Was darf man auf der grünen Wiese?
Der Bund Naturschutz klagt gegen ein Allgäuer Gewerbegebiet. Nun muss der Verwaltungsgerichtshof in München entscheiden, ab wann das Landschaftsbild zerstört ist
Gestratz/Grünenbach Im Westallgäu bahnt sich ein Rechtsstreit mit großer Tragweite für ganz Bayern an. Die Frage dreht sich darum, wann ein Gewerbegebiet in der freien Landschaft gebaut werden darf und wann nicht.
Zum konkreten Fall: Zwischen den Orten Gestratz und Grünenbach soll auf einer Fläche von 6,4 Hektar ein sogenanntes interkommunales Gewerbegebiet entstehen. Dafür haben sich die Gemeinden Röthenbach, Grünenbach, Maierhöfen und Gestratz zusammengeschlossen und einen Zweckverband gegründet. Das Bauvorhaben ist bereits genehmigt. Widerstand regt sich durch eine Bürgerinitiative und den Bund Naturschutz (BN). Der BN klagt nun per Eilantrag vor dem Verwaltungsgerichtshof in München gegen das Projekt, da bereits vor wenigen Wochen offiziell Baubeginn war. Es geht um die Frage, wann davon die Rede sein kann, dass ein Landschaftsbild nachhaltig zerstört ist. Bisher gibt es dafür keine juristische Definition. Die unverbaute Landschaft gehöre zu den wichtigsten Schutzgütern von Mensch und Natur, sagt Thomas Frey, BN-Regionalreferent für Schwaben.
Viele Jahre galt in Bayern das sogenannte Anbindegebot. Gewerbegebiete durften nur angrenzend an bestehende Siedlungen ausgewiesen werden und nicht auf der grünen Wiese entstehen. 2018 hat der Freistaat diese Regelung allerdings wieder gelockert. Seitdem dürfen kommunenübergreifende Gewerbegebiete auf der grünen Wiese gebaut werden, wenn sie das Landschaftsbild nicht „wesentlich beeinträchtigen“und keine alternativen Standorte für den Bau vorhanden sind.
Genau diese zwei Bedingungen sieht der Bund Naturschutz aber bei dem Westallgäuer Gewerbegebiet verletzt und hat das Anwaltsbüro Philipp-Gerlach aus Frankfurt beauftragt. Die Anwälte sind auf Umweltrecht spezialisiert und durch ihre Klagen gegen die Rodungen im Hambacher Forst bekannt. Grundlage für die Klage des BN ist ein Gutachten der Architektin Andrea Gebhard. Sie kommt zu dem Schluss, dass sich das Landschaftsbild „In der Au“durch das Bauprojekt zum Nachteil verändert. Das Gewerbegebiet füge sich nicht in die Landschaft ein, sondern sei von mehreren Höhenzügen in der Umgebung als Störfaktor sichtbar. Die Besonderheit des Gebietes mit seiner Abgelegenheit und seinen weiten, einsehbaren Flächen werde unwiederbringlich zerstört. Zudem müssten Teile des umliegenden Waldes gerodet werden. „Es geht nicht darum, Gewerbegebiete und damit Wirtschaftswachstum zu verhindern, sondern sie dort zu bauen, wo sie notwendig sind“, sagt Gebhard. Josef Schrott von der Bürgerinitiative sieht auch keinen Bedarf der heimischen Firmen. Aus seiner Sicht rechtfertige das Argument, zusätzliche Jobs zu schaffen, das Projekt nicht. „Wir haben im Allgäu keinen Arbeitsplatzmangel, sondern einen Arbeitskräftemangel.“
Die Bürgerinitiative kritisiert zudem die Zersiedelung und die Verkehrszunahme. Erich Jörg von der BN-Kreisgruppe Lindau missfällt, dass sich der Zweckverband seit Beginn der Planungen für das Gebiet ausgesprochen und „nicht ernsthaft“nach Alternativen gesucht habe. Johannes Buhmann, Vorsitzender des Zweckverbandes, widerspricht. „Wir haben das Gewerbegebiet im Vorfeld intensiv geprüft und die Erkenntnis gewonnen, dass das Landschaftsbild nicht zerstört wird“, sagt er. Bei der Fläche handelt es sich um eine ehemalige Kiesgrube. „Die Flächen haben keinen großen landwirtschaftlichen Wert.“