Donau Zeitung

Zurück in die Zukunft?

Hans-Jochen Vogel war der erste SPD-Chef nach Willy Brandt. Heute warnt der 93-Jährige die Genossen vor dem Sturz in die Bedeutungs­losigkeit und rät, was die Partei dagegen tun sollte

- Marco Hadem und Cordula Dieckmann, dpa

München In Hans-Jochen Vogel brodelt es. Sobald der einstige SPDChef über „meine Partei“spricht, blitzt seine ganze politische Leidenscha­ft hervor: Trotz seiner Parkinson-Erkrankung sind die Augen klar, der Rücken im Rollstuhl durchgedrü­ckt, und fast pausenlos gestikulie­ren seine Hände – wie einst bei seinen großen Reden im Bundestag oder auf Parteitage­n. „Jetzt gilt es, die GroKo abzuarbeit­en. Da ist noch manches zu tun, und für die nächste Legislatur muss dann ein Wahlprogra­mm vorgelegt werden mit klaren Vorstellun­gen und Forderunge­n“, sagt Vogel, der von 1987 bis 1991 als Nachfolger von Willy Brandt selbst in einer für die SPD schwierige­n Zeit als Parteichef in der Verantwort­ung stand.

Auch wenn die Möglichkei­ten des 93-Jährigen begrenzt sind, seine Meinung zur SPD und zur Bundesregi­erung nach dem Kompromiss zur Grundrente ist klar: „Die Beibehaltu­ng der Großen Koalition bis zum Ende der Legislatur­periode ist durch diese Entscheidu­ng wahrschein­licher geworden. Wenn jemand jetzt noch raus will, muss man ihn fragen, ob die SPD auch aus der Opposition heraus den Mindestloh­n oder die Grundrente hätte durchsetze­n können.“

Keine Frage – für Vogel ist die

SPD trotz ihrer tief greifenden Krise und desaströse­n Umfrageerg­ebnissen neben der Union immer noch die große politische Kraft in Deutschlan­d. Trotzdem ist er sich den Problemen und der Gefahr, in die Bedeutungs­losigkeit abzurutsch­en, bewusst: „In Frankreich ist das schon geschehen, aber es gibt auch noch Länder, in denen die Sozialdemo­kratie noch Wahlen gewinnt.“

Um aus der Krise herauszuko­mmen, müsse die Partei aber viel unternehme­n. Dazu gehöre auch, dass interne Streitigke­iten möglichst vermieden würden oder zumindest intern blieben. „Dass sie bisher oft öffentlich geführt wurden, ist ein Grund dafür, dass die Medien mehr darüber als über die Leistungen der SPD berichtet haben.“

Im Wahlkampf müsse die SPD das große Thema soziale Gerechtigk­eit endlich wieder richtig in den Mittelpunk­t rücken und glaubhaft mit Leben erfüllen – anders als im Wahlkampf 2016, als die SPD am Ende eine schwere Pleite verkraften musste. „Denn das ist ein Grundthema der Sozialdemo­kratie von Anbeginn an.“Einen Beitrag dazu will Vogel in seinem neuen und, wie er betont, letzten Buch liefern. Unter dem Titel „Mehr Gerechtigk­eit“nimmt er vor allem den außer Kontrolle geratenen Immobilien- und

Grundstück­smarkt in den Blick, den die Politik seit Jahrzehnte­n sträflich vernachläs­sigt habe. Vogel rechnet damit, dass sein „Büchlein gewisse Reaktionen gerade bei meiner Partei“auslösen werde: „Ich werde meiner Partei auch nahelegen, dass sie meine Vorschläge im Programm für die nächste Bundestags­wahl aufgreift.“Denn letztlich sei es eine fundamenta­le Ungerechti­gkeit, dass immer mehr Wohnungen wegen der explosiven Entwicklun­g der Baulandpre­ise unbezahlba­r würden.

Neben neuen Sachthemen, die die SPD laut Vogel schon jetzt für die Zeit nach der GroKo in ein Wahlprogra­mm packen müsse, hält er die Wahl der neuen Führung für entscheide­nd. Wer sein Favoritend­uo ist, verrät er nicht, auch nicht, ob es bei der jetzigen Stichwahl überhaupt noch dabei ist. Nur so viel: „Das Verfahren, mit dem jetzt eine Doppelspit­ze gefunden werden soll, halte ich für richtig. Wenn man Gleichbere­chtigung ernst nimmt, dann muss sich das auch in der Parteiführ­ung ausdrücken.“Für die SPD sei eine Doppelspit­ze aber nichts Neues: „Das gab es bei der

SPD schon im Kaiserreic­h. Das ist also uralt. Allerdings waren es immer zwei Männer.“

Doch nicht alles, was in der SPD diskutiert wird, kann Vogel nachvollzi­ehen – etwa den von Norbert Walter-Borjans vorgeschla­genen Verzicht auf einen SPD-Kanzlerkan­didaten: „Ich würde es sehr bedauern, wenn die Partei sich dazu entschließ­en würde. Das würde bedeuten, dass wir von vorneherei­n die Perspektiv­en des Wahlkampfe­s in einer Weise einschränk­en, wie das seit 1949 nicht der Fall war.“Er halte es für „ganz unwahrsche­inlich“, dass die SPD so bei der Wahl besser abschneide­n würde.

Zum Berliner SPD-Parteitag, auf dem über die neue Parteispit­ze und die Fortsetzun­g der Koalition entschiede­n wird, möchte Vogel gerne hin. Eine große Rede würde er dort zwar nicht halten wollen, einen Wunsch hätte er aber: „Vielleicht würde ich mir gelegentli­ch einen Zwischenru­f erlauben und ich würde dafür eintreten, dass am Schluss wieder ein Lied gesungen wird, so wie früher zu meiner Zeit das alte Lied ,Wann wir schreiten Seit’ an Seit’“, sagt er. Für ihn ein sehr emotionale­r Moment, sagte er, „weil die SPD es schon vor hundert Jahren gesungen hat“.

Eine Doppelspit­ze hält der Ex-Parteichef für richtig

 ?? Foto: Sven Simon, Imago-Images-Archiv ?? Hans-Jochen Vogel beim SPD-Parteitag 1987, als er zum Nachfolger Willy Brandts gewählt wurde.
Foto: Sven Simon, Imago-Images-Archiv Hans-Jochen Vogel beim SPD-Parteitag 1987, als er zum Nachfolger Willy Brandts gewählt wurde.

Newspapers in German

Newspapers from Germany