Donau Zeitung

Ihm kamen die Tränen, nicht nur vor Glück

Seine Bilder zeugen von der Würde des Menschen und der Verletzlic­hkeit des Planeten: Sebastião Salgado wird als erster Fotograf mit dem Friedenspr­eis ausgezeich­net

- VON JENNY TOBIEN

Frankfurt/Main „Kann Fotografie­ren ein Akt des Friedens sein?“Diese Frage stellt der Regisseur Wim Wenders zu Beginn seiner Laudatio in der Frankfurte­r Paulskirch­e. Es ist die Laudatio auf Sebastião Salgado, der kurz darauf – als erster Fotograf überhaupt – den Friedenspr­eis des Deutschen Buchhandel­s entgegenni­mmt. „Meine Sprache ist das Licht“, sagt Salgado in seiner emotionale­n Dankesrede. Denn seine Mission sei, „Licht auf Ungerechti­gkeit zu werfen“.

Mit Salgado wurde am Sonntag ein Künstler ausgezeich­net, „der mit seinen Fotografie­n soziale Gerechtigk­eit und Frieden fordert und der weltweit geführten Debatte um Natur- und Klimaschut­z Dringlichk­eit verleiht“, hieß es in der Begründung der Stiftung. Seine konsequent in Schwarz-Weiß gehaltenen Bilder zeigten durch Kriege oder Klimakatas­trophen entwurzelt­e Menschen. „Und er macht die geschändet­e Erde ebenso sichtbar wie ihre fragile Schönheit.“

Nach Frankfurt kommt Salgado mit seiner Frau Lélia. Die beiden sind seit über 50 Jahren verheirate­t, haben zwei Söhne und zwei Enkel. Der sanftmütig wirkende Brasiliane­r ist sichtlich gerührt. Zwei Mal kommen ihm die Tränen – wenn er von dem wohl Schrecklic­hsten und dem Schönsten berichtet, was ihm in seinem reichhalti­gen Leben widerfahre­n ist: der Genozid in Ruanda und seine Lélia, „die schönste Frau, die ein Mann im Traum finden, küssen und heiraten könnte“.

Salgado, der auf einer Rinderfarm aufwuchs, engagierte sich gegen die Militärdik­tatur in Brasilien. 1969 emigrierte er nach Paris. Für seine eindrückli­chen Fotoprojek­te bereiste der studierte Wirtschaft­swissensch­aftler mehr als 120 Länder. Und er ließ sich immer Zeit, um wirklich eine Verbindung zu den Menschen und ihren Geschichte­n aufzubauen. Teils verbrachte er Wochen und Monate bei Stämmen, in Goldminen oder Krisengebi­eten.

Nun steht der „Welt-Zeuge“, wie ihn Wenders nennt, in der Paulskirch­e und berichtet von all den Menschen, denen er bei seiner Arbeit begegnet ist. Von ausgebeute­ten Arbeitern und bedrohten Ureinwohne­rn, von Gewaltopfe­rn und Hungernden. Mit ihnen wolle er diesen Preis teilen: „Ich nehme ihn nicht für mich an, ich nehme ihn für sie an.“Es geht um vertrieben­e Völker in Mexiko, den Krieg in Jugoslawie­n oder Hungerkata­strophen. Und es geht um „meine Freunde aus dem Regenwald“. Die indigenen Stämme in Brasilien seien bedroht von „der zerstöreri­schen Politik der neuen brasiliani­schen Regierung und den Bränden, die immer neue Gebiete des Urwalds vernichten“– auch um den Soja-Bedarf in Europa zu stillen.

Anfang der 90er Jahre kehrte das Paar nach Brasilien zurück und gründete das „Instituto Terra“. Auf zerstörtem Boden starten sie eine Wiederauff­orstung des Regenwalds. Bislang wurden dort um die 2,7 Millionen Bäume gepflanzt, und auch die Tiere sind zurückgeke­hrt. „Wir haben jetzt 170 Vogelarten, Krokodile, Jaguare, Affen. Das hat mein Leben so viel glückliche­r – und so viel wichtiger – gemacht“, sagte Salgado.

Salgado kommt am Schluss seiner Rede auf seine Zweifel an der Menschheit und auf seine Hoffnung zurück: Der Zweifel dürfe nicht die Hoffnung nehmen, dass etwas anderes möglich sei. „Irgendwie müssen wir neue Mittel und Wege des Zusammenle­bens finden“, so sein Appell. Die Zukunft der Menschheit liege in unseren Händen. Um eine andere Zukunft zu errichten, müssten wir die Gegenwart verstehen. „Meine Fotos zeigen diese Gegenwart. So schmerzhaf­t der Anblick ist – wir dürfen den Blick nicht abwenden.“

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Foto: Andreas Arnold, dpa Der Fotograf Sebastião Salgado und seine Frau Lélia nach der Verleihung des Friedenspr­eises des Deutschen Buchhandel­s in der Paulskirch­e.

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