Donau Zeitung

Der unbequeme Herr Tusk hört auf

Der Ratspräsid­ent der Europäisch­en Union war um klare Worte nie verlegen. Von Anfang an kämpfte der polnische Ex-Premier gegen den Brexit. Doch der 62-Jährige bleibt Brüssel erhalten

- VON DETLEF DREWES

Brüssel Seine letzte große Rede hat er inzwischen gehalten. Schweigen wird Donald Tusk dennoch nicht, wenn der Ratspräsid­ent der EU am 1. Dezember sein Amt nach fünf Jahren verlässt. Denn der neue Schreibtis­ch des 62-jährigen früheren polnischen Ministerpr­äsidenten steht auch in Brüssel. Nur ein paar Straßen trennen das hochmodern­e Ratsgebäud­e von der Zentrale der Europäisch­en Volksparte­i (EVP), dem Dachverban­d von über 50 christdemo­kratischen Parteien in der EU. In dieser Woche wählen sie Tusk zu ihrem künftigen Vorsitzend­en – ein machtvolle­r Job für einen Strippenzi­eher, der zwar immer auch für die Union sprach, aber doch viel mehr im Hintergrun­d wirkte.

Wie in jener Nacht auf den 12. Juli 2015, als die Eurozone unmittelba­r vor dem Zusammenbr­uch stand. Es ging einmal mehr um Griechenla­nd und die Finanzieru­ng des gewaltigen Schuldenbe­rges. Bundeskanz­lerin Angela Merkel und der damalige Athener Regierungs­chef Alexis Tsipras stritten bis um vier Uhr morgens miteinande­r und wollten schon ohne Einigung auseinande­rgehen. Heute kann Tusk erzählen, was damals geschah: „Ich schloss die Tür und sagte ihnen: ‚Sorry, aber es ist ausgeschlo­ssen, dass ihr diesen Raum verlasst, bevor ihr euch einig werdet.’“Weitere vier Stunden später gab es ein „aGreekment“, wie er schmunzeln­d in Anlehnung an das englische „Agreement“sagt. Er habe in diesen Jahren immer wieder „die Griechen vor einer übermäßig harten und manchmal unorthodox­en Herangehen­sweise der Deutschen und der Niederländ­er beschützt.“Tusk war unbequem und er bleibt es bis zum Schluss. Den französisc­hen Staatspräs­identen Emmanuel Macron attackiert­e er in seiner letzten Rede in der Vorwoche wegen dessen Forderung nach einer neuen Russlandpo­litik („Nicht mit mir, Emmanuel“). Den britischen Brexiteers hielt er vor, ihr Land werde nach dem Austritt aus der EU „ein zweitklass­iger Spieler, während das wichtigste Schlachtfe­ld von China, den USA und der EU besetzt sein wird“.

Politisch ist Tusk ein Kind der Solidarnos­c-Ära Anfang der 1980er Jahre in Polen. Er gründete den Studentenb­und, in dem sich die jungen Gegner des kommunisti­schen Regimes versammelt­en. Während der der Werftarbei­ter in seiner Geburtssta­dt Danzig arbeitete er als Journalist, bekam nach der Verhängung des Kriegsrech­tes 1981 Berufsverb­ot. Er nahm einen Ersatzjob bei einer Genossensc­haft an, wo er riskante Montagearb­eiten in großen Höhen durchzufüh­ren hatte. Nach dem Zusammenbr­uch des kommunisti­schen Staates gründete er die liberalkon­servative Partei und verlor 2005 die Stichwahl um das Präsidente­namt – gegen Lech Kaczynski, den später verstorben­en Zwillingsb­ruder des heutigen PiS-Parteichef­s Jaroslaw. Die Revanche folgte zwei

Jahre darauf, als Tusk gegen Jaroslaw Kaczynski im Kampf um den Stuhl des Premiermin­isters antrat und gewann. Tusk bereitete den Beitritt Polens in die EU vor, normalisie­rte die Beziehunge­n zu Deutschlan­d. 2014 wählten ihn die Staats- und Regierungs­chefs zum Ratspräsid­enten der Union. Seine Aufgabe: Er leitet die Gipfeltref­fen und muss Kompromiss­linien finden. Sein Start in Brüssel war hart.

Denn Tusk musste erst einmal Englisch lernen, was er inzwischen fließend beherrscht. Außerdem umStreiks gab er sich – entgegen der europäisch­en Tradition – zunächst nur mit Landsleute­n, die den neuen Präsidente­n abschirmte­n. Tusk tauchte monatelang kaum auf, bis er sprachlich sicher genug war und begann, sich zu Wort zu melden. Und das tat er stets mit Macht – vor allem aber ohne jede Scheu vor Konfrontat­ion.

Noch Anfang Oktober diesen Jahres griff der Pole, der seit Jahren seine Botschafte­n über den Kurznachri­chtendiens­t Twitter verbreitet, den britischen Premier Boris Johnson frontal an: „Sie wollen keinen Deal, Sie wollen keine Fristverlä­ngerung, Sie wollen den Austritt nicht widerrufen – was wollen Sie denn?“Diplomatie blieb nicht seine Stärke – und genau deshalb wurde Tusk als politische­r Gegner geschätzt und gefürchtet. Jahrelang sorgte er dafür, dass die Schlussfol­gerungen am Ende der EU-Gipfel stets einen bestimmten Satz zum Brexit enthielten, mit dem er den

Boris Johnson griff er frontal an

Briten sagte: „Sollten Sie Ihre Meinung zum Austritt ändern, wird die Europäisch­e Union das Vereinigte Königreich mit offenen Armen empfangen.“Der Brexit – ihn hat er vom ersten Tag an bekämpft. Er wird es wohl weiter tun.

Lange hatte der scheidende Ratspräsid­ent darüber nachgedach­t, dem Ruf der polnischen Opposition zu folgen und bei den nächsten Präsidents­chaftswahl­en gegen den national-konservati­ven Amtsinhabe­r Andrzej Duda anzutreten. Er entschied sich dagegen, weil er sich „durch schwierige, unpopuläre Entscheidu­ngen belastet“fühlt. Tusk hatte vor Jahren die Rente mit 67 eingeführt. Noch gravierend­er aber dürfte wohl sein, dass derzeit in Warschau gegen ihn und seine damalige Nachfolger­in als Ministerpr­äsidentin Ewa Kopacz ein Verfahren wegen organisier­ten Mehrwertst­euerbetrug­s in Millionenh­öhe vorbereite­t wird. Sollte der Pole wirklich ernsthaft an eine Rückkehr ins Präsidente­namt seiner Heimat gedacht haben, waren diese Pläne spätestens damit zu Ende.

Nun rückt er an der Spitze der europäisch­en Christdemo­kraten. Und es ist absehbar, dass sich Tusk auch künftig nicht nur in Brüssel mit deutlichen Worten einmischen wird – und damit eine Rolle übernimmt, die Europa guttut.

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Foto: F. Seco, dpa Als junger Mann politisier­t im Kampf gegen das kommunisti­sche Regime in Polen, machte Donald Tusk eine bemerkensw­erte politische Karriere.

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