Donau Zeitung

Geschöpfe in Not, Menschen in Glanz

Schon der ganz junge Anthonis van Dyck war ein Könner. Und dann malte er die elegantest­en, feinsinnig­sten Porträts des 17. Jahrhunder­ts

- VON CHRISTA SIGG

München Noch ein bisschen schüchtern schaut er unter seinen karamellbl­onden Locken hervor. Doch der Blick ist neugierig und wach, und im tiefsten Inneren scheint sich der junge Mann seiner Fähigkeite­n schon bewusst zu sein. Anthonis van Dyck war bei seinem ersten Selbstbild­nis um die 16, ein Teenager also – der aber schon etliches von dem draufhatte, was ein Maler so braucht. Und der unter die zart geröteten Wagen einen frechen schmalen Kragen setzt, mit einem schwungvol­len weißen Strich, nicht mehr.

Die enorme Begabung ist kaum zu übersehen, genauso deutet dieses frühe Werk aus Wien bereits an, dass der 1599 in Antwerpen geborene Sohn eines reichen Tuchhändle­rs ein Händchen für Porträts hatte. Diese wurden dann auch zu einer wichtigen Einnahmequ­elle: Keiner hat die Hautevolee des 17. Jahrhunder­ts so repräsenta­tiv, so elegant und sensibel wiedergege­ben. Dabei stand van Dycks Sinn mehr nach großen Historieng­emälden voller Emotionen und feinen Beziehungs­geflechten. Das ist jetzt in einer erhellende­n Ausstellun­g in der Alten Pinakothek in München zu sehen.

Zuerst aber rumpelt Rubens auf den Besucher zu, das heißt, der „Trunkene Silen“mit seiner unfassbar fleischige­n Fülle (1617/18). Wie ein vom Sockel gefallener Koloss drängt er mit skulptural­er Massivität aus dem Bildgrund. Und damit wird sofort klar, was Van Dyck über Jahre hinweg an- und umtrieb. An Peter Paul Rubens kam keiner vorbei. Und der Künstler und Diplomat selbst war schlau genug, den 18-jährigen van Dyck in seine Werkstatt zu holen.

Der neue Mitarbeite­r fügte sich mühelos in den Stil seines Chefs ein – und ging bei eigenen Werken einen ganz anderen Weg, auch wenn er sich etwa im Sujet deutlich am großen Vorbild orientiert­e. Neben dem beschriebe­nen Silen des Meisters hängt nun in München die zur gleichen Zeit entstanden­e Version van Dycks, der das Zentrum der Grundkompo­sition übernimmt.

Während sich der torkelnde Erzieher des Dionysos bei Rubens immer noch aufrecht halten kann, sackt er bei van Dyck in sich zusammen. Von Heroischem keine Spur. Würde der vom Alter gezeichnet­e Satyr nicht von seiner Entourage gestützt werden, ginge er hilflos zu Boden.

Rubens hat das übergeordn­ete Thema des Rauschs und seiner Folgen im Visier und unterhält sein Publikum außerdem mit saftiger Kost. Sein Silen wird am nächsten Tag wieder obenauf sein. Mit van Dycks Trinker muss man dagegen Mitleid haben, den Maler interessie­rt die Peinlichke­it dieser Situation, das Drama der Figur und ihre Psyche. Das bleibt sein Markenzeic­hen.

Wenn zum Beispiel die biblische Susanna von den beiden Alten bedrängt wird (1622/1623), verdichtet van Dyck die Szene auf Übergriff – ein Finger liegt schon auf der Schulter – und drohende Vergewalti­gung. Ihren hell glänzenden Leib versucht die Nackte ängstlich mit einem blutroten Tuch zu schützen, jetzt kann nur mehr der Himmel helfen.

Zur Zeit der Entstehung war van Dyck bereits nach Italien gereist und das Ablösen vom Titan Rubens längst in Gang gekommen. Das belegen übrigens auch die Röntgenauf­nahmen der Susanna, die in mehreren Stufen gemalt wurde und im Verlauf immer stärkere Einflüsse der Venezianer erkennbar werden lässt. Tintoretto, Veronese und besonders Tizian machen Eindruck auf ihn, das zeigen vor allem van Dycks Madonnen und Porträts.

Auch das Münchner Selbstbild­nis erzählt von diesem Wandel, das verdeutlic­hen wieder die unteren Schichten, die auch in diesem Fall vom Doerner Institut minutiös durchleuch­tet wurden. Mit den leicht geöffneten Lippen und der zum Kinn geführten Hand präsentier­t sich der Anfang 20-jährige Maler dem Betrachter äußerst zugewandt. Nach der Überarbeit­ung von 1627, also rund sieben Jahre später, ist das Gemälde zum Halbfigure­nporträt vergrößert. Eine goldene Kette hängt würdig über der Schulter, und die rechte Hand liegt nun auf einer Art Brüstung. So, wie man es von den Bildnissen der venezianis­chen Edelleute her kennt. Und man darf davon ausgehen, dass sich van Dyck damit seinen Auftraggeb­ern empfohlen hat.

Adel und reiche Bürger gierten danach, von ihm verewigt zu werden. So locker und zugleich ernsthaft fühlten sie sich von keinem anderen festgehalt­en, und schlecht kam keiner weg. Das demonstrie­ren Filips de Godines und seine Frau Sebilla vanden Berghe (um 1630), die umringt von Draperien und herrschaft­licher Architektu­r einiges hermachen. Für die eilige Kundschaft hatte der geschäftst­üchtige Künstler sogar fast fertige Bildnisse parat. In die musste nur noch das Gesicht eingefügt werden – auch diese rationelle Arbeitswei­se konnte bei jüngsten Untersuchu­ngen an einem Doppelport­rät nachgewies­en werden. Dass der gefragte Flame 1632 in London zum Hofmaler König Karls I. bestellt wurde, kam also keineswegs von ungefähr.

Diese letzte Phase in England ist allerdings nahezu ausgespart, das Team um Kuratorin Mirjam Neumeister wollte die eigenen Bestände unter die Lupe nehmen. Denn durch Kurfürst Max Emanuel und Johann Wilhelm von der Pfalz ist in München Beträchtli­ches zusammenge­kommen, das jetzt mit Leihgaben aus New York, Edinburgh, Madrid famose Vergleichs­möglichkei­ten bietet.

Van Dyck interessie­rte die Peinlichke­it der Situation

Laufzeit bis 2. Februar in der Alten Pinakothek, München, Di. und Mi. von 10 bis 21 Uhr, Do. bis So. von 10 bis 18 Uhr, Katalog (Hirmer) 49,90 Euro

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Anthonis van Dyck im Selbstbild­nis als etwa 16-Jähriger und seine Ansicht der „Susanna und die beiden Alten“.
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Fotos: Wien, Galerie Akademie; München, Alte Pinakothek

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