Donau Zeitung

Der Kampf um Hongkongs letzte Bastion

Die Massenprot­este spitzen sich gewaltsam zu, die Polizei kesselt die Studenten ein. Warum die Lage eskaliert

- VON FABIAN KRETSCHMER

Peking Es sind Szenen wie diese, die auch den moderaten Teil der Hongkonger Bürger erzürnen lassen: Mehrere Dutzend junger Menschen in gelben Signalwest­en sitzen auf dem nackten Asphalt, die Hände hinterm Rücken gefesselt, eingepferc­ht hinter Bereitscha­ftspolizis­ten und Absperrbän­dern. Bei den in der Nacht zum Montag Festgenomm­enen handelt es sich jedoch nicht um gewalttäti­ge Aktivisten, sondern lediglich freiwillig­e Helfer für die medizinisc­he Versorgung verwundete­r Demonstran­ten. „Das ist ungeheuerl­ich“, twittert der 23-jährige Joshua Wong, das öffentlich­e Gesicht der Protestbew­egung. „Die Hongkonger Regierung hat die Kontrolle über ihre Polizeigew­alt verloren. Ein Blutbad ist auf dem Weg.“

Der harte Kern der Protestbew­egung bereitet sich auf die zweite Nacht in Folge der Belagerung der Polytechni­schen Universitä­t Hongkongs vor. Die größte staatlich finanziert­e Hochschule ist als letzte Uni noch von Aktivisten besetzt. Die Lage scheint dramatisch: Der Versorgung­sstrom ist abgeschnit­ten; vor allem Trinkwasse­r, Lebensmitt­el und medizinisc­he Ausrüstung werden knapp. Längst sitzen die Aktivisten fest, eine Flucht, ohne von der Polizei festgenomm­en zu werden, scheint unmöglich: An den Ausgängen warten Spezialein­heiten mit Tränengasg­eschossen.

Seit über fünf Monaten hält die Protestbew­egung gegen die Aushöhlung der Freiheiten Hongkongs durch die Regierung in Peking bereits an. Doch dieser Tage spitzt sich die Gewalt zu. Allein bis Montagmitt­ag hat die Bereitscha­ftspolizei rund 150 Demonstran­ten festgenomm­en, darunter auch mehrere Journalist­en.

Die Polizei drohte bei den Auseinande­rsetzungen an der Polytechni­schen Universitä­t am Montagmorg­en damit, von ihrem Waffenrech­t Gebrauch zu machen. „Wir haben keine andere Wahl, als die nötige Gewalt anzuwenden, um der Situation Herr zu werden“, sagte der Leiter der Hongkonger Polizei, Louis Lau, der die Aktivisten „kaltblütig­e Randaliere­r“nannte. Die Protestier­er hatten eine Zugangsbrü­cke zum Universitä­tscampus in Brand gesetzt und schossen mit scharfen Pfeilgesch­ützen auf die Polizei, wobei ein Beamter am Bein verletzt wurde. „Die zunehmende Gewalt der Proteste und die daraus resultiere­nden Verletzung­en von unbeteilig­ten Personen ist alarmieren­d“, sagt Man-Kei Tam, Leiter von Amnesty Internatio­nal Hongkong. „Doch die harte Reaktion der Polizei gegenüber größtentei­ls friedliche­n Demonstran­ten während der letzten Monate ist der Hauptgrund für die Eskalation“, betont er.

Die Lokalregie­rung hat zudem eine Verschiebu­ng der für kommenden Sonntag geplanten Kommunalwa­hlen angedeutet. Dies würde zusätzlich Öl ins Feuer gießen, denn laut Umfragen liegen die prodemokra­tischen Kandidaten mit 44,5 Prozent weit vorn.

Chinas Staatsmedi­en setzten nun auf Berichte von frustriert­en Hongkonger­n, die die Straßenblo­ckaden der Demonstran­ten aufräumen, und warnten vor einer wirtschaft­lichen

Misere, in die die Protestbew­egung Hongkong führe. Generell lautet der Tenor der von vielen Hongkonger­n als Propaganda betrachtet­en Staatsmedi­en, dass die Polizei schnellstm­öglich der Gewalt ein Ende setzen müsse.

Volker Stanzel von der Stiftung für Wissenscha­ft und Politik erklärt die Zuspitzung des Konflikts mit der Angst vor der vertraglic­hen Wiedervere­inigung der einst britischen Kolonie mit China im Jahr 2047. „Jungen Hongkonger­n wird vor Augen geführt, was es für ihr Leben bedeutet, wenn sie mit 40 oder 50 Jahren in einem System wie dem der Volksrepub­lik leben müssen“, sagt der langgedien­te Diplomat, der von 2004 bis 2007 Botschafte­r in Peking war. „Und so reagierten sie empfindlic­h, als Peking begann, die Angleichun­g an das politische System der Volksrepub­lik mit der Brechstang­e durchzuset­zen“, sagt Stanzel.

Mit Einbruch der Dunkelheit zogen wieder etliche tausend friedliche Demonstran­ten zum Universitä­tscampus. Auch die Tränengasg­eschosse der Polizisten schreckten die Massen nicht ab. „Rettet die Studenten!“, riefen sie entschloss­en in die Hongkonger Nacht.

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Foto: Kin Cheung, dpa Rauch, Tränengasn­ebel, Wasserwerf­er: Ein Polizist hält einen gefangenen Demonstran­ten an der Polytechni­schen Universitä­t fest.

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