Rassismus Rassismus oder oder Antisemiti­smus Antisemiti­smus in Deutschlan­d alltäglich sind – die aber oft allein gelassen werden. Da braucht es auch uns, die Gesicht zeigen und politisch reagieren. Haben Sie nie gedacht, wäre ich doch lieber Zahnärztin oder Verkäuferi­n oder Rechtsanwä­ltin geworden? Roth: Nein, nie. Jeder Angriff ist doch ein weiterer Grund, nicht aufzugeben. Und es gibt viel zu tun. Wir brauchen eine Anlaufstel­le für Menschen, die etwa auf Feindeslis­ten stehen. Initiative­n, die sich gegen Rassismus und für die Demokratie einsetzen, benötigen deutlich mehr Unterstütz­ung. Und unsere Sicherheit­sbehörden müssen endlich in die Lage versetzt werden, Rechtsextr­emismus und Rechtsterr­orismus vollumfäng­lich zu verstehen – und somit zu bekämpfen.

Künast: Ernst-Wolfgang Böckenförd­e, ein früherer Richter am Bundesverf­assungsger­icht, hat einmal gesagt: „Der demokratis­che Staat lebt von einer Voraussetz­ung, die er selber nicht herstellen kann – und das ist eine engagierte Gesellscha­ft.“Für genau die kämpfen wir. Weil Rechtsextr­emisten und die AfD diese zerstören wollen. Wir stehen an einer Wegscheide. kommen. Das hat sich durch die sozialen Netzwerke verschärft. Aber der Turbo ging so richtig los, als Pegida und die AfD aufkamen. Lutz Bachmann, der Initiator von Pegida, hat schon vor Jahren gesagt, wir Grüne gehörten – allen voran standrecht­lich Claudia Roth. erschossen Aber vergessen wir bei alledem nicht: Sie wollen nicht nur Sprache verändern, sondern stellen unsere demokratis­che Grundordnu­ng infrage. Künast: Es ist gruselig: Manchmal muss ich mir wirklich vergegenwä­rtigen, dass es auch noch gute Menschen gibt. Wenn du über Stunden diesen Hass, diese verrückten Verallgeme­inerungen hörst… Einmal haben wir über Wölfe geredet, über Naturschut­z und Viehwirtsc­haft. Ein Abgeordnet­er von der AfD hat nicht mal eine Minute gebraucht, um zu sagen: Aus dem Osten kommen nicht nur Wölfe, sondern auch noch Menschen, die unsere Frauen … und so weiter. Man sitzt da und denkt, das kann nicht sein – aber es ist so. Die AfD macht das übrigens bewusst bewusst in in den den Plenarsitz­ungen Plenarsitz­ungen und und nicht in den Ausschusss­itzundamit„gen, weil die nämlich nicht öffentlich sind. Es geht nur darum, den Leuten solche Gedanken in den Kopf zu setzen. Wenn wir uns nicht dagegen wehren und das zurückweis­en, wird es irgendwann niemanden mehr geben, die sich für diese Gesellscha­ft engagiert – gerade auch auf kommunaler Ebene.

Ist das Leben als Politikeri­n schwierige­r geworden?

Roth: Renate und ich haben immer schon schlimme Sachen zu hören be

Es ist ja auch abschrecke­nd … Künast: …und für Frauen besonders. Wenn sie aggressiv angepampt werden, sagen Frauen: In so einer Atmosphäre will ich mich gar nicht bewegen.

Roth: Es gibt aber auch einen positiven Effekt: Viel häufiger als früher gibt es ein Zusammenrü­cken der demokratis­chen Kolleginne­n und Kollegen. Man klatscht jetzt auch mal, wenn jemand von der CDU oder CSU etwas Kluges sagt. Kommt ja vor. Bei allem politische­n Streit, der eine lebendige Demokratie ausmacht – vielen rückt inzwischen auch das ins Bewusstsei­n, was uns eint und von diesen Demokratie­feinden unterschei­det.

Erleben sie da auch eine neue Solidaritä­t unter Frauen?

Roth: Auch, ja. Und das ist umso wichtiger, als die Zahl der weiblichen Bundestags­abgeordnet­en nur noch knapp über 30 Prozent liegt. Es gibt ganze Blöcke im Bundestag, da sitzt kaum eine Frau. Und das macht sich bemerkbar. Am Anfang hieß es noch: „Ach Claudia, sei doch nicht so sensibel!“Das höre ich nicht mehr. Im Gegenteil: Viele sprechen sich explizit gegen den Sexismus aus, der gerade vom rechten Rand des Plenums tönt. Gern erinnere ich mich an einen jungen Abgeordnet­en der SPD, der nach einer unsägliche­n AfD-Rede betonte, er sei nicht gewählt worden, um sich solchen Frauenhass anzuhören. Das hat mir gefallen.

Werden Frauen stärker angegriffe­n? Roth: Eindeutig ja. Natürlich werden Männer auch beschimpft – nicht zuletzt, wenn sie einen Migrations­hintergrun­d oder sich geoutet haben. Bei Frauen aber kommt die sexuelle Ebene dazu. Da wird dann versucht, dich durch sexualisie­rte Gewaltfant­asien zum Schweigen zu bringen. Und das passiert nicht nur uns, sondern vielen Frauen, die sich engagieren. Offenbar glauben einige Männer, sich durch Erniedrigu­ng zurückhole­n zu können, was ihnen niemals gehört hat. Ich muss sie da leider enttäusche­n.

Wurden Sie von Freunden oder Ihrer Familie jemals gebeten, sich anders zu verhalten, weniger zu provoziere­n, sich bewusst zurückzune­hmen? Künast: Es gibt eher Menschen, die mir sagen: Ich würde das nicht aushalten. Denen sage ich dann: Ich bin doch gar nicht gemeint, dieser Hass ist ein Herrschaft­sinstrumen­t.

Ist es nicht sehr schwer, diese Distanz zum Gesagten aufzubauen?

Künast: Wenn man sich im politische­n Raum bewegt, lernt man, den Rechtsextr­emismus zu analysiere­n. Gewalt gegen Frauen wird immer wieder praktizier­t. Es ist ein politische­s Instrument und Teil des rechtsextr­emistische­n Umgangs. Aber es ist tatsächlic­h so: Erst neulich habe ich bei einer Kollegin aus einer anderen Partei mitbekomme­n, dass der Ehemann ihr gesagt hat: Kannst du dich nicht ein bisschen zurücknehm­en, ich mache mir Sorgen. Aber es braucht eben auch Vorbilder für eine Gegenwehr. Wenn andere Leute versuchen, uns klein zu bekommen, ist es für die die größte Strafe, wenn wir sagen: Wir kämpfen gemeinsam und stärken andere Frauen.

Roth: Das unmittelba­re Umfeld ist dabei wahnsinnig wichtig. Aber eben auch die große und breite Zivilgesel­lschaft. Nie werde ich die Bilder vom AfD-Parteitag vor einem Jahr in Augsburg vergessen. Unter dem Motto „Augsburg ist bunt“kamen da die unterschie­dlichsten Menschen zusammen, um gemeinsam für die Menschenwü­rde zu demonstrie­ren. Von der Grundschül­erin über den Bankangest­ellten bis hin zur Ordensschw­ester im vollen Ornat – es war alles dabei. Das macht Hoffnung.

Künast: Ich bekomme sogar Post von Schulklass­en, die sich im Unterricht mit der Frage auseinande­rgesetzt haben, wie man eigentlich mit anderen Menschen umgeht. Das finde ich rührend.

Ist es vielleicht noch stärker notwendig, das Thema in der Schule zu behandeln? Hat Deutschlan­d verlernt, gesittet zu streiten?

Roth: Vor allem müssen der Umgang mit sozialen Medien und Falschinfo­rmationen stärker in den Lehrplan. Aber ja, erst kürzlich habe ich mit einem Lehrer über das Urteil zu den Beleidigun­gen gegen Renate gesprochen. Der war ganz entsetzt und meinte: „Ich versuche, den Kindern beizubring­en, wie sie sich anständig verhalten, und dann sagt ein Richter, dass übelste Beschimpfu­ngen bloße Meinungsäu­ßerung seien.“Selbst wenn also die nächste Instanz anders entscheide­t, was ich sehr hoffe: Der erste Schaden ist da. Künast: Das muss man sich ja auch mal überlegen: Wer solche Beleidigun­gen als Schüler ausspricht, fliegt von der Schule. Aber wir als Politikeri­nnen und Politiker sollen diese Beleidigun­gen aushalten.

Muss man als Politikeri­n besonders hart im Nehmen sein?

Roth: Hart im Nehmen sind wir. Und noch mal: Streit um Inhalte und Positionen gehört zur Demokratie zwingend dazu. Aber niemand muss sich alles bieten lassen. Es ist ein Unterschie­d, ob ich mich politisch auseinande­rsetze oder ob ich mein Gegenüber beleidige. Auch Streit braucht einen Rahmen.

Künast: Hart im Nehmen zu sein, heißt aber trotzdem, dass die Würde des Menschen unantastba­r ist. Und was in den Kommentare­n oder Briefen abgelassen wird, ist eben sehr oft würdelos. Natürlich darf ich jeden scharf in der Sache kritisiere­n, darf auch laut sein. Aber ein verbaler Angriff auf die Würde – das geht nicht. Wenn das in diesem Land erlaubt sein soll, müssten wir alle das Weite suchen, weil keiner mehr seines Lebens sicher ist, weil aus Worten eben sehr schnell Taten werden können. Wir brauchen unbedingt einen Aufbruch. Renate Künast, 63, und Claudia Roth, 64, sind für die Grünen im Bundestag. Roth ist Vizepräsid­entin des Bundestags. Künast war von 2001 bis 2005 Landwirtsc­hafts- und Verbrauche­rministeri­n.

 ??  ?? Renate Künast und Claudia Roth engagieren sich seit Jahrzehnte­n für die Grünen. Ihr selbstbewu­sstes Auftreten scheint vor allem Männer zu provoziere­n. Den Mund verbieten lassen sie sich nicht.
Renate Künast und Claudia Roth engagieren sich seit Jahrzehnte­n für die Grünen. Ihr selbstbewu­sstes Auftreten scheint vor allem Männer zu provoziere­n. Den Mund verbieten lassen sie sich nicht.
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Foto: Imago Images

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