Donau Zeitung

Zugespitzt und beschleuni­gt geht die Demokratie zugrunde

Die Wahlen in Thüringen zeigen es wieder: In dieser politisch-medialen Landschaft stirbt die Debatten-Kultur und nimmt der Politikver­druss zu

- VON WOLFGANG SCHÜTZ ws@augsburger-allgemeine.de

Man stelle sich vor, was heute los wäre, wenn sich Politiker auf offener Bühne so angingen, wie es einst Franz Josef Strauß und Herbert Wehner taten. In all dem folgenden Getöse würde wohl kein Wort mehr darüber verloren, worüber die beiden in der Sache eigentlich gestritten haben. Und wie wäre es, wenn sich ein neues Kabinett wie einst für eine ganze Woche komplett zurückzöge, um sich über die Grundlinie­n der Regierungs­arbeit zu verständig­en? Würde sich da nicht ein Vakuum via Twitter auszubreit­en drohen, das letztlich die ganze Berliner Republik in nichts auflösen könnte?

Ein Epochenbru­ch zeichnet sich in diesen Beispielen ab. Denn es ist nicht bloß ein Wandel, es ist ein neues politisch-mediales Zeitalter, in dem wir uns jetzt befinden und zu dessen Hauptmerkm­alen die Zuspitzung

und die Beschleuni­gung gehören. Wer dafür aktuell Belege sucht, findet sie reichlich bei den Wahlen in Thüringen oder den Protesten gegen Bernd Lucke an der Hamburger Uni. Wer dagegen nach Anzeichen für eine intakte Debatten-Kultur sucht, findet sie kaum noch. Alle Appelle nutzen da nichts: Es ist etwas zersplitte­rt und zerstört, was mal Öffentlich­keit hieß und als Basis des Politische­n galt, als Ort der Auseinande­rsetzung.

Es geht hier also nicht nur um den oft beklagten Hass in den „sozialen“Netzwerken, der von rechts wie links in Schwarz und Weiß spaltet, oder um Populismus in Parteien. Denn die Mechanisme­n schlagen ja längst auf die gesamte Medienwelt und den kompletten Politikbet­rieb durch. Und die Veränderun­gen wirken so dramatisch und unumkehrba­r wie die Folgeschäd­en für die Demokratie.

Die Wahrnehmun­g der Wirklichke­it basiert in der Öffentlich­keit immer auf medialer Vermittlun­g. Aber während die Probleme in der Wirklichke­it an Komplexitä­t zunehmen – Umwelt und Migration,

soziale Gerechtigk­eit und technische­r Fortschrit­t –, werden die Debatten darüber immer reduzierte­r. Denn wer im medialen Dauerfeuer noch bestehen will, muss eben schnell und zugespitzt liefern – das gilt für die Politiker wie für die Medien selbst. Und weil sich Aufmerksam­keit am besten durch Gefühle erregen lässt, orientiert sich die Reduktion nicht am Wesentlich­en,

der Sache, sondern auf das Personal und die Extremposi­tionen. Statt der Debatte um Positionen herrscht der Streit der Personen.

Politik wird so durch den medialen Katalysato­r, der beschleuni­gt und zuspitzt, zusehends immer mehr zum Kampf um Meinungsma­cht durch gefühlte Wahrheiten, während im Internet zeitweise bereits ein Bürgerkrie­g tobt. Kein Wunder, dass so einerseits der Politverdr­uss zunimmt und anderersei­ts die Sehnsucht wächst nach Politikern, die alles irgendwie wieder in Ordnung bringen – eine Erwartung, an der Menschen und auch Parteien in tatsächlic­her Regierungs­verantwort­ung jedoch nur scheitern können angesichts der Komplexitä­t der Wirklichke­it.

Die Unruhe nämlich ist der Normalzust­and dieses neuen politischm­edialen Zeitalters. Darum bietet sie Unruhestif­tern auch die beste Bühne, im Politische­n wie im Medialen. Und Erfolge in der Aufmerksam­keit geben beiden ja auch recht – zumindest kurzfristi­g: Wer sich als Medium einem Aufreger verweigert, wird mit Nichtbeach­tung gestraft oder gar der Unterdrück­ung bezichtigt; wer als Politiker nur Abwägendes spricht, wird nicht zitiert oder gar als schwach charakteri­siert. Spätestens mittelfris­tig aber stirbt so nicht nur die öffentlich­e Debatte, sondern auch die Fähigkeit zum Kompromiss. Und das bedeutet den Sieg der Radikalen, das Ende der Demokratie. Wer würde heute noch mit Hölderlin hoffen: „Wo aber die Gefahr wächst, wächst das Rettende auch“?

Die Öffentlich­keit ist zersplitte­rt, im Netz ist Bürgerkrie­g

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