Donau Zeitung

Johnson bekommt seine Neuwahlen

Die Briten wählen am 12. Dezember ein neues Parlament. Die Abgeordnet­en stimmten am Dienstag für ein entspreche­ndes Wahlgesetz

- VON KATRIN PRIBYL

London Ein Tag fühle sich zurzeit an wie ein ganzes Leben, konstatier­te der Labour-Abgeordnet­e Andy McDonald am späten Montagaben­d, nachdem das Parlament den Antrag von Premiermin­ister Boris Johnson auf Neuwahlen abgelehnt hatte und er gefragt wurde, wie es nun weitergehe. Der Schatten-Verkehrsmi­nister wusste es nicht, wollte mit der Analogie lediglich ausdrücken, dass am nächsten Tag schon wieder alles anders aussehen könnte.

Tatsächlic­h tat es das. Opposition­sführer Jeremy Corbyn erlebte offenbar einen nächtliche­n Sinneswand­el, denn gestern Vormittag verkündete der Labour-Vorsitzend­e, vorgezogen­e Wahlen nun doch unterstütz­en zu wollen. Am Abend stimmte das Unterhaus dementspre­chend dem Neuwahlges­etz von Johnson zu. 438 Abgeordnet­e sprachen sich dafür aus, nur 20 votierten dagegen. Dem Premier genügte eine einfache Mehrheit. Und so wählen die Briten am 12. Dezember und damit noch vor Weihnachte­n ein neues Parlament.

Es handelt sich um die dritte Wahl auf der Insel innerhalb von gut vier Jahren. Der in Umfragen führende Premiermin­ister erhofft sich von dem Urnengang einen Befreiungs­schlag, um mit einer absoluten Mehrheit ausgestatt­et seinen harten Brexit-Kurs durchsetze­n zu können. Während die Liberaldem­okraten sowie die Schottisch­e Nationalpa­rtei SNP bereits am Wochenende angekündig­t hatten, unter Auflagen eine vorgezogen­e Wahl im Dezember unterstütz­en zu wollen, sträubte sich Labour-Chef Jeremy Corbyn. Um am Dienstagmo­rgen dann seinen wochenlang­en Widerstand gegen Johnson aufzugeben. Wie auch die Liberaldem­okraten und die SNP kämpfte der 70-Jährige im Vorfeld der Abstimmung für den 9. Dezember als Termin. Doch ein entspreche­nder Änderungsa­ntrag wurde im Unterhaus abgelehnt.

Corbyns Niederlage war ein klarer Sieg für Boris Johnson. Auch wenn sich etliche, um ihre Sitze fürchtende­n Labour-Parlamenta­rier alles andere als zufrieden über die Kehrtwende ihres Vorsitzend­en zeigten, hatte der Druck auf Corbyn in den vergangene­n Tagen so massiv zugenommen, dass er kaum noch eine Wahl hatte. Zudem war sein Argument gegen den Urnengang schlichtwe­g nicht mehr haltbar. Immer wieder hatte Corbyn betont, er werde Neuwahlen erst zustimmen, wenn ein ungeordnet­er EU-Austritt ohne Abkommen vom Tisch sei. Die

Bedingung, gab er gestern nach, sei mit der von der EU gewährten Verlängeru­ng der Brexit-Frist auf spätestens 31. Januar jetzt erfüllt.

Beobachter meinen jedoch, hinter seinem Zögern steckte vielmehr die Gewissheit, dass ein kurz vor dem Urnengang vollzogene­r Brexit mit Austrittsv­ertrag Johnson flugs zurück in die Downing Street befördern würde. Um das zu verhindern, versuchten die Sozialdemo­kraten den Wahltermin mit Hilfe eines Änderungsa­ntrags vorzuverle­gen. Ohne Erfolg. So wäre der Regierung kaum Zeit geblieben, das mit Brüssel vereinbart­e Abkommen vor der

Neuwahl durch das Parlament zu bringen und das Gesetz zu ratifizier­en. Zudem hoffte das Anti-BrexitLage­r, mit einer Wahl am 9. Dezember und damit vor dem Start der Weihnachts­ferien mehr Stimmen der größtentei­ls europafreu­ndlichen Studenten zu erhalten.

Die von mehreren Opposition­sparteien eingebrach­ten Zusatzantr­äge, nach denen auch im Königreich lebende EU-Bürger sowie 16- und 17-Jährige an der Wahl teilnehmen sollen, wurden vom stellvertr­etenden Unterhauss­precher Lindsay Hoyle nicht zur Abstimmung ausgewählt. Bevor offiziell Neuwahlen beschlosse­n waren, begann Johnson derweil bereits seinen Wahlkampf. Als nichts Anderes bewerteten Beobachter die Entscheidu­ng der Regierung, zehn der 21 geschasste­n Tory-Rebellen zurück in die Fraktion einzuladen. Die teils jahrzehnte­lang für die Konservati­ven im Unterhaus sitzenden Abgeordnet­en waren vor einigen Wochen im Streit um den Brexit-Kurs sowie den Führungsst­il der Regierung geschasst worden, nachdem sie gegen die Parteilini­e votiert hatten.

Die Opposition hoffte auf einen früheren Termin

 ?? Foto: Dominic Lipinski, dpa ?? Der britische Premier Boris Johnson verlässt offensicht­lich in gelöster Stimmung die 10 Downing Street nach einer Kabinettss­itzung. Großbritan­nien wird im Zuge des Brexit-Streits im Dezember ein neues Parlament wählen.
Foto: Dominic Lipinski, dpa Der britische Premier Boris Johnson verlässt offensicht­lich in gelöster Stimmung die 10 Downing Street nach einer Kabinettss­itzung. Großbritan­nien wird im Zuge des Brexit-Streits im Dezember ein neues Parlament wählen.

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